„Fridays for future“ ist in aller Munde, Demonstrationen für den Erhalt von Natur, von Arbeitsplätzen, für bezahlbaren Wohnraum finden seit einigen Monaten medienwirksam statt. Es gilt, für seine Überzeugung einzutreten. Weniger Aufmerksamkeit haben Christen, die seit jeher für ihre Überzeugungen „auf die Straße“ gehen – auf Pilgerschaft, Wallfahrten zu Fronleichnam. Eine Bestandsaufnahme in Gesprächen.
Mit den Worten lässt sich trefflich spielen: Zugang zu Gott finden, für ihn eintreten und sich auf den Weg machen, all das sind Formulierungen, die sich fast von selbst verstehen. Aber es ist letztlich offensichtlich und zu kurz gegriffen.
„Öffentlichkeit macht auch neugierig – das ist auch der Sinn der Übung,“ sagt Birgit Hellmanns, Gemeindereferentin der GdG Meerbusch, schmunzelnd. Anfangs erfordere es Mut, was wohl derselben Sprachwurzel wie das Wort „Weg“ entstamme. „Beides hat mit Wagnis zu tun.“ Wer in die Öffentlichkeit gehe, müsse sich ihr stellen, da könne man sich nicht in eine Ecke drücken, sondern müsse seinen Standpunkt darlegen können. „Das können wir als Christen auf vielfältige Weise.“ Entscheidender Punkt ist für die Gemeindereferentin: „Unsere Botschaft in die Sprache der Zeit übersetzen zu können.“ Ein Sprachgebrauch wie „im 18. Jahrhundert“ decke sich nicht mit der persönlichen Erfahrungswelt der Menschen. „Die Leute stimmen dann mit den Füßen ab“, lautet ihre Erkenntnis. Auch im Wortsinne. Allerdings weist Birgit Hellmanns auf unterschiedliche Formen der Öffentlichkeit hin: Während beim Pilgern der persönliche Weg im Vordergrund stehe, sei es bei Fronleichnam anders: „Ich geselle mich zu einem größeren Ganzen dazu, bei dem das Ziel schon feststeht. Mit dem Fahnenschmuck zeigten die Gläubigen sichtbar Flagge.“
Sich öffentlich als Christ zu zeigen, ist für Regionalvikar Johannes Quadflieg von zentraler Bedeutung: „Für mich ist es wichtig, dass wir den Glauben nicht nur in der Kirche verkünden, sondern bewusst nach draußen gehen. Wir gehen für diesen Jesus auf die Straße, um ihn nicht nur in einen kleinen Raum einzupferchen.“ Damit verbunden sei ein Auftrag. Wie „Jesus zu den Menschen kommen will und die suchenden Menschen ein Stück weit ansprechen will“, sei dies auch die Aufgabe in der Nachfolge Christi. „Jesus suchte bewusst die Konfrontation mit den Kritikern.“ Offen bekennt Felicitas Klein aus Meerbusch ihre kritische Haltung gegenüber der Institution Kirche. Gleichzeitig ist die aktive Pilgerin, die seit 2001 jährlich mit Gleichgesinnten nach Trier zum Grab des heiligen Matthias geht und auch wieder zurück, überzeugt, dass öffentliches Bekenntnis bedeutsam ist: „Für mich ist es wichtig, in der Vielzahl der verschiedenen Konfessionen und Religionen zu zeigen, dass ich zu meinem Glauben in der christliche Gemeinschaft stehe.“ Hans-Willi Pergens, der als Mit-Organisator frisch von der Diözesanwallfahrt der Schützen zurückgekehrt ist, sagt: „Gerade in so einer Zeit, in der Glaube sich zu verstecken droht, ist es wichtig, dass, wenn wir uns schon Christen nennen und aktiv unseren Glauben leben wollen, wir uns auch öffentlich diesem Zeugnis stellen müssen.“
Felicitas Klein beschreibt, wie sie sich jedes Jahr auf die inzwischen feste Gemeinschaft freut. „Wir lernen uns auf unserem Pilgerweg besser kennen, tauschen uns über unseren Glauben aus, auch über das alltägliche Einerlei. Wir geben uns gegenseitig Mut, wenn die Sorgen im vergangenen Jahr groß waren, freuen uns über schöne Begebenheiten, die man erzählt bekommt oder auch selber erzählen kann.“ Jeder Pilger trägt ein Pilgerbuch und ein kleines Kreuz zum Umhängen bei sich. Nach außen hin sind sie auch durch das Kreuz als Pilgergruppe auf dem Weg erkennbar „Was die Menschen, die uns begegnen, darüber denken, können wir natürlich nicht wissen, vor allen Dingen: Wie werden wir gesehen, wenn wir am Moselufer schweigend zur Abtei pilgern?“ Dass im gemeinsamen Unterwegssein Gemeinschaft wachsen kann, das hat Birgit Hellmanns in ihrer GdG im wahrsten Sinne „erfahren“. Einmal im Jahr wird durch die ländlich geprägte Pfarrei eine Fahrradwallfahrt angeboten. Damals war sie entstanden, um die Pfarrei besser kennenzulernen. Gemeinschaftsstiftend ist die Tour mittlerweile, bei der schon Vierjährige eifrig dabei sind. „Das ist eine andere Form von Gesicht Zeigen.“
„Ich nehme wahr: Nach Kevelaer mitgehen oder radeln, das tun auch Menschen, die sonst nicht jede Woche in der Kirche sind oder die nur zu hohen Festen kommen. Sie finden es gut, weil es etwas anderes ist, weil es ,den etwas anderen Glauben leben‘ ist“, ist die Erfahrung von Pfarrer Quadflieg. Abseits des „steifen“ Gottesdienstes in der Kirche Station machen, dort beten, in der Natur. „Das ist eine andere Atmosphäre und spricht viele mehr an.“ Dazu kommt die Verbindung der Generationen miteinander – unterwegs sein, das Teilen beim Picknick gebe gerade auch Senioren die Gelegenheit zu sehen, „dass es nicht nur an uns Alten gelegen ist.“
Von 92 Wallfahrern nach Kevelaer waren zuletzt 32 Kinder und Jugendliche. Das macht Mut. „Manchmal hatte eine Gotteserfahrung, ob klein oder groß, eine Wirkung – für einen selbst, auch für andere nach außen“, sagt Hans-Willi Pergens, der familiär und beruflich eingespannt ist und daher weiß: „Man muss sich ein Stück weit auf eine Wallfahrt einlassen, bevor man sich dafür entscheidet. Man muss sich selbst überzeugen, den Tag zu investieren für den Glauben und für sich selbst.“ Letztlich kehre man mit guten Erfahrungen zurück, denn „man erfährt irgendwann eine bestimmte Tiefe. Ich gehe immer gestärkt daraus hervor.“ – „Das hat mir etwas gegeben“, hätten viele nach der Diözesanwallfahrt gesagt. Außerdem bietet es eine Gelegenheit, Menschen zusammenzubringen – in dem Fall die auf unterschiedlichen Ebenen ehrenamtlich Engagierten von Schützenbruderschaften in der gesamten Diözese Aachen. Um die Menschen zu erreichen, davon ist Birgit Hellmanns überzeugt, „ist es wichtig, dass es in der katholischen Kirche viele Formen des Glaubens gibt. Man muss mit den Grundthemen spielen, sein Herz weiter machen, anders denken. Denn auch eine Erstkommunionvorbereitung ist eine Art von Pilgerschaft, sie wird nur nicht als solche wahrgenommen.“