Goldenes Licht umgibt die Menschen in der Sankt-Servatius-Basilika (Sint Servaaskerk) Maastricht, angenehme Wärme herrscht im Kirchenschiff, das von Glasfenstern in gedämpfte Farben getaucht wird, Staunen und Andacht ein paar Schritte abseits, wo man den kostbar gearbeiteten, mit Edelsteinen und Fayencen besetzten, Gold glänzenden Schrein mit den Reliquien des heiligen Bischofs Servatius betrachten und umrunden kann. Die Zeit steht still in solchen Momenten.
Hierher kommen seit Jahrhunderten die Gläubigen mit ihren Gebeten und Hoffnungen auf der Suche nach Beistand, ganz besonders in Notzeiten. „Wees een Bruggenbouwer“ („Sei ein Brückenbauer“) lautet daher das Motto der 56. Heiligtumsfahrt Maastricht vom 12. bis 22. Juni. „Das Brücken-Bauen zwischen den Menschen ist höchst aktuell und war es immer, wenn man sich die Lage in der Welt betrachtet, die Situation der Flüchtlinge, der Armen“, betont Theo Bovens (65), Vorsitzender des planenden Bürgervereins „Het Graf van Sint Servaas“ (Grab von Sankt Servatius) und zugleich aktiver Politiker als Vorsitzender der CDA (Christen Democratisch Appèl), der nun zusammen mit seinem Team gespannt auf ein Ereignis blickt, das die Menschen zusammenführt, „Brücken baut“: die alle sieben Jahre stattfindende „Heiligdomsvaart“.
Maastricht ist im Mittelalter einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte, der sogar von den in Aachen gekrönten Häuptern nach der Zeremonie im Dom stets besucht wird. „Der Schrein ist nach dem Gemälde ,Die Nachtwache‘ von Rembrandt das Kostbarste, was wir in den Niederlanden haben“, sagt Theo Bovens. Zwei große Prozessionen bilden den Kern des Programms. Als Budget stehen 520.000 Euro zur Verfügung. Im Mittelpunkt, eingehüllt in Weihrauch und umgeben von Helfern, Musikkapellen, Abordnungen von Vereinen und Fußgruppen: der mittelalterliche Schrein mit den Gebeinen des heiligen Servatius von Tongern-Maastricht.
Der Schrein wiegt gut 130 Kilogramm und wird von bis zu acht Männern getragen. Mit dabei: das Servatius-Haupt in einer Reliquienbüste, Bischofsstab, Brustkreuz, Patene (Hostienschale) und Kelch. Dort liegt gleichfalls der mit schön verschnörkelter Silberarbeit verzierte „Schlüssel zum Himmel“, den Petrus der Legende nach dem Heiligen einst in Rom anvertraut hat und den nun als kleine Anstecknadel alle Aktiven des Bürgervereins am Revers tragen. Den Schrein arbeitet in der Zeit von 1160 bis 1179 der Goldschmied Godefroid de Claire, der ihn reich verziert – Servatius in Begleitung zweier Engel, die Apostel auf den Längsseiten und Christus als Weltenherrscher.
Eng ist die Beziehung zu den Karolingern, wie Bovens berichtet. In der Krypta, in der sich das Grab des Servatius befand, hat man sogar Carl von Niederlothringen (953–991) aus dem westfränkischen Zweig des Geschlechts der Karolinger beigesetzt. Der Weg führt nach Aachen: Der Sage nach haben sich Monulphus, Bischof von Tongern-Maastricht, der Servatius im Amt gefolgt ist, und dessen Nachfolger Gondulphus im Jahre 805 als Skelette auf die Reise begeben – zur Weihe des Aachener Doms, wo sich Karl für jeden Tag des Jahres einen Bischof gewünscht hatte. Kurz zuvor sind nur 363 zur Stelle, doch mit klappernden Knochen (heute noch gibt es die „Klappergasse“ mit einem Relief der Skelette) sind die fehlenden zwei Bischöfe pünktlich zur Stelle.
