Es ist kurz um die Mittagszeit am Heiligen Abend, als Elisabeth Bastians die Türe der Kapelle im Krefelder Hospiz am Blumenplatz schließt und die Treppen zu den Gästezimmern hinaufsteigt.
Gemeinsam mit Michelle Engel, der Gemeindereferentin aus Papst Johannes XXIII., hat sie gerade den ökumenischen Weihnachtsgottesdienst gehalten, als ein älteres Ehepaar wartend am Treppengeländer steht und die Koordinatorin der Seelsorge vorsichtig abfängt. „Würden Sie noch einmal mit uns gemeinsam ,Stille Nacht, Heilige Nacht‘ singen?“, fragt die ältere Dame fast schüchtern und hält die Hand ihres Mannes fest umschlossen. Mehr als 50 Jahre hat das Ehepaar selbst gemeinsam das Lied im eigenen Wohnzimmer unter dem Tannenbaum angestimmt. Nun wird es das letzte Mal sein, dass ihm zusammen das liebste Weihnachtsstück über die Lippen geht, denn die ältere, schwerkranke Dame ist hier im Hospiz, um würdevoll in den Tod begleitet zu werden. Während Elisabeth Bastians gemeinsam mit den beiden Eheleuten die Zeilen „Christ, der Retter, ist da“ singt, schließt die Hospizmitarbeiterin den Wert des Moments in ihr Gedächtnis ein. Noch einige Jahre später wird sie sich lächelnd daran zurückerinnern.
Es herrscht eine besondere Stimmung im Hospiz am Blumenplatz in diesen Tagen. Kann im Grunde jeder Tag für die Gäste hier der letzte sein, stellt Leiter Alexander Henes doch fest, dass die Begegnungen rund um Weihnachten besonders intensiv sind. „In Gesprächen hören wir sowohl von unseren Gästen als auch von den Angehörigen oft, dass sie sich wünschen, das Weihnachtsfest noch gemeinsam zu erleben“, schildert der Hospizleiter. „Es ist nur ein Gefühl, aber manchmal glaube ich, dass unsere Gäste dann noch einmal besonders durchhalten. Viele, von denen wir gedacht hatten, dass sie es bis Weihnachten nicht schaffen, überraschen uns heute mit ihrer Stärke.“
Das Team des Hospizes versucht, die Weihnachtszeit für die Gäste und deren Angehörige deswegen so schön wie möglich zu machen. Die Pandemie verändert dabei auch hier die gewohnten Abläufe. „Vor Corona haben wir zum Beispiel am Heiligen Abend gemeinsam gefrühstückt, ein Weihnachtssingen mit Externen im Hof veranstaltet, oder die Gäste konnten mit ihren Familien noch einmal in unseren Besuchsräumen etwas größer den Weihnachtsabend verbringen“, erklärt Henes. „Das geht jetzt natürlich nicht mehr.“ Weihnachten bedeutet eben auch, das Gemeinwohl und die Sicherheit aller im Blick zu halten.
Dennoch vermischen sich in diesen Tagen besondere Sinneseindrücke im Haus: Ehrenamtliche backen unter strengen Coronaregeln frische Plätzchen und verbreiten damit einen köstlichen Duft. Zum Fest wird ein besonders leckeres selbstgekochtes Weihnachtsmenü serviert, Kerzen und weihnachtliche Lichter leuchten aus dem Hospiz-Garten durch die Fenster und das gesamte Gebäude. Vor allem aber die Zimmer der Gäste sind weihnachtlich geschmückt. „Wir können uns nicht immer auf das fokussieren, was kommt und unvermeidlich ist, sondern hier geht es vor allem darum, das Schöne noch einmal in den Vordergrund zu rücken“, schildert der Hospizleiter weiter. Und diese besonders schönen weihnachtlichen Erinnerungen werden durch sinnliche Kleinigkeiten wie das liebste Weihnachtslied, den Geruch nach frischgebackenen Plätzchen oder des Adventskranzes verstärkt.
Auch Elisabeth Bastians als Koordinatorin der Seelsorge hat in diesen Tagen alle Sinne geschärft. Die Krefelderin selbst ist großer Weihnachtsfan und liebt das Zusammenkommen mit der ganzen Familie am Heiligen Abend. Hier im Hospiz aber stellt die Weihnachtszeit eine besondere Jahresphase für sie dar. Suchen Angehörige und Gäste vielleicht etwas intensiver den Kontakt zu ihr, sind es auch ehemalige Angehörige, die sich in diesen Tagen wieder melden. „Zu meinen Aufgaben gehört auch, dass ich nach dem Tod des geliebten Menschen hier im Hospiz Kontakt zur Familie halte, wenn diese das wünscht“, schildert sie. „Es kommt immer wieder vor, dass wir jetzt vor Weihnachten noch einmal gemeinsam den Friedhof besuchen und am Grab miteinander über das sprechen, was passiert ist.“
Zuzuhören ist dabei Bastians Stärke. Einige Zeit arbeitete die Krefelderin als Ehrenamtliche im Hospiz, bis Alexander Henes vor rund zwei Jahren extra für Bastians, die inzwischen diverse Ausbildungen im Bereich der Seelsorge und Betreuung abgeschlossen hatte, eine eigene Stelle im Hospiz schaffte. Seitdem ist sie überkonfessionell Ansprechpartnerin für die Seelsorge und wurde als Koordinatorin der Seelsorge von der Hospiz-Stiftung-Krefeld beauftragt. Sie vermittelt an Geistliche, macht Gottesdienstangebote und ist als Gesprächspartnerin im Haus greifbar.
„Glaube kann in unserem Gespräch ein Thema sein, muss es aber nicht. Es gibt immer wieder Gäste, die zum Beispiel wütend auf Gott sind. Wir haben aber natürlich auch Menschen hier, die gar nicht an Gott oder auch vielleicht an etwas ganz anderes glauben“, schildert sie. „Alles ist erlaubt, denn vor allem ist uns wichtig, individuell zu reagieren und für die Gäste und die Angehörigen da zu sein.“ Und diese Individualität – im Glauben, aber auch im Weihnachtsfest – zu zeigen und zu unterstützen, bekäme in diesen Tagen noch einmal eine andere Bedeutung. „Genau wie ich als Vater eines fünfjährigen Sohnes andere Weihnachtstraditionen habe als Frau Bastians mit erwachsenen Kindern, sind es auch die Traditionen der Gäste, die wir in diesen Tagen, so gut es geht, bewahren wollen“, schildert Alexander Henes. „Denn wir sind ihr letztes Zuhause. Hier feiern sie, ganz gewiss, zum letzten Mal das Weihnachtsfest.“