Das Wichtigste ist Zuhören

Vor ihrem Einsatz in der Telefonseelsorge machen die Ehrenamtlichen eine eineinhalbjährige Ausbildung

Verzweiflung wirkt erdrückend. Über die Sorgen zu reden, kann erleichtern. (c) www.pixabay.com
Verzweiflung wirkt erdrückend. Über die Sorgen zu reden, kann erleichtern.
Datum:
8. Sep. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 36/2021 | Garnet Manecke

Wenn bei der Telefonseelsorge der Apparat klingelt, bedeutet das immer: Krise. Das Team in der Zentrale für Düren-Heinsberg-Jülich hört zu, wenn die Welt aus den Fugen gerät. Dafür wurden sie in einem speziellen Kurs ausgebildet. Wer sich für das Ehrenamt interessiert, muss bestimmte Fähigkeiten mitbringen. Myga Hünewinckell erklärt, wie die Ausbildung verläuft.

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr im ganzen Jahr besetzt. Wer sich dort engagieren möchte, macht vorab eine Ausbildung. (c) www.pixabay.com
Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr im ganzen Jahr besetzt. Wer sich dort engagieren möchte, macht vorab eine Ausbildung.

Manchmal ist am anderen Ende ein Schluchzen zu hören, manchmal wispern die Anrufer nur leise, manchmal schweigen sie: Wie auch immer das Gespräch verläuft, es geht um einen Tiefpunkt im Leben. Einsamkeit, Trauer, Wut, Traurigkeit, Arbeitslosigkeit, Trennung: Das Gefühl der Mutlosigkeit kann jeden treffen. Dann braucht man jemanden zum Reden: die Frauen und Männer der Telefonseelsorge.

Auf diese Aufgabe werden die Ehrenamtlichen eineinhalb Jahre lang vorbereitet. „In den Gesprächen müssen sie Distanz wahren und gleichzeitig