Der Gewalt etwas entgegensetzen

Euregionale Ökumenische Konferenz befasste sich mit Angst und Aggression

Was kann Situationen, wo Gewalt entstehen kann, entschärfen? Das fragte die euregionale ökumenische Konferenz in Aachen. (c) www.pixabay.com
Was kann Situationen, wo Gewalt entstehen kann, entschärfen? Das fragte die euregionale ökumenische Konferenz in Aachen.
Datum:
26. März 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 13/2019 | Kathrin Albrecht
Immer wieder ist von aggressivem Verhalten gegen Einsatzkräfte der Feuerwehr oder gegen Sanitäter zu lesen. Auch Seelsorger, Pflegekräfte oder Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, werden mit Angst und Aggression konfrontiert.
Konfliktsituationen, die sich gewalttätig entladen, entstehen oft in der Interaktion zwischen Pflegekräften und Patienten, beispielsweise, wenn eine Medikation gegen den Willen verabreicht wird. (c) www.pixabay.com
Konfliktsituationen, die sich gewalttätig entladen, entstehen oft in der Interaktion zwischen Pflegekräften und Patienten, beispielsweise, wenn eine Medikation gegen den Willen verabreicht wird.

Warum sind Menschen, die Schutz und Hilfe anbieten, Aggressionen ausgesetzt? Was löst diese aus? Und was kann getan werden, um dieser Gewalt entgegenzuwirken? Fragen, die die Teilnehmer der Euregionalen Ökumenischen Konferenz miteinander diskutierten. Einen praktischen Einblick bot Alexander Cremer von der LVR-Klinik Mönchengladbach. Er legte dar, dass Zwang und Gewalt die Psychiatrie als Phänomen und als Stigma seit jeher begleiten und auch das Bild der Psychiatrie bis heute prägen. Seit der Psychiatrie-Enquete Ende der 70er Jahre nehmen die Anstrengungen zur Entstigmatisierung und selbstkritischen Betrachtung zu, die Rechte der Betroffenen würden immer wieder beleuchtet, angepasst und gestärkt. Es werde auf Dialog und Trialog gesetzt, auf Verhandeln statt Behandeln.

Die Behandlungsmethoden sind deutlich humaner geworden, psychiatrische Behandlung gewinne an gesellschaftlicher Akzeptanz und werde differenzierter betrachtet. Das Unfallrisiko ist bei den in der Psychiatrie Beschäftigten deutlich höher als in anderen Pflegeberufen, sieben bis acht Übergriffe pro 1000 Versicherten zählte ein Bericht der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst aus dem Jahr 2009. Oft sei die Interaktion zwischen Patient und Pflegeperson ein Auslöser von Gewalt, wenn Hilfe, beispielsweise im Fall einer Einweisung gegen den Willen des Patienten, abgehlehnt werde. Cremer verwies auf die dünne Forschungslage in Deutschland, da bestehe ein großer Bedarf. Gewalttätige Übergriffe führten zu Angst, Frust, höherem Sicherheitsdenken und Zwangsmaßnahmen, was wiederum zu mehr Aggression bei den Patienten führe. Diese Gewaltspirale gelte es, frühzeitig zu durchbrechen.

 

Wenn sich Aggression gegen Menschen richtet, die nichts dafür können

Gewalterfahrungen machen auch jene, die sich in der Arbeit mit Migranten engagieren. Lian Overbeeke arbeitet in den Niederlanden für eine Kirchengemeinde und berichtet von einem Fall, in dem eine eritreische Flüchtlingsfamilie von den Nachbarn aus ihrem Haus gemobbt wurde. Eine Stiftung hatte sich um die Unterkunft der Mutter mit ihren vier Kindern gekümmert, von Anfang an hätte es Widerstand gegeben. Ständig klingelten die Nachbarn und beschwerten sich über den Lärm der Kinder. Die Familie stand zuletzt derart unter Druck, dass der älteste Sohn ständig bemüht war, seine jüngeren Geschwister ruhig zu halten. Als ein Nachbar die Familie mit einer Heckenschere bedrohte, beschloss man, eine andere Unterkunft zu suchen. Die Familie lebt jetzt in einer Unterkunft, die von der Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt wurde. Dort sind sie integriert, nehmen am Gemeindeleben teil.

Auch staatliche Behörden können als aggressiv wahrgenommen werden. Darauf wies Charles Cervigne, evangelischer Pfarrer in Aldenhoven, hin. Er schildert das Beispiel einer Iranerin, die ihren Fall bei der Ausländerbehörde darlegen sollte. Sie bekam mit, wie die Sachbearbeiter Witze über einen anderen Fall machten. „Der Iran ist ein gut organisiertes Land mit einer funktionierenden Bürokratie. Die Art, wie indiskret oft mit persönlichen Informationen umgegangen wird, verletzt die Menschen. Da müssen die Behörden unbedingt sensibler werden“, mahnt er. Er berichtet auch von den Erfahrungen, die die Gemeinde mit dem Kirchenasyl gemacht hat.

Seit 35 Jahren hat die Gemeinde das Kirchenasyl eingerichtet. Es bestehe eine Vereinbarung mit dem Innenministerium des Landes NRW, das könne jedoch jederzeit einseitig aufgehoben werden. Wenn Menschen längere Zeit auf engem Raum zusammenleben müssten, komme es zu Aggressionen. Gute Erfahrungen hat Cervigne in der Zusammenarbeit mit Menschen gemacht, die selbst aus sozialen Problemfeldern kommen. „Die kennen solche Situationen.“ Wichtig sei es, dass das Gemeindeleben weitergehe, auch die übrigen Angebote aufrechterhalten würden. „Die eine Gruppe darf nicht unter der anderen leiden.“ Vor drei Jahren wurde Cervigne selbst Opfer eines Angriffs. Er habe das selbst besser verarbeitet als sein Umfeld, berichtet er. Letztendlich werte er den Übergriff als eine Bestätigung, dass das, was er tue, richtig sei.

 

Warum verstehen wir einander im interkulturellen Dialog oft nicht?

Theo de Wit, Professor an der Universität Tillburg, referierte über kollidierende Identitäten im liberalen Sicherheitsstaat. Dabei warf er zentrale Fragen auf: Wie kann es sein, dass der Unglaube an die Demokratie überall auf der Welt wächst und das Verlangen nach einem „starken Mann“ überall sichtbar ist? Wie steht es um unseren eigenen Glauben an die Demokratie? Mit dem jüdischen Philosoph Levinas fragt er, ob es eine Religion der Toleranz geben kann. Die Zunahme der religiösen, kulturellen, ethnischen und nationalen Loyalitäten und Identitäten infolge der Globalisierung und Migration mache alle unsicher in Bezug auf die eigene Identität und was toleriert werde. Den Werten, die wir guthießen, stünden andere Werte entgegen. Im interkulturellen Gespräch klaffe daher nicht selten eine Kluft zwischen „Verstehen“ und „Verständnis haben“ für andere Werte und Neigungen. Auch müsse der Westen sich kritisch hinterfragen, ob er sich selbst noch immer als weltweite Avantgarde betrachte und ob nicht mehr Demut im interkulturellen Dialog, beispielsweise auch in der Entwicklungspolitik, angebracht wäre.

 

Angst und Angriffsverhalten: Können Gemeinden helfen?

Was kann Kirche tun, um Angst und Aggression entgegenzuwirken, vielleicht sogar, diese zu verhindern? Hendrine Verkade und Andrea Crombach stellten dazu ihre Projekte vor. Crombach leitet das Projekt „Gewaltlos stark“, das mit Männern arbeitet, die zu Gewalt neigen. „Täterarbeit ist Opferschutz“, meint Crombach. Genauso, wie Gewaltverhalten erlernt werde, könne auch gelernt werden, damit aufzuhören. Das Projekt ist beim SKM angesiedelt, auch die Städteregion Aachen unterstützt es finanziell. Verkade arbeitet in den Niederlanden im Netzwerk „Kerken mit Stip“, was so viel wie „Kirche mit Punkt“ bedeutet. Hier haben sich katholische und evangelische Gemeinden zusammengeschlossen, um entlassenen Strafgefangenen den Weg zurück in die Gesellschaft zu erleichtern. Dazu werden Ehrenamtliche gesucht, die die Haftentlassenen begleiten, sie in die Gemeinde einladen oder auch bei Behördengängen helfen. Eine Einrichtung, die vor allem bei den deutschen Diskussionsteilnehmern großen Anklang fand: „Das ist es, was Gemeinde sein sollte. Sie haben oft vergessen, dass die Probleme dieser Welt in das Gemeindeleben hineingehören“, resümierte eine Teilnehmerin.

Menschen, die vor Krieg und Gewalt aus ihrer Heimat geflohen sind, werden auch in der Fremde mit Gewalt konfrontiert. (c) www.pixabay.com