Durch den gemeinsamen Sieben-Jahre-Rhythmus sind die Heiligtumsfahrten Aachen, Kornelimünster und Mönchengladbach mit Maastricht (regelmäßig seit 1829) grenzüberschreitend verbunden.
Wer lieber in Gemeinschaft pilgert: Es gibt ein Angebot zur organisierten Diözesan-Wallfahrt per Reisebus am Sonntag, 15. Juni, dem man sich anschließen kann, um die älteste Basilika der Niederlande im Herzen der Stadt zu besuchen. Sie liegt gleich auf drei Plätzen: dem Vrijthof, dem Keizer Karelplein und dem Henric van Veldekeplein, dreischiffig im romanischen Stil, errichtet aus regionalem Sandstein und Mergel – Pfarrkirche, Dekanatskirche mit einer der reichsten Schatzkammern Europas und noch viel mehr. Das erkennt man, wenn nach dem sanften Glockenschlag die große Stille jenseits des Trubels eintritt.
Bereits 1391 strömen Pilger zum Grab des Bischofs, allein 1496 hat man 100.000 Menschen beim Servatiusfest gezählt. Doch nicht allein bei geplanten Ereignissen wendet man sich betend dem Heiligen im Schrein zu, den die Gläubigen gern „Noodkist“ („Not-Kiste“) nennen. „Selbst bei drohenden Kriegen in der Gegenwart und zuletzt während der Corona-Pandemie betet man zum heiligen Servatius, holt den Schrein auf den Hauptaltar“, berichtet Bovens. „Der Mensch braucht Idole, das ist ein Urempfinden.“
Ein bisschen verschwommen erscheint das Bild des Heiligen, der häufig mit Schlüssel, Holzschuh und einem Drachen unter den Füßen dargestellt wird, in der Überlieferung. Nach heutigem Stand der Forschung gibt es sogar zwei Gestalten der Geschichte, die irgendwann vermutlich zu einem einzigen (Eis-)Heiligen „verschmolzen“ sind: den ersten Bischof von Tongern, der 450 in Maastricht stirbt, und dem der Apostel Petrus im Traum den Hunnenüberfall auf Tongern vorhersagt, als Servatius in Rom ist. Servatius warnt die Bürger und verlegt seinen Bischofssitz nach Maastricht. Tongern wird tatsächlich ausgeraubt und zerstört.
Bereits 100 Jahre zuvor ist von einem weiteren „Servatius aus Gallien“, geboren in Armenien, die Rede, der 343 in Sachen Christentum zu Synoden im heutigen Bulgarien und Italien unterwegs ist. „Wees een Bruggenbouwer“ – selbst im Historikerstreit lässt sich das aktuelle Motto anwenden, das überall auf Andenken und Kerzen zu lesen ist. Bischof Servatius – unbedingt ein Brückenbauer.
Die Büste des Heiligen Kornelius aus Kornelimünster geht nach Maastricht: Sie wird Teil der traditionellen Reliquienprozession (Ommegang). Das Bistum Aachen ist nach 2018 zum zweiten Mal mit einer Diözesanen Wallfahrt mit dabei und zwar am Sonntag, 15. Juni. Die Eucharistiefeier mit Generalvikar Jan Nienkerke findet am Sonntag, 15. Juni, um 10.30 Uhr in der Kirche St. Peter, Sint Maternusstraat, in Maastricht statt.
Anmeldung unter www.pilgern-im-bistum-aachen.de, telefonische Information unter 0241 452 229. Abfahrtszeiten und -orte werden nach Anmeldung schriftlich mitgeteilt.
Einen Tribünenplatz (Vrijthof) kann man unter www.heiligdomsvaartmaastricht.nl.Informationen buchen, die Route der Prozessionen finden Sie unter www.maastrichtbereikbaar.nl/de/agendaheiligdomsvaart.
Das komplette Programm: www.heiligdomsvaartmaastricht.nl