Der Duft von Pfefferminze

Die Zeitungsausstellung „Das Problem sind die Sonntage“ zeigt feinfühlig die Seelenlage früh Verwitweter

„Wir verabschieden uns für die Nacht. Er geht nach oben. Es poltert, und das war‘s.“ (c) Jann Höfer
„Wir verabschieden uns für die Nacht. Er geht nach oben. Es poltert, und das war‘s.“
Datum:
23. März 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2021 | Dorothée Schenk

Plötzlich steigt einem ein Duft in die Nase, und schon ist man wieder ganz und fast leibhaftig in einer längst vergangenen Lebenssituation gefangen. Das gilt für schöne wie für traurige Anlässe. Das kennt jeder und macht das Projekt „Das Problem sind die Sonntage“ so unmittelbar und miterlebbar. 

Auf 18 großformatigen Zeitungsseiten stellt Jann Höfer Menschen und ihre Gemütslage nach dem Verlust eines geliebten Menschen dar. Rund 500000 jung Verwitwete unter 60 Jahren, so ist nachzulesen, zählt das Statistische Bundesamt aktuell. Sieben von ihnen und ihre Familien haben stellvertretend dem Kölner Fotografen als „Modell“ für seine Sammlung „Das Problem sind die Sonntage“ gedient. Sie schenken dem Betrachter ihre Gedanken in Worten, und Jann Höfer hat dazu Bildmotive gefunden, die durch ihre Sensibilität ein Miterleben und Verständnis unmittelbar möglich machen. „Er porträtiert das, was nicht mehr da ist, indem er fotografiert, was bleibt, was erinnert“, heißt es treffend im Begleittext zum Projekt. 

 

>> Von der Mühe der Auseinandersetzung

Die zarten Hände, die vom Leben sprechen, ein kleiner Junge, der lacht und dabei einen Zylinder schief auf dem Kopf sitzen hat, oder eine einzelne Pfefferminze, deren Duft den Hinterbliebenen immer an den Morgentee des Toten erinnert und darum für lange Zeit unerträglich bleibt, der Karton mit den Erinnerungsfotos. Einfach Motive, die nie ins Banale entgleiten und trotzdem eine so unglaubliche Allgemeingültigkeit haben. 
Drei Jahre lang hat Jann Höfer sich Zeit genommen, um dem Thema näherzukommen. Warum es so lange gedauert hat? „Ich konnte mich nicht jedes Wochenende mit diesem schweren Thema konfrontieren“, gibt Höfer unumwunden zu. „Es ist mühsam, sich ständig mit Tod und Sterben auseinanderzusetzen.“

Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, die schließlich das große Ganze im Blick hat, hat Jann Höfer einen Fragenkatalog entwickelt. Nicht das Schicksal der Verstorbenen, sondern die Gemütswelt der Hinterbliebenen standen dabei im Vordergrund. Darum gibt es auch keine Lebensläufe und Abläufe, sondern die Zitate, die als Sammlung Teil des Projektes sind und Antwort auf die Frage geben: „Wie waren die Momente und Gefühle unmittelbar nach dem Verlust des Partners, wie war die emotionale Situation?“ 

 

 >> Gesellschaft offener für das Thema Tod

Gelungen ist Höfer, was er persönlich in dem selbstgegebenen Arbeitsauftrag formuliert: „Ich suche nach den Metaphern sowohl für den Verlust als auch für die Fähigkeit, mit dem Verlust zu leben und umzugehen. Besonders faszinierend finde ich, nachzuvollziehen, wie sich ganz alltägliche kleine Dinge emotional sehr stark aufladen und quasi ein Eigenleben, eine eigene Bedeutung bekommen.“

Vermittelt hat den Kontakt Susanne Hempel, die im Verein „Vidu“ für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. „Vidu“ steht für das lateinische „verwitwet“. Der Name ist Programm, kann aber auch gesprochen „wie Du“ verstanden werden und beschreibt damit die Aufgabe des Vereins, der von sich sagt: „Wir engagieren uns aus eigener Betroffenheit: Wie du haben wir den Verlust unseres Partners erlebt. Wie du haben wir nicht gewusst, wer uns verstehen kann. Wie du waren wir auf Hilfe anderer angewiesen.“

Für Ellen Peiffer, Vertreterin von „Vidu“ in Merzenich, kommt das Projekt zur rechten Zeit. Selbstredend ist „Corona“ das Stichwort. Die pandemiebedingte tägliche Veröffentlichung der Statistiken mit Infizierten und Verstorbenen trägt dazu bei, „dass die Gesellschaft sich für das Thema Tod und Trauer öffnet, weil es bislang in einer ,Ecke‘ stand, an die sich niemand richtig herantraute.“ Es sei noch viel Lobbyarbeit nötig, um eine Normalität im Umgang mit dem Tod zu erreichen. 

 

 >> Ausstellung im Zeitungsformat

Gerade darum, davon ist Jann Höfer überzeugt, ist das Format der Zeitungsausstellung so passend. Eigentlich war eine Wanderausstellung geplant. Diese andere Art der Umsetzung ist eher aus der Not geboren, weil Ausstellungsräume nicht für Besucher offenstanden. Aber diese gewählte Präsentationsform ist im Nachhinein auch inhaltlich die richtige, ist der Fotograf überzeugt. „Zeitung“ ist etwas, das viele Menschen im Alltag nutzen, und so können „die Bilder sehr unmittelbar in die Welt treten“, sagt Höfer. Ein weiterer Pluspunkt ist die Vielseitigkeit der Ausstellungsmöglichkeiten.

Ein Beispiel ist St. Lukas, die Innenstadtgemeinde in Düren. Sie hat ausgewählte Bilder und Zitate in der Pfarrkirche St. Anna gezeigt. Pfarrer Hans-Otto von Danwitz sagte zu diesem Anlass: „Ich finde es gut, dass wir Menschen einen Raum bieten, wo sie über Verlust und Trauer nachdenken und das vor Gott bringen können.“

Aber auch im profanen Raum entfaltet sich die „Ausstellung“: Das Interesse von Hospizen ist groß, berichtet Ellen Peiffer, aber die Zeitungsausstellung findet auch Platz an Fensterscheiben, in Privaträumen und sogar für jedermann sichtbar an einem Bauzaun. So viel Öffentlichkeit für das Anliegen von früh Verwitweten wäre sonst sicher nicht möglich – und eine zeitliche Begrenzung gibt es auch nicht.

Apropos Zeit: Ellen Peiffer hat abschließend ein besonderes Anliegen. Die Verarbeitung des Verlustes braucht Zeit. „Mit Zeit meine ich Jahre. Das ist erstmal ein erschreckender Gedanke, aber es ist auch die Chance zu sagen: Ich muss nicht nach einem Jahr wieder quietschfidel sein.“ Es ist ein Appell an die Hinterbliebenen, mit sich selbst geduldig zu sein und an die Menschen im Umfeld, denn „das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“.

Wer Interesse an einem Exemplar „Das Problem sind die Sonntage“ hat, kann es über den Verein „Vidu“ anfordern, entweder über die E-Mail: vorstand@verein-verwitwet.de oder bei Ellen Peiffer, Windmühle 58 in 52399 Merzenich.