Denkmal der Sozialhistorie

In Mönchengladbach wird die Brandts-Kapelle saniert. Sie gilt als Wiege der modernen Arbeitsschutzgesetze

Die Fenster in der Kapelle wurden fachgerecht gesäubert. Jetzt fällt das Licht wieder ungehindert in den Innenraum. (c) Garnet Manecke
Die Fenster in der Kapelle wurden fachgerecht gesäubert. Jetzt fällt das Licht wieder ungehindert in den Innenraum.
Datum:
7. Juli 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 28/2020 | Garnet Manecke

Die Brandts-Kapelle in Mönchengladbach ist die Heimat des Volksvereins. Das 1896 erbaute Gotteshaus ist heute noch Symbol für den „sozialen und politischen Katholizismus“, auf dem die heutigen Arbeitsschutzgesetze beruhen. Zurzeit wird die Kapelle für rund 1,3 Millionen Euro saniert.

Christian Mörkens hat sich einen Platz in der Baugeschichte der Brandts-Kapelle gesichert. Sogar einen gut sichtbaren Platz. Die Kreuzblume rechts oben über dem Portal ist sein Meisterstück. Aus sandfarbenem Tuffstein hat der 34-Jährige die Kreuzblume gehauen, ganz nach dem Vorbild der früheren Kreuzblume, die total verwittert war.
„Ich wollte etwas machen, was später nicht einfach im Garten rumsteht“, sagt Mörkens. Und weil sein Arbeitgeber, die Jülicher Natursteinwerkstatt Plinz, schon seit zwei Jahren an der Sanierung der Brandts-Kapelle mitarbeitet, nahm er die Gelegenheit wahr. Zwei Monate hat er an dem floralen Werk gearbeitet. Dass der Tuffstein sehr weich ist, war eine Herausforderung. Wer da Hammer und Meißel falsch ansetzt, riskiert, dass große Stücke des Steins abplatzen. Es ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Das ist überhaupt eine wichtiger Faktor bei der Sanierung eines Bauwerks wie die Brandts-Kapelle. 1896 erbaute der Textilfabrikant Franz Brandts das kleine Gotteshaus an der Rudolfstraße, um an seinen Sohn Rudolf zu erinnern. Der war im Alter von 21 Jahren an Tuberkulose verstorben.

Franz Brandts hinterließ der Nachwelt nicht nur die Kapelle. In seiner Fabrik führte er für seine Belegschaft früh soziale Standards ein: Abschaffung der Kinderarbeit, Krankenversicherung, eine geringere Wochenarbeitszeit und Löhne, von denen die Arbeiter leben konnten. Dazu bot der Unternehmer und Gründer des Katholischen Volksvereins Weiterbildungs- und Kulturprogramme an. Vieles, was Brandts damals in seinen Fabriken ausprobierte, war die Basis für heute geltende Sozial- und Arbeitsschutzgesetze.

„Die Kapelle ist das einzige Bauwerk in der Stadt, dass diese Zeit noch so original erhalten repräsentiert“, sagt Johannes Eschweiler, Vorsitzender der Stiftung Volksverein. Der Stiftung gehört die Kapelle, die heute Teil des „Treff am Kapellchen“ (TaK) ist. Hier finden die „kleinen Leute“ eine Heimat: Langzeitarbeitslose, Obdachlose und Flüchtlinge. Aber auch Menschen, mit denen es das Schicksal sehr gut meinte, kommen regelmäßig vorbei und unterstützen das TaK. „Ich bin immer sehr berührt, wenn wieder Menschen aus dem Nutzerkreis die Baustelle besuchen und sich erkundigen, wie die Arbeiten voran gehen“, sagt Architekt Ekkehard Mertens. Er leitet die Sanierung, die im Januar 2019 begann. Auch er spürt diese Verbundenheit, die über das berufliche Interesse hinaus geht. „Ich weiß gar nicht, wie vielen Leuten ich schon hiervon erzählt habe, weil ich voll davon bin“, berichtet Mertens. „Auch im Herzen.“

Gingen die Verantwortlichen anfangs noch von einem Kostenvolumen von 700000 Euro aus, erhöhte sich die erforderliche Summe schnell. „Es gibt ein Foto aus dem Zweiten Weltkrieg, da liegt hier alles in Schutt und Asche. Nur die Kapelle steht noch“, sagt Mertens. Während sie von den Bomben verschont blieb, hat Feuchtigkeit den Mauer in den vergangenen Jahren zugesetzt. „Durch die intensive Nutzung hat sich das Raumklima 
verändert“, erklärt Mertens. Die Fußbodenheizung sei für die Kapelle nicht geeignet gewesen. „In den 1970er Jahren ist man davon ausgegangen, dass das passe.“ Aber die Luftfeuchtigkeit habe sich erhöht und schließlich in den Wänden abgesetzt.
Deshalb ist die Fußbodenheizung entfernt worden. Unter dem Boden liegen nun Leitungen für die Akustikanlage, so dass in Zukunft auch Besucher mit Hörgeräten Predigten, Vorträge und Konzerte besser hören können. Auffallend ist, wie viel Licht in die kleine Kapelle fällt: Alle Fenster wurden fachgerecht gereinigt und erstrahlen nun wieder in ihrer ursprünglichen Farbintensität. Auch die Bilder des Kreuzwegs werden gerade aufgearbeitet. 

 

Aus Kleinstspenden bis zwei Euro kam ein mittlerer fünfstelliger Batrag zusammen

Wer ein solches Gebäude sanieren will, muss sich darauf gefasst machen, dass er unliebsame Überraschungen erlebt. Für das Team um Architekt Mertens war das zum Beispiel beim Abbau der Orgel so. Dahinter offenbarten sich weitere Schäden im Mauerwerk. Mit jeder neuen Entdeckung stiegen die Kosten von den ursprünglich kalkulierten 700 000 Euro auf 1,3 Millionen Euro an. Ein Großteil wird über Zuschüsse aus verschiedenen Fördertöpfen von Bund und Ländern sowie Stiftungen finanziert. Aber etwa 340 000 Euro muss die Stiftung Volksverein selbst durch Spenden aufbringen.

Unermüdlich wird dafür die Werbetrommel gerührt. Besonders der Verkauf von kleinen Steinen aus dem Mauerwerk, die für den Bau nicht mehr zu nutzen waren, war ein Erfolg. „Für mich ist es bewegend zu erleben, wie die Menschen aus dem Nutzerkreis die Sanierung unterstützen wollen“, sagt Mertens. Das tun sie nicht nur mit Interesse am Fortschritt der Bauarbeiten, sondern auch mit Spenden. Ein mittlerer fünfstelliger Betrag hätten sie inzwischen gespendet, sagt Johannes Eschweiler. Zusammengekommen ist der Betrag durch Kleinstspenden von ein bis zwei Euro.

„Das hohe Engagement liegt sicher auch daran, dass Edmund Erlemann hier begraben ist“, glaubt Johannes Eschweiler. Der im November 2015 verstorbene Geistliche gründete 1983 den neuen Volksverein und 2003, zusammen mit den Steyler Missionsschwestern, den Treff am Kapellchen, zu dem die Brandts-Kapelle gehört. Seine letzte Ruhestätte fand er in der Gruft der Kapelle, direkt neben dem Stifter Franz Brandts.

Erlemann ließ eine Werkbank in die Kapelle stellen, die er als Altar nutzte. Zurzeit dient sie als Besprechungstisch. Nach der Sanierung wird sie wieder ihren Platz in der Kapelle finden. Ende September soll alles fertig sein. Statt Kirchenbänke werden dann Stühle im Kirchenraum stehen. „So können wir sie entsprechend der theologischen Angebote aufstellen“, sagt Eschweiler. „Um zu zeigen: Jesus ist in unserer Mitte.“

Sanierung der Brandts-Kapelle

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