Den Todeswunsch aushalten

In Aachen fand der 4. Diözesane Hospiztag statt – rund 80 Teilnehmende im lebendigen Austausch

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Datum:
31. Aug. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 35/2021 | Kathrin Albrecht

„Ich will nicht mehr.“ – Solche Worte fahren einem buchstäblich durch Mark und Bein. Sie fallen in Situationen, in denen alte und kranke Menschen der Mut und die Kraft verlassen. Nach langem Kampf, nach schwierigen Diagnosen. Wie geht man mit solchen Worten um – als Angehörige, aber auch als Arzt oder Ärztin, Seelsorgerin oder Seelsorger?

Raymond Voltz riet den Teilnehmern: „Entspannen Sie sich.“ (c) Kathrin Albrecht
Raymond Voltz riet den Teilnehmern: „Entspannen Sie sich.“

Mit Sterbewünschen umgehen, das war Thema des 4. Diözesanen Hospiztages des Arbeitskreises Hospizseelsorge im Bistum Aachen. Pandemiebedingt um ein Jahr verschoben, konnten in diesem Jahr doch rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bistum Aachen – Pastoral- und Gemeindereferenten, Ehren- und Hauptamtliche in der Hospizbegleitung – in der Aula des Bischöflichen Piusgymnasiums in Aachen zusammenfinden. Keine leichte Kost muteten sie sich damit zu, unterstrich Andrea Kett, Leiterin der Abteilung „Pastoral in Lebensräumen“ des Bischöflichen Generalvikariats. 
Das Thema fordere emotional heraus. Sterbebegleitung erfordere Mut, ebenso die Todeswünsche auszuhalten. Bischof Helmut Dieser erinnerte in einem Grußwort an die lange Tradition der Hospizbewegung im Bistum Aachen und verwies auf die besondere ethische Problematik, die die aktuelle Debatte zur gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids aufwirft. Es sei wichtig, dass sich der Tag diesem Thema stelle und nicht ausweiche. Die verschiedenen Nuancen des Themas herausarbeiten sei die Absicht dieses Tages, sagte Hans Russmann, Diözesanbeauftragter für Hospizseelsorge des Bistums Aachen. Raymond Voltz, Direktor des Zentrums für Palliativmedizin der Uniklinik Köln, führte in das Thema ein und gab den Teilnehmern Anregungen zum Nachdenken. 

Räume für Gespräche öffnen 

Dorothee Jöris-Simon gab eine Einführung in die Trauerarbeit. (c) Kathrin Albrecht
Dorothee Jöris-Simon gab eine Einführung in die Trauerarbeit.

Sein erster Rat: Entspannen, nicht gleich zumachen, wenn das Thema kommt. Es gelte vielmehr zu reflektieren: Warum mache ich zu? Der zweite Schritt sei es, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln und sich über das Ziel des Gesprächs klarzuwerden. „Das ist aber nicht, dass der Todeswunsch verschwindet“, unterstrich Voltz. Denn oft verbergen sich hinter den Sterbewünschen ganz andere Gründe. Dem Patienten nichts eintrichtern, sondern Räume öffnen, sei das Ziel eines Gesprächs. Sagen zu dürfen: „Ich wünschte, es wäre alles vorbei“, sei auch für die Patienten entlastend.

Doch was, wenn sich dieser Wunsch zur Absicht manifestiert? Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Die sogenannte passive Sterbehilfe umfasst eine Bandbreite an Maßnahmen, angefangen von der palliativen Sedierung über die Verweigerung von Essen und Trinken des Patienten bis hin zur indirekten Sterbehilfe. Viel diskutiert ist der assistierte Suizid. Das Bundesverfassungsgericht stellte im Februar dieses Jahres fest, dass das Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben bedeute, was letztlich auch das Recht einschließe, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Vor diesem Hintergrund offenbarten sich auch die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems. „Wir sind nicht gut in der Prävention und in der Sterbebegleitung“, hob Voltz hervor. Wie fließend die Grenzen in diesem Bereich zum Teil sind, berichteten auch Teilnehmer aus eigener Anschauung. Bereits die palliative Sedierung werde sehr emotional diskutiert.

Und was ist mit der Gabe der Sterbesakramente im Falle eines assistierten Suizids? 
Ein Blick nach Belgien könnte hier helfen. Hier entschieden sich die Geistlichen ausgehend von einer Theologie des Scheiterns, auch in diesem Fall bei den Menschen zu sein, sie nicht allein zu lassen.

Fünf Workshops vertieften das Thema weiter von biblischen Beispielen des Suizids über Sterbewünsche bei Palliativpatienten bis hin zu Sterbewünschen im Umfeld des Altenheims. Die Angehörigen nahm der Workshop „Habe ich für meine Mutter alles getan? Trauerarbeit nach schwierigen medizinischen Entscheidungen“ in den Blick. 
Referentin Dorothee Jöris-Simon, Krankenhausseelsorgerin im Aachener Luisenhospital, erlebt diese Frage oft in ihrem Alltag. Aus ihr ergibt sich die Frage, wie wir allgemein über Sterben und Tod sprechen. Auch hier könne eine gute Prävention aus ihrer Sicht helfen: Über das Thema sprechen, wenn es nicht akut ist. Denn dann verliere es auch viel von seinem Schrecken. Doch dies passiere oft nicht.

Über den eigenen Lebensabend und das Lebensende nachdenken schieben viele möglichst weit weg. Eltern möchten ihren Kindern das Thema oft nicht zumuten – oder gehen davon aus, dass sich Kinder selbstverständlich darum kümmern, dass alles im Sinne von Mutter oder Vater geregelt werde. Auch dies löse oft die eingangs gestellte Frage aus, in der Schuld und Schuldgefühle mitschwingen. Jöris-Simons Wunsch vor diesem Hintergrund, dass Eltern ihren Kindern nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben lehren.