»Das Wort Sabbat tut mir in den Ohren weh«

Der Journalist Ronen Steinke warnt vor antisemitischen Stereotypen in der Sprache. An welchen Formulierungen macht er das fest?

Ronen-Steinke (c) Hannes Leiblein
Ronen-Steinke
Datum:
20. Juni 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 20/2025 | Gerd Felder

Im Rahmen der Ringvorlesung „Aufklärung statt Ausgrenzung: Antisemitismus im Fokus“ an der RWTH Aachen hat Dr. Ronen Steinke, rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Buchautor und Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt, kürzlich einen Vortrag über das Thema „Antisemitismus in der Sprache“ gehalten.  Woran macht Steinke das fest, welche Formulierungen sollte man vermeiden, und wie schätzt er grundsätzlich den Antisemitismus in Deutschland ein? 

Herr Dr. Steinke, Sie haben den Antisemitismus in der Sprache zu Ihrem Thema gemacht. Kann man Wörter wie „Mischpoke“, „mauscheln“ oder „schachern“ noch guten Gewissens benutzen?  

Ronen Steinke: Dass es im Deutschen eine Reihe von Lehnwörtern aus dem Jiddischen gibt, tut der Sprache zunächst einmal gut. Wenn die Sprache etwas gewürzt ist, ist das als Vorzug zu betrachten. Das Problem  entsteht dann, wenn diese Lehnwörter bei der Übernahme ins Deutsche verdreht werden. „Mischpoke“ steht im Jiddischen einfach für Familie und ist weder positiv noch negativ konnotiert. Im Deutschen bekommt es aber eine dubiose Bedeutung und steht für etwas Sinistres. In dieser Bedeutung sollte man das Wort nicht mehr benutzen, denn bei diesem negativen Beigeschmack hat der Antisemitismus eine Rolle gespielt. Das Wort „mauscheln“ kommt von „Mauschel“, einem abwertenden Spottnamen, der verwendet wurde, um alle Juden zu bezeichnen. „Mauscheln“ würde also zunächst so viel bedeuten wie „reden wie ein Jude“ und bekam dann sogar die Bedeutung „wie ein Schacherjude handeln, betrügen“. Ich habe das Wort völlig aus meinem aktiven Wortschatz gestrichen, weil es einen abfälligen, antisemitischen Charakter hat. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Wort „schachern“. „Sachern“ bedeutet im Jiddischen ganz normal „handeln, Handel treiben“, ohne abwertenden Unterton. Abwertend wird es erst als deutsches Lehnwort, wo es dann so viel heißt wie „übles, feilschendes Geschäftemachen“.      

Steinke studierte Rechtswissenschaft an der Bucerius Law School in Hamburg (c) Hannes Leiblein
Steinke studierte Rechtswissenschaft an der Bucerius Law School in Hamburg

Gibt es auch Lehnwörter aus dem Jiddischen, die nicht verdreht werden und die man deshalb ohne Bedenken benutzen kann?

Ronen Steinke: Ja, „meschugge“ zum Beispiel. „Meschugge sein“ heißt „nicht ganz bei Verstand sein“ oder „verrückt werden“. Ein anderes Wort ist „Masel tov“ für Glückwunsch. Mein liebstes jiddisches Wort ist „Schlamassel“, was so viel bedeutet wie „Unglück, Missgeschick“. Alle diese Wörter sind mit ihrer Originalbedeutung, sozusagen eins zu eins, übernommen worden und deshalb nicht zu beanstanden.   


Warum ist es aus Ihrer Sicht so schlimm, wenn wir in unsere Sprache unbewusst Redewendungen einfließen lassen, die dem ursprünglichen Sprachgebrauch im Jiddischen nicht entsprechen?

Ronen Steinke: Weil die Art, wie wir sprechen, auf die Art, wie wir denken und unsere Mitmenschen sehen, abfärbt. Die Juden werden durch solche Verdrehungen und Sinnentstellungen als Minderheit abgewertet und missachtet. Darin schlägt sich ein Ressentiment nieder, das seit Jahrhunderten gepflegt und zelebriert wird. Antisemitische Ablagerungen in unserer Sprache werden zu Unrecht noch viel zu wenig reflektiert. Man sollte zum Beispiel auch nicht die Formulierungen „Judenfriedhof“, „Judenschule“, „Judenmusik“ oder „Judenliteratur“ benutzen, denn das ist eine Sprechweise, die von den Nazis populär gemacht wurde und heute als toxisch anzusehen ist. Kein Mensch würde von einem „Katholikenfriedhof“ sprechen.   

 

Was halten Sie von Wörtern wie „Sabbat“ und „Passah“, die viel im christlich-religiösen Kontext verwandt werden?

Ronen Steinke: „Sabbat“ tut mir weh in den Ohren, weil es eine deutsche Wortschöpfung ist. Das hebräische Wort „Schabbat“ ist auch für einen Deutschen nicht schwer auszusprechen, und außerdem weiß man in christlichen Kreisen besser, wie der Samstag im Hebräischen richtig heißt. Manchmal gibt es sogar eine penetrante Art, besserwisserisch auf diesem Begriff herumzureiten und sich noch damit zu brüsten. So etwas sollte man sich verkneifen und nur noch von „Schabbat“ sprechen. Ähnlich ist es mit dem Wort „Passah“ oder „Pascha“. Man sollte einfach von „Pessach“ reden, denn das ist der korrekte hebräische Begriff, und indem ich ihn benutze, zeige ich meinen Respekt gegenüber dem Judentum. 


Bleiben wir bei den religiösen Begriffen: Wie sehen Sie die Wörter „alttestamentarisch“, „alttestamentlich“?

Ronen Steinke: Aus christlicher Sicht besitzen diese Begriffe eine gewisse Logik, weil sie das Judentum als Vorstufe und etwas Veraltetes, das Christentum aber als höhere Stufe und etwas Neues bezeichnen. Wenn man sich allerdings in einem neutralen Forum, etwa in der Wissenschaft, bewegt, sind das die falschen Wörter. Dann spricht man besser von der hebräischen Bibel, wie es manche christliche Theologen auch tun.   


Ist „Antisemitismus“ überhaupt der richtige Begriff? Oder müsste man eher zum Beispiel von „Judenhass“ sprechen?

Ronen Steinke: Der Begriff „Antisemitismus“ wurde erst im 19. Jahrhundert geprägt und war zunächst eine Selbstbezeichnung all derjenigen, die Juden nicht wegen ihrer Religion, sondern als Volk, Nation oder Rasse rassistisch ablehnten.  Weil es aus dem Griechischen und Lateinischen gebildet ist, klingt es vermeintlich edel, wie eine normale Geisteshaltung. In Wirklichkeit ist das aber kein unschuldiger, wissenschaftlich-neutraler Begriff, sondern steht für Misstrauen und Vorurteil. Heute hat das Wort allerdings einen kritisch-analytischen Klang. 


Die Linkspartei hat viel Kritik von jüdischen Verbänden und dem Zentralrat der Juden auf sich gezogen, weil sie sich der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus angeschlossen hat und die in Deutschland vertretene Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ablehnt. Wie beurteilen Sie diesen Streit?

Ronen Steinke: Das sehe ich vergleichsweise entspannt. Der Knackpunkt ist, wie viel Kritik an Israel sein darf, und die Jerusalemer Erklärung lässt eindeutig mehr Raum für Kritik an Israel. Beide Definitionen sind in guter Absicht formuliert worden und letztlich zu vage und zu allgemein. Ich würde sie nicht als ganz furchtbar und nicht als ganz toll bewerten. Aus meiner Sicht ist die Jerusalemer Erklärung, der die Linkspartei folgt, okay. 


Darf man als Deutscher und als Nicht-Jude die israelische Regierung kritisieren?

Ronen Steinke: Ja, Kritik an der israelischen Regierung ist erlaubt, wenn man dabei nicht auf antisemitische Klischees zurückgreift und nicht zum Beispiel behauptet, Israel wolle die Welt beherrschen und die US-Regierung manipulieren. Auch die Bundesregierung sollte die israelische Regierung kritisieren, ja sie muss das im Hinblick auf deren Vorgehen in Gaza sogar tun. Ich fände es seltsam, wenn es hierzulande nicht mit Empörung und Entsetzen aufgenommen würde, wenn so viele unschuldige Menschen in Gaza sterben. Ich halte es für gut, dass es Proteste gibt, aber nichts kann es rechtfertigen, wenn man, wie in Berlin geschehen, eine Jüdin, die eine Kette mit Davidstern-Anhänger trägt, sexistisch beleidigt, sie also für das Handeln der israelischen Regierung in Mithaftung nimmt und meint, sich an ihr abreagieren zu dürfen. 


Sie sind Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin. Tragen Sie im Alltag Kippa?

Ronen Steinke: Nur eine Minderheit in der jüdischen Gemeinde Berlin trägt im Alltag Kippa; ich gehöre nicht dazu. Mit meiner Mutter telefoniere ich auf Hebräisch, aber ich vermeide es, in der Öffentlichkeit hebräisch zu sprechen. Es ist schlimm, dass man so vorsichtig sein muss, aber ich sitze nicht auf gepackten Koffern. Man darf den Hassenden keinen Triumph gönnen. 


Viele Menschen in Deutschland teilen antisemitische Vorurteile und Klischees. Welchen Antisemitismus schätzen Sie am gefährlichsten ein: den von rechts, von links oder aus der Mitte der Gesellschaft heraus?

Ronen Steinke: Man sollte das nicht gegeneinander aufwiegen, aber den von rechts schätze ich am gefährlichsten ein. Es ist tatsächlich erschreckend, dass der Antisemitismus in einem solchen Ausmaß zunimmt. Wir dürfen aber nicht verzagen und nicht aufgeben. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Zur Person

Ronen Steinke ist promovierter Jurist und Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Hauptberuflich arbeitet er als Leitender Redakteur im Politikressort der Süddeutschen Zeitung. Für seine Artikel und Bücher ist er unter anderem mit dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ausgezeichnet worden.

Das Verhältnis zwischen Recht und Politik war Gegenstand von Ronen Steinkes Dissertation im Jahr 2011, bezogen auf die internationale Strafjustiz. Und es ist auch seither sein zentrales Interesse geblieben.