Der Kirchenchor ist Heimat

Seit vielen Jahrzehnten singen Johanna Krieger und Hans Knorr in Hückelhoven

(c) David Beale/unsplash
Datum:
16. Nov. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 46/2022 | Garnet Manecke

Ostern, Weihnachten, Pfingsten, Kirchen- und Orgelweihen: Große Feste sind ohne die Kirchenchöre nicht denkbar. Viele Sängerinnen und Sänger engagieren sich schon jahrelang in ihrem Chor. Singen hat einen positiven Einfluss auf die Seele und hält jung. Zwei Beispiele dafür sind Johanna Krieger und Hans Knorr, die ihrem Chor St. Lambertus und St. Barbara in Hückelhoven über ein halbes Jahrhundert treu sind.

Johanna Krieger, 77, seit 70 Jahren im Sopran

Der Chor ist für Johanna Krieger zeit ihres Lebens Heimat. (c) Garnet Manecke
Der Chor ist für Johanna Krieger zeit ihres Lebens Heimat.

1953 hatten die Kinder nach der Kommunion die Wahl: Messdiener werden oder in den Kinderchor gehen. Wobei: Streng genommen hatte die kleine Johanna diese Wahl nicht. Denn damals war der Dienst in der Messe den Jungen vorbehalten. Als Mädchen hatte die damals Achtjährige keine Chance. Also machte sie beim Kinderchor mit. 70 Jahre ist das im kommenden Frühjahr her. Johanna ist jetzt 77, ihr 78. Geburtstag steht kurz bevor. Aber ob acht Jahre oder 78: Johanna Krieger singt immer noch mit so viel Leidenschaft wie als kleines Mädchen.

Damals hat sie noch in der Gemeinde St. Barbara gewohnt, oben auf dem Berg in Hückelhoven. In der Bergarbeitersiedlung. 20 Jahre zuvor hatten die Bergarbeiter ihre Kirche gebaut und eingeweiht. Die Bergarbeiter, die in der Zeche Sophia Jacoba arbeiteten, waren eine stolze Gemeinschaft, in der die Menschen füreinander einstanden. Hier hat Johanna mit ihrer Mutter gelebt. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Er ist neun Wochen nach ihrer Geburt gestorben.

Das Singen hat ihr immer gefallen. Im Chor oder als Sternsinger und in der St.-Martins-Gruppe, wenn sie mit anderen Kindern von Haus zu Haus zog. „Als Jugendliche sind wir mit dem Chor oft nach Monschau in die Jugendherberge gefahren“, erinnert sie sich. Sie blieb auch in einem Alter dabei, in dem Chorgesang für Teenager nur mäßig interessant ist. Selbst als sie mit ihrem Mann und der Familie nach Doveren zog, kam sie jede Woche zu den Chorproben in 
St. Barbara.

„Diese Gemeinschaft war immer etwas besonderes“, sagt sie. „Unser Pastor Gilles hat damals über den Chor immer gesagt: ‚Es ist ein kleiner, aber feiner Chor.‘“ Ihr Mann passte auf die beiden Kinder auf, wenn sie zur Chorprobe ging oder in einer Messe gesungen hat. Ihre Stimmlage ist der Sopran. „Meine Stimme ist heute natürlich nicht mehr so wie früher“, sagt sie. Aber wenn sie spricht, wenn sie lacht, dann hat ihre Stimme viel Kraft. Das jahrelange Singtraining ist da zu spüren.

Ganz besonders haben ihr die lateinischen Messen gefallen. „Für meine Begriffe gibt es nichts Feierlicheres“, sagt sie. „Heute ist das noch meine Lieblingsmesse.“ Besonders berührend aber fand sie immer das Barbarafest für die Schutzpatronin der Bergleute. „Da gab es immer eine tolle, sehr feierliche Messe“, erinnert Johanna Krieger sich. „Mit der Bergmannskapelle, und die Knappen waren in ihren Uniformen da. Selbst für uns als Kirchenchor war das immer das höchste Fest im Jahr.“ Die Chortradition hat sie an ihre Kinder weitergegeben: auch die haben im Kinderchor St. Barbara gesungen. Nur ihr Mann war „vollkommen unmusikalisch“, wie sie heute lächelnd sagt. Als er vor 21 Jahren plötzlich verstarb, hat ihr das Singen im Chor Halt gegeben.

So leicht wie früher sind die Proben nicht mehr. Es ist anstrengender geworden. „Man merkt jetzt, wenn man eineinhalb Stunden geprobt hat“, sagt Krieger. Vor allem nach der Coronapause, in der der Chor nicht proben konnte. Die Pandemie ist das neueste Kapitel in der Chorgeschichte. In 70 Jahren sind da einige zusammengekommen. Hat sie mal einen Einsatz verpasst? Johanna Krieger denkt kurz nach: „Eigentlich nicht.“

Einmal, noch vor der Fusion des St.-Barbara-Chors mit dem St.-Lambertus-Chor, haben die beiden Chöre zur Verabschiedung eines Pfarrers gesungen. „Weil der Einsatz da nicht richtig geklappt hat, hat der Dirigent abgebrochen und uns neu beginnen lassen“, erzählt sie. Auch dass die Orgel mittendrin ausgefallen ist, hat sie schon erlebt. „Ich war noch sehr jung und es war ein sehr kalter Winter“, sagt sie. „Aber wir haben einfach so getan, als wäre nichts, und weiter gesungen.“

Hans Knorr, 87, seit 60 Jahren im Bariton und Bass

Dass Beste am Chor ist für Hans Knorr, dass er dort seine Frau Gerti kennenlernte. (c) Garnet Manecke
Dass Beste am Chor ist für Hans Knorr, dass er dort seine Frau Gerti kennenlernte.

Wenn man es genau nimmt, ist Hans Knorr schon 62 Jahre Mitglied im Kirchenchor St. Lambertus und St. Barbara. Aber wegen der Corona-Pandemie fielen nicht nur die Proben zwei Jahre aus, sondern auch das Cäcilienfest. Bei diesem Fest werden traditionell die Jubilare geehrt. Nun hat Hans Knorr zwei Jahre später die Gratulationen entgegennehmen können. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, dass der Chor sein Leben entscheidend verändert hat. „Im Chor habe ich meine Frau kennengelernt“, erzählt der 87-Jährige. Seit 54 Jahren ist er nun mit seiner Gerti (73) verheiratet. Ihre Liebe zur Musik haben die beiden an ihren Sohn und ihre Tochter weitergegeben. Der Sohn hat als Student einen Chor geleitet. Die Tochter singt noch heute in Projektchören.

Musik hat in Hans Knorrs Leben immer eine Rolle gespielt. Als Junge hat er Geigenunterricht bekommen. Dem Instrument blieb er lange treu. Später hat er sich noch selbst das Gitarrespielen beigebracht. Mit den Instrumenten begleitete er andere Sänger und Chöre. Dass er selbst eine gute Stimme hat, hat er später gemerkt, als er eine Stelle als Lehrer in Sevelen am Niederrhein annahm. Um Kontakt zu bekommen, ist er dort in einen Chor eingetreten. „Aber ich war nur ein Jahr dort, dann bin ich 1960 nach Hückelhoven gekommen“, sagt er.

Gewohnt hat er in Erkelenz, wo er aufgewachsen ist. Oft ist er die gut acht Kilometer nach Hückelhoven mit dem Fahrrad gefahren. Über die Schule bekam er schnell Kontakt zu dem damaligen Pastor der Gemeinde St. Lambertus und dem Chorleiter. Weil ihm das Singen Spaß machte, trat er gleich in den Kirchenchor ein. „Dadurch, dass ich im Chor war, habe ich auch sehr schnell Kontakt in Hückelhoven bekommen“, sagt Knorr. Das hat ihm als Mensch, aber auch in seiner Eigenschaft als Lehrer sehr geholfen. Mehrere Jahre war er schon im ersten Bass im Kirchenchor, als ein neues Mitglied in den Chor kam: ein junges 17-jähriges Mädchen. Es hat bei den beiden gleich gefunkt. Weitere zwei Jahre später haben sie geheiratet. „Dafür brauchten wir noch die Erlaubnis meiner Eltern, weil man damals erst mit 21 Jahren volljährig war“, erzählt Gerti Knorr.

Die Liebe zur Musik hat die beiden verbunden. Seine Leidenschaft für die gregorianischen Gesänge teilt Knorr mit seiner Frau. Auch die Geselligkeit im Chor hat beiden gefallen. „Damals sind wir mit den Chormitgliedern nach der Probe noch oft ausgegangen“, erzählt Hans Knorr. „Auch in der Kneipe haben wir viel gesungen.“ In der Dorfkneipe wurde das Repertoire auf Volkslieder und Schlager gewechselt.

Auch im Alltag singt er hin und wieder. Für ihn ist es ein Lebensgefühl. „Ohne Singen habe ich keine gute Laune“, sagt er. Während der Zwangspause hat er den mehrstimmigen Gesang vermisst. Stimmlich konnte er in seinen besten Zeiten Tenor, Bariton und Bass abdecken. „Zeitweise habe ich im Tenor mitgesungen, weil es uns an Tenören mangelte“, erinnert der 87-Jährige sich. „Es war für mich aber sehr anstrengend, in die höhren Tonlagen zu kommen.“

Damals half ihm seine junge Stimme, heute sind es die Übungen vor Beginn der Probe, die seiner Stimme den letzten Schliff geben. „Natürlich ist es nicht mehr so wie früher“, sagt Knorr. Aber er bedauert es nicht. Er blickt auf ein reiches Sängerleben. Als besonderer Höhepunkt ist ihm noch das Requiem von Gabriel Fauré in Erinnerung, das der Chor Anfang der 2000er Jahre aufgeführt hat. „Und dann waren da natürlich auch die großen Werke zu Weihnachten und Ostern“, sagt Knorr. Dazu das Patronatsfest und das Barbarafest.

Nicht nur mit seiner Stimme hat er sich im Chor engagiert. Als Schriftführer und in den vergangenen Jahren als Kassierer bringt sich Knorr auch bei der Organisation des Chorlebens ein. Mit dem Alter hat sich die Rolle der Musik in seinem Leben verändert. Zur Gitarre oder Geige greift er nicht mehr. „Das machen die Hände nicht mehr mit“, sagt er bedauernd. Nun ist allein die Stimme sein Instrument.

INFO

Der Kirchenchor St. Lambertus und St. Barbara wurde 2010 aus den Kirchenchören der beiden Gemeinden gebildet. Als 2016 St. Barbara entwidmet wurde, waren die beiden Gemeinden endgültig fusinioniert. 
Traditionell werden die Jubilare beim Cäcilienfest gefeiert. Neben Johanna Krieger und Hans Knorr hat der Kirchenchor St. Lambertus und St. Barbara noch einige langjährige Sängerinnen und Sänger geehrt:
20 Jahre: Maria Elisabeth Hesselbarth, Wolfram Hesselbarth, Arndt Wackernagel
25 Jahre: Luise Battenberg, Silvia Koch
30 Jahre: Karin Diek
40 Jahre: Bruno Bürger, Marita Bürger, Annelie Roes
55 Jahre: Gerda Boisten, Gabi Christophel, Marianne Gasser.