Es kam unerwartet: Am 11. Februar hat Abt Friedhelm um seine Entpflichtung als Abt der Benediktinergemeinschaft in Kornelimünster gebeten. Er hat damit die Konsequenzen aus einer mangelhaften Aufarbeitung und einem nicht angemessenen Umgang mit Opfern sexualisierter und körperlicher Gewalt durch frühere Mitglieder des Ordens gezogen. Wie geht die Aufarbeitung nun weiter und wie geht die Gemeinschaft aus aktuell fünf Brüdern damit um?
„Dass Abt Friedhelm Anträge auf Anerkennung des Leids nicht bearbeitet hat, war für uns auch überraschend. Wir dachten, wir wären, was die Aufarbeitung dieser Taten angeht, bereits auf einem guten Weg“, sagt Bruder Antonius Kuckhoff, Sprecher der kleinen Gemeinschaft. Dabei geht es um Taten aus den 1960er und 1970er Jahren, überwiegend im Kontext der Jungen-Realschule mit angeschlossenem Internat, das die Benediktiner zwischen 1948 und 1988 unterhalten haben. Von den derzeitigen Brüdern sei niemand involviert. Umso wichtiger ist es ihnen, diese Fälle nun aufzuarbeiten. Der Schritt ihres ehemaligen Abts ist dabei ein wichtiger.
„Es gibt zwei Wege, Verantwortung zu übernehmen: Ich habe gesehen: Etwas ist falsch, und ich kann und will es selbst besser machen. Oder aber, ich schaffe es nicht, es selbst besser zu machen, aber benenne, was falsch war, trete zurück und mache den Weg frei für andere“, sagt Bruder Antonius. So wie der bisherige Abt Friedhelm, der sich entschieden hat, den zweiten Weg zu gehen.
Neu ist das Thema sexualisierter und körperlicher Gewalt für die Abtei nicht. Körperliche Gewalt sei immer schon ein Thema und leider prägend für die Schule gewesen, sexualisierte Gewalt ist erst seit 2010 Thema. Die Mönche hätten versucht, das relativ offen anzusprechen und auch öffentlich immer wieder in Predigten oder im Rundbrief des Klosters oder in Artikeln thematisiert.
Die Verantwortung für die Aufarbeitung liegt bei den Brüdern. Unterstützt und begleitet werden sie dabei seit dem vergangenen Jahr vom „Ausschuss für unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bereich von Ordensgemeinschaften“ der Deutschen Ordensoberenkonferenz. Die hat im Herbst 2020 ein Konzept erarbeitet, wie Ordensgemeinschaften bei der schwierigen Aufgabe, sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen aufzuarbeiten, unterstützt werden können. Daraus resultierten eine gemeinsame Erklärung, die im Mai 2021 in Kraft gesetzt wurde, und die Gründung des Ausschusses. Zu dessen Aufgaben gehört, die Ordensgemeinschaft in dem Prozess zu beraten, angemessene konzeptionelle Ansätze zur Aufarbeitung zu erarbeiten, den gesamten Prozess zu begleiten, unter anderem durch Berichte, sowie auf Wunsch der Betroffenen Weiterleitung ihrer Anliegen an zuständige interne oder unabhängige Ansprechpersonen. Außerdem legt er die Höhe der Zahlungen zur Anerkennung des Leids fest, die die Ordengemeinschaften zu leisten haben. Dafür haben die Aachener Benediktiner in einen Fonds eingezahlt.
Sie sind eine der ersten Gemeinschaften, die diese institutionelle Unterstützung der Ordensoberenkonferenz in Anspruch nehmen, erklärt Bruder Antonius Kuckhoff. Zwei Mitglieder des Ausschusses begleiteten sie dabei, Ziele zu formulieren, was sie wollen, und auch dabei, den Kontakt zu Betroffenen neu aufzunehmen, um sie an dem Prozess zu beteiligen und ihre Perspektive stärker in den Blick zu nehmen. Geplant ist auch, eine kleine Studie von externer Seite erstellen zu lassen. „Es braucht auch den unabhängigen Blick, um zu betrachten, was dazu geführt hat und was sich verändern muss, damit das nie wieder passiert.“
Was die Aufarbeitung schwierig mache, sei, dass von ihnen zu der damaligen Zeit noch niemand in Kornelimünster war. „Mein Eindruck ist, dass wie in den Bistümern auch wenig bis gar nichts in den Akten zu finden ist. Man wollte das offenbar nicht aktenkundig werden lassen.“ Es ist ein Spagat, wie Bruder Antonius sagt. Zur Aufarbeitung braucht es den Kontakt zu Betroffenen, aber es solle sich niemand gezwungen fühlen, sich bei ihnen zu melden. Deshalb haben sie unabhängige Ansprechpersonen (siehe Kasten) eingebunden. Aufarbeitung müsse unvoreingenommen und umfassend geschehen, aber auch mit Sensibilität gegenüber allen Opfern, zu denen auch die Familienangehörigen der Täter gehörten.
Nach dem Rücktritt ihres Abtes hat sich die Gemeinschaft entschlossen, zunächst keinen neuen Abt zu wählen. Zunächst ist Pater Oliver für ein Jahr als Prior-Administrator der Gemeinschaft eingesetzt. Ein Schritt, der nicht unmittelbar mit den aktuellen Geschehnissen zu tun habe, sondern sich dadurch ergeben habe. „Das passt so nicht mehr für unsere kleine Gemeinschaft. Wie überall in Kirche müssen wir uns neu für die Zukunft aufstellen und schauen, was zu uns gehört und was nicht. Die Aufarbeitung ist ein Element davon“, sagt Bruder Antonius. Diesen Prozess gingen sie jetzt Schritt für Schritt an.
Betroffene können sich an Barbara Geis (E-Mail: hilfe.orden@t-online.
de) und Franz Gulde (E-Mail: fgulde@gmx.de) als unabhängige Ansprechpersonen wenden.
Auch der „Ausschuss für unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bereich von Ordensgemeinschaften“ steht als Anlaufstelle zur Verfügung (E-Mail: betroffenenvernetzung@aufarbeitung-orden.de). Ansprechpersonen sind hier Marie Anne Willemsen und Martin Nitsch.