Die Industrie läuft auf Hochtouren, um uns das perfekte Weihnachtsfest per Expresslieferung zustellbar zu machen. Gibt es einen verantwortbaren Konsum zu Weihnachten, oder ist Entsagung und Verzicht darauf in unseren Tagen die bessere Option? Was können wir als Christen tun, damit die ursprüngliche Kernbotschaft auch für kommende Generationen wieder mehr in den Mittelpunkt rückt? Fragen, denen wir mit Hermann-Josef Winkelhorst, Leiter des Katholischen Beratungszentrums für Ehe, Familien-, Lebens- und Glaubensfragen Aachen, im Gespräch nachgehen.
Herr Winkelhorst, süßer die Kassen nie klingen. Haben Sie schon alle Geschenke?
Nein, aber welche meinen Sie? Jenseits bekannter Konsumkritik will ich gerne das Wort Konsum übersetzen: Es steht in seiner Herkunft aus con summare, zusammen füllen, anhäufen im Sinne von verwenden bis hin zu vergeuden. Konsum hat demnach etwas mit Fülle, aber auch mit Verschwendung zu tun. Es kommt also darauf an, wie und mit was wir es zu Weihnachten füllen. Erich Fromm benutzte für sein bekanntestes Buch den Titel „Haben oder Sein“, das beschreibt es sehr schön. Wir geraten schnell in die Falle, Haben mit Erfüllung zu verwechseln. Damit das funktioniert, muss die Dosis immer wieder erhöht werden, damit unsere Erwartungen erfüllt werden, aber schleichend weniger erfüllend sind. Darin liegt die latente Gefahr, dass wir und unsere Kinder den lebendigen Weihnachtswald vor lauter Tannenbäumen nicht mehr zu erkennen vermögen.
Wie könnten wir den Umgang mit dem Schenken denn auf spiritueller Ebene
erfassen?
Die Antwort darauf liegt im Kern der Weihnachtsbotschaft – und die ist aktueller denn je:
Die Zeit ist erfüllt, in der tiefsten Dunkelheit findet sich das Licht, wird uns Heil zuteil.
Gott wird Mensch, als hilfloses Kind in einem Stall. Da, wo sich die am Rande Lebenden, die Hirten, aufhielten. Sie sind auch die ersten Zeugen der erfüllenden Botschaft. Mit und in dieser Heilsbotschaft Gottes zeigt er sich uns mit seiner Liebe ohne direkte Gegenleistung in seinem Dasein mit einer Option für die Armen. Weihnachten zeigt sich so als erfüllendes und zugleich zutiefst bescheidenes Ereignis, das alles zu verändern vermag. Unsere Sicht auf das Leben und seinen Sinn, auf Leid und Schicksal, und das, worauf es ankommt – Dasein und Mitsein, Geliebtsein.
Lässt der Blick auf unsere Geschenkkultur erahnen, dass diese Botschaft ausgehöhlt wurde? Ist alles überfrachtet worden?
Ich weiß gar nicht, ob ich das überfrachtet nennen würde. Weihnachten ist mir eher zu billig gemacht worden. Die Erfüllungsbotschaft wurde marginalisiert und lautet jetzt: Jemand, der nicht(s) hat, ist bedürftig. Wir haben damit den Kern der Weihnachtsbotschaft geradezu verdreht. Am besten zeigt sich dies in der Erfindung der ehemaligen Werbeikone von Coca-Cola, dem amerikanischen Weihnachtsmann, der allen materielle Geschenke bringt. Das ist das, was von Gott übrig blieb und was sich als Bild des Höchsten festgesetzt hat.
Gehörten Geschenke nicht immer dazu?
Der Weihnachtsmann lässt sich zurückführen auf den Bischof von Myra, aus dessen überlieferten Lebensgeschichten das Schenken und die Großzügigkeit als christliche Kerntugenden überliefert sind. Aus der Verehrung und Tradition entwickelte sich das Nikolausfest, so wie es heute noch in den Niederlanden gefeiert wird. Bei uns in Deutschland verlagerte sich diese Tradition des Schenkens auf das Weihnachtsfest. Noch vor der Industriellen Revolution ging es deutlich bescheidener zu.
Wie könnte alternatives Schenken aussehen?
Ich gebe etwas von mir, das ich (schon) habe, an eine andere Person weiter – in einem Bewusstsein, dass der andere sich genau darüber freut. Ich fülle demnach beim Schenken erwartungslos eine Lücke zwischen mir und dem anderen und gleiche damit Unterschiede aus hin zu mehr Balance. Denn das ist zugleich der tiefere Sinn des Schenkens. Ich kann aber nur auf etwas verzichten, das ich schon habe – und es sollte stets Freiwilligkeit beinhalten. So kann ich etwa ein Buch, aus dem ich viel für mich gelernt habe, weitergeben. Heute geht es oft darum, miteinander etwas zu erleben, sich bewusst die Zeit zu nehmen.
Das wertvollste Geschenk ist also Zeit?
Da liegt viel Wahrheit drin. Kindern lässt sich dies nur indirekt klarmachen, aber sie spüren es, dass da jemand ist, der sich Zeit genommen hat. Ich finde die Idee, bewusst Zeit zu blocken und diese zu verschenken, sehr gut.
Zurück zu den Kindern: Wie erklären wir ihnen, dass Zeit ein tolles Geschenk ist – und nicht nur der neue Feuerwehrwagen?
In der Regel haben die meisten schon mehr als genug. Wenn es einen innigsten Wunsch gibt, ist es legitim, ihn auch zu erfüllen. Oft dienen Geschenke aber dazu, damit sich Erwachsene in Erinnerung bringen. Eine Überhäufung schadet den Kindern eher. Sie erleben kurz den Himmel auf Erden, aber verlernen es, den eigentlichen Wert von Geschenken zu erkennen. Wer etwas schenken möchte, kann dies auf eine andere Ebene heben und beispielsweise einen Ausflug planen, das Kind ein Wochenende übernehmen. Nicht nur die Eltern werden dafür dankbar sein.
Wie stehen Sie dazu, komplett auf Geschenke zu verzichten?
Da gehört Mut zu. Wenn man das so haben will, muss man es in einer gemeinsamen Abstimmung machen. Dieser Verzicht ist aus meiner Sicht aber eine Chance, sich der eigenen Fülle und Zufriedenheit im Leben bewusst zu werden. An dieser Stelle öffnen sich oft ganz neue Dimensionen. Wir können abseits der Weihnachtsidylle auch mal schauen, wo sich Weihnachten wirklich ereignen könnte: in Brennpunkten, beim Suppenausschank für Obdachlose. Wir wurden schon riesig beschenkt, weil es uns gut geht. Das könnten wir weitergeben an die, denen es nicht so gut geht.
Eine Frage zum Heiligen Abend: Muten wir uns oft zu viel zu?
Aus der Beratungsarbeit wissen wir, welchen Stress beispielsweise Patchwork-Familien auf sich nehmen, um allen gerecht zu werden. Auch materiell ist das Fest beinahe zu einem Zwang geworden, den sich viele Menschen nicht leisten können. Wir beobachten, dass immer mehr Menschen versuchen, sich diesen Zwängen zu entziehen, indem sie Entscheidungen treffen, die nicht allen gefallen. Aber Entschiedenheit macht frei.
Wie definieren Sie Freiheit?
Ich muss eine bewusste Entscheidung treffen, wovon ich mich befreien möchte oder wofür ich frei sein möchte. Dazu gehört beispielsweise die Frage, ob ich mich jemandem gegenüber verpflichtet fühle, die Erwartung einer gemeinsamen Feier zu bedienen, obwohl ich selbst nichts fühle. Besonders junge Menschen hinterfragen diese Kultur. Das hat etwas mit Reifung zu tun. Sie formulieren ihre Bedürfnisse, wer sie sind und was sie möchten.
Ist das Weihnachtsfest emotional zu stark aufgeladen, weil alles perfekt zu sein hat?
Ein Stück weit ist das so. Weihnachten steckt voller Traditionen. Nicht selten legen wir großen Wert auf die Einhaltung aller Traditionen unter Missachtung der Realität. Dafür gibt es immer mehr Dekoration, Design und den Rückzug ins Innere.
Damit Weihnachten so ist, wie es schon immer war?
In einer Zeit, in der sich das Rad immer schneller dreht, sind auch die Gegenkräfte aktiv. Wir neigen dazu, die Äußerlichkeiten aufrecht erhalten zu wollen. Um uns zu vergewissern, dass alles so ist, wie wir es gerne hätten. Obwohl es längst schon anders ist.
Wie lässt sich wieder bewusster feiern?
Die Kernfrage lautet: Was will ich mit diesem Fest und in diesem Fest ausdrücken. Für viele ist es Gemeinschaft. Dann geht es um Behaglichkeit, Kontakt zu Menschen, mit denen ich sonst nicht so viel zu tun habe. Dafür kann man auch ganz bewusst den engen Kreis der Familie weiten. Auch der Begriff Familie lässt sich wieder neu mit Inhalt füllen. Was heißt es, familiär in einer Bindung zu leben? Eingebettet mit denen, die schon älter sind, und denen, die wir in die Welt gesetzt haben. Wir sollten einen guten und offenen Umgang miteinander pflegen und lernen, in einer ehrlichen Form darüber zu sprechen, ob und wie ein gutes Fest gestaltet werden kann. Weihnachten wird nämlich dann nicht gut, wenn wir alle so tun, als ob.
Das Gespräch führte Stephan Johnen.