Den Absprung wagen

Fastenaktion „7 Wochen ohne... Jammern“ will helfen, die frohe Botschaft wiederzuentdecken

Das geht doch auch anders! – Die Fastenaktion will helfen, von der ewigen Jammerei wegzukommen, und zeigt ihr die rote Karte. (c) www.pixabay.com
Das geht doch auch anders! – Die Fastenaktion will helfen, von der ewigen Jammerei wegzukommen, und zeigt ihr die rote Karte.
Datum:
25. Feb. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 09/2020

Süßes, Fleisch, Rauchen, Auto sind die Klassiker, auf die zwischen Aschermittwoch und Ostern verzichtet wird. Die Pfarrei „Christus unser Friede“ in Herzogenrath-Kohlscheid wagt etwas Neues. Sie lädt ein, aufs Jammern zu verzichten. Pastoralreferent und Initiator Franz-Josef Wolf erläutert im Gespräch mit der KiZ die Idee und was wir gewinnen, wenn wir weniger jammern.

Franz-Josef Wolf mit Literatur. Jammern ist ebenso in Mode, wie damit aufhören zu wollen. (c) Andrea Thomas
Franz-Josef Wolf mit Literatur. Jammern ist ebenso in Mode, wie damit aufhören zu wollen.

Wie ist die Idee entstanden, eine eigene  Fastenaktion anzubieten?

Fasten ist ja eigentlich die klassische Vorbereitung auf Ostern, mit dem Ziel der  eigenen Tauf- und Firmerneuerung. Insofern ist das für sich gar nichts Neues. Nur, dass die klassischen Modelle heißen: „Auf was kann ich verzichten, um mich wieder bewusster mit Leib und Seele dem österlich-neuen Leben zu öffnen?“ Da kann das körperliche Fasten durchaus ein Erfolgsfaktor sein. Ich definiere für mich die Fastenzeit als „Challenge für die österliche Erneuerung“ und habe nach einem Zugang gesucht, der das Verzichten auf etwas in den Blick nimmt, das einem eigentlich zu viel ist. Im Sinne von: Wovon will ich weniger haben. 

 

Warum gerade „7 Wochen ohne… Jammern“? Jammern wir tatsächlich so viel?

Das Erste ist ein kirchenbezogener Zugang. Jammern wir da zu viel? – Ja, das tun wir. Und zwar insbesondere im inneren kirchenverantwortlichen Bereich, aber auch in den Gemeinden. Ich habe zuvor 17 Jahre für die Schervier-Altenhilfe gearbeitet und Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleitet. Da habe ich gelernt, was es heißt, Menschen in direkten Zugang zu ihrem Schöpfer zu bringen, also so etwas wie eine „Reich-Gottes“- und keine „Kirchen“-Pastoral.  Was ich jetzt im Bistumsdienst sehe, ist ein großes Jammern und Zetern über den Fortbestand von Strukturen von Kirche. Wir haben einen sehr wichtigen und gut gestalteten „Heute-bei-dir“-Prozess zur Kirchenerneuerung im Bistum Aachen und den wichtigen bundesweiten Synodalen Weg beschritten.

Und doch fehlt mir in beiden das, was unser Papst Franziskus die „Freude des Evangeliums“ nennt. Natürlich wird in den Papieren der Prozesse sehr wohl geäußert, dass man sich an  einer diakonisch-missionarischen Kirche orientieren will, aber ich vermisse im konkreten Tun diese Freude am Evangelium – der Frohen Botschaft. Mein pastoraler Hauptauftrag sind Jugendarbeit und Firmkatechese. Da frage ich mich häufig, was wir als Kirche jungen Menschen auf ihre Lebenswirklichkeit hin zu geben haben. Oft höre ich ­– wie ein nimmer endendes Mantra – die Frage, wie wir junge Leute heute wieder für uns gewinnen können. Das klingt wie kirchlicher Vampirismus: Suchen wir etwa junge Menschen, um uns „blutsaugend“ als Kirche selbst am Leben zu erhalten? Dabei haben wir doch die schönste und geilste Botschaft, die es überhaupt gibt: jungen Menschen zu sagen, du bist gewollt!  Wir haben doch ein Gottesbild, das  an einen Gott glaubt, der im Innersten menschliche Leidenschaft hat. Der zu Weihnachten Fleisch und Blut geworden ist und an Gründonnerstag und Karfreitag für uns alle im wahrsten Sinne des Wortes Herzblut lässt. Der uns nachösterlich in Taufe und Firmung seine Kraft schenkt, sodass sie seitdem in jedem unserer Atemzüge ist. Das ist eine so tolle Botschaft und von der höre ich gerade in diesen Tagen so wenig.

 

Und was ist der zweite Zugang?

Auch im Gesellschaftlich-Politischen wird viel gejammert. Mir tut das weh, wenn jungen Leuten heute durch Klimaaktivismus und politische Großwetterlage eine Welt suggeriert wird, die vermeintlich  am Abgrund steht. Es geht nicht darum, schönzureden, was schlecht ist. Nach dem Motto, heute ziehen wir uns alle eine  rosarote Brille auf. Es geht um das alltägliche Genörgel, nicht um den Schmerz, den ein Trauernder hat, den Schmerz, wenn jemand eine ernste Diagnose bekommt oder laut aufschreit, weil er sich verletzt hat. Ich glaube, das ist klar.

 

Fasten bedeutet, auf etwas zu verzichten, um etwas für sich zu gewinnen. Was gewinne ich durch den Verzicht aufs Jammern?

Ich glaube, es lässt sich ein großes Stück an Lebensfreude, an Gelassenheit und an Zufriedenheit gewinnen und vor allen Dingen Geduld mit mir selbst und mit  anderen. Letztendlich gewinne ich mehr Leben, dem das Jammern im Weg steht. Damit erfüllt sich eigentlich die größte Osterbotschaft, die wir haben. Die Jesus in die Worte bringt: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und damit ihr  es habt in überschwänglicher Fülle“ (Joh. 10). Das ist, glaube ich, der Hauptgewinn und damit sind wir genau im Herzstück dessen, was Ostern ist, nämlich ein Fest des überschwänglichen Lebens. 

 

Wie profitiert mein Umfeld davon?

Das strahlt ja auch nach außen.  Wir gehen diesen Weg zwar jede und jeder für sich, aber nicht alleine, sondern in Gemeinschaft. Damit das nicht nur auf mein Umfeld ausstrahlt, sondern dieses inspiriert, mitzumachen. Für mich selbst trifft das zu. Meine Frau wird mitgehen. Unsere jugendlichen Kinder vermutlich nicht, aber es ist ein häusliches Gesprächsthema. Da merke ich, dass jetzt schon was wirkt im Hause Wolf. 

 

Wie kann weniger jammern auch unser Denken und Handeln verändern?

Es gibt eine Grundsichtweise, wie Verhalten funktioniert. Als erstes handeln wir unbewusst jammernd. Der zweite Schritt wird sein, vom unbewussten ins bewusste Jammern zu kommen. Deshalb werden wir uns wahrscheinlich auch erlauben, in den ersten Tagen nicht das Jammern zu unterdrücken, sondern das Jammern bewusst zuzulassen und wahrzunehmen. Vielleicht sogar im Sinne einer paradoxen Intervention, es so lustvoll zu tun, dass wir schon bald keinen Spaß mehr am eigenen Gejammer haben. Drittens wird es darum gehen, das, was man bewusst wahrnimmt, zu verändern. Das wird sicher ein Stück Arbeit, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit erfordern. Wir werden in der gesamten Zeit auch Anregungen und Hilfestellungen miteinander austauschen, um konstruktive und gelassen-heitere Gegenmaßnahmen zu finden. Und am Ende wird nach sieben Wochen bewussten Nicht-Jammerns etwas zurückbleiben, was eine bewusste und veränderte Lebensführung mit sich bringt. So wie man nach einer körperlichen Fastenzeit, wenn der Körper sich daran gewöhnt hat, möglicherweise dauerhaft seine Ernährung umstellt. Ich stelle mir das total spannend vor, wenn wir das hier innerhalb unseres Pastoralteams gemeinsam betreiben und wie sich das dann nach sieben Wochen in unseren Dienstgesprächen weiter auswirken wird. Die Kollegen sind auch schon ganz heiß darauf, dass es endlich losgeht.

 

Jammer-Verzicht scheint uns Menschen nicht so ganz leicht zu fallen. Tipps, wie es doch funktionieren kann?

Ich glaube, wichtig ist, sich nicht selbst unter Druck zu setzen, nach dem Motto, jetzt darf ich sieben Wochen kein bisschen mehr jammern. Ich könnte mir vorstellen, eine tägliche Jammerzeit zu vereinbaren, wo man sich jeden Abend – zum Beispiel zwischen sechs und halb sieben – in einem geschützten Umfeld so richtig ausjammert. So ein Puffer-Ventil wird es wahrscheinlich brauchen.  Bei der einen oder dem anderen wird das so sein, dass er danach in alte Muster zurückfällt. Aber ich bin sehr realistisch-optimistisch, dass sich bei den meisten  etwas bleibend verändern wird. Und selbst wenn nicht – sieben Wochen weniger gejammert zu haben, hat ja auch schon einen Wert für sich selbst. 

 

Abschließend noch: Wer kann bei der  Fastenaktion mitmachen und wie wird sie ablaufen?

Sie richtet sich an alle, die des Jammerns überdrüssig sind, losgelöst von Konfession und Kirchenzugehörigkeit. Zwei Wochen vor Beginn hatten wir schon mehr als 30 Voranmeldungen, im Alter von 17 bis 77 Jahren. Wir haben eine eigene  Internetseite (www.kein-gejammer.jimdofree.com) eingerichtet, wo man sich anmelden und auch nach Aschermittwoch jederzeit noch einsteigen kann. Alle ein bis drei Tage wird es einen kurzen Impuls oder eine Anregung geben, um die Sache wach zu halten. Gleichzeitig ist die Idee, dass die Leute, soweit sie mögen, das  Erlebte oder auch Antworten auf die Impulse miteinander teilen – und so eine  lebendige österliche Weggemeinschaft  bilden.

 

Das Gespräch führte Andrea Thomas.