Mit den flüchtenden Menschen, die uns im Jahr 2015 verstärkt erreichten, rückte das Trauma als Thema neu in den Fokus. Die meisten stammten aus Kriegs- und Krisengebieten. Was sie dort erlebten und auch auf ihrer Flucht nach Europa, prägt viele von ihnen zutiefst. Vom Umgang mit ihren Traumata können wir alle lernen.
Schmerzen gehören zum Leben: körperliche wie seelische. Jeder Mensch macht die Erfahrung, dass er verletzlich ist. In den meisten Fällen hat er alle Mittel an Bord, Verletzungen über kurz oder lang zu bewältigen. Manche können das besser als andere, aber im Prinzip gelingt es Menschen, schmerzliche Erfahrungen einzuordnen und zu einem Alltag zurückzukehren, der durch ein emotionales Wohlbefinden gekennzeichnet ist. Bei traumatischen Erlebnissen sieht das häufig ganz anders aus, wie Jörg Baur von der Katholischen Hochschule NRW Aachen skizziert. Traumata entstehen sowohl bei einmaligen Erfahrungen wie einem Unfall, einem Überfall, einer Vergewaltigung oder einer Naturkatastrophe als auch bei fortgesetzten Erfahrungen wie einer Bürgerkriegssituation, Folterhaft, sexueller Ausbeutung, Leid und Tod auf der dramatischen Flucht. Diese von tiefsten Stressgefühlen, existenziellen Ängsten und atemraubender Ohnmacht begleiteten Erlebnisse hinter sich zu lassen im Sinne eines neuen, erfüllten Lebens, ist wesentlich schwerer. Das gelingt am ehesten, wenn man selbst robuster Natur ist und ein festes soziales Umfeld hat. Und selbst dann ist es nicht ausgemacht, dass man die Traumata wirklich hinter sich lässt. Nicht bewältigt, wirken diese tiefen Verletzungen wie ein chronisches Gift, sagt Jörg Baur. Dieses Gift schleicht sich in die Seele des Betroffenen und in seine sozialen Beziehungen.
Oft wirken sie so auch in die nächsten Generationen der eigenen Familie hinein. Und da ist schon ein Brückenschlag in unsere Gesellschaft, denn zunehmend müssen wir erkennen, dass die Weltkriegserfahrungen vieler deutscher Familien bis heute nachwirken, in bestimmten seelischen Nöten, Riten, Verhaltensformen. Traumata, nicht bewältigt, vererben sich. Bei vielen Geflüchteten kommt erschwerend hinzu, dass nach ihrer Flucht nicht alles in Ordnung kommt. Vielmehr sind sie hier in Deutschland vielfältigen Demütigungen, Gängelungen, Unsicherheiten ausgesetzt. Ihre Würde und persönliche Integrität werden weiter verletzt, häufig wissen sie nicht, ob sie überhaupt bleiben dürfen oder sogar in die Verhältnisse, aus denen sie geflüchtet sind, wieder zurückverfrachtet werden. Sich aus ihren Traumata zu befreien, wenn neue belastende Erfahrungen hinzukommen und ihren Alltag prägen, ist häufig ein Ding der Unmöglichkeit.
Ruhe in dieses Leben zu bringen, damit die eigenen Selbstheilungskräfte wirken können, wie auch all die anderen Talente und Kompetenzen, die geflüchtete Menschen mitbringen: Das sollte ein großes Ziel sein, wie Baurs Kollege Norbert Frieters-Reermann umreißt. Er sieht ein hohes Potenzial in den Neubürgern, das es zu heben gilt. Sie zu beteiligen an ihrem Weg in unsere Gesellschaft, gibt ihnen die Würde zurück, die ihnen oft genug in der Heimat, auf der Flucht und auch bei uns in Deutschland genommen wurde. Bei einer internationalen Fachtagung im Nell-Breuning-Haus Herzogenrath kamen vielfältige Aspekte zur Sprache, die bei einem sensiblen Umgang mit traumatisierten Menschen wichtig sind. Patentrezepte gibt es nicht, schematisches Helfen schadet häufig sogar eher. Jedes Gegenüber hat eine eigene Prägung, durch seine Kultur, durch die Werte seiner Familie und seines Umfelds, durch die Züge seiner Persönlichkeit. Erst so lassen sich viele Reaktionen, Aussagen und Verhaltensweisen von traumatisierten Menschen verstehen.
Hier muss sich jeder Helfende kritisch selbst hinterfragen, ob er vorurteilsfrei genug auf die Geflüchteten zugeht. Und er sollte sich prüfen, aus welcher Haltung gegenüber Leid, Schmerz und Verletzlichkeit heraus er mit Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern über ihre Erfahrungen und Gefühle spricht. Oft sind es gar nicht die akademisch ausgebildeten therapeutischen und ärztlichen Zugänge alleine, die helfen. Ergänzt werden können und sollten sie durch einfache körperliche, meditative, künstlerische Angebote. Sie geben den Betroffenen ein wenig mehr Ruhe und Würde zurück, ein Gefühl, wieder mehr Herr über das eigene Leben und Erleben zu haben. Rituale geben Sicherheit. Und wenn Projekte auch noch Fantasie, Wissen und Tatkraft einbeziehen, um etwas gemeinsam zu gestalten, überdeckt eine neue Erfahrung von Selbstwirksamkeit die Ohnmachtserfahrung des Traumas. All das hat mehr mit dem Alltagsleben der deutschen Gesellschaft zu tun, als die meisten denken, unterstreicht Norbert Frieters-Reermann. Denn viele Menschen, die Hilfe bei Beratungsstellen aufsuchen, die Unterstützung benötigen auf ihrem Weg zu einem gelingenden Leben, haben traumatische Erfahrungen im Gepäck. Das können sexueller Missbrauch, Gewalt in der Partnerschaft, schwere Verluste und vieles mehr sein. Dies zu erkennen und sensibel damit umzugehen, ist eine Herausforderung für alle, die helfen wollen. Letztlich geht diese Aufforderung auch an uns alle, mit wachen Augen durch unsere Welt zu gehen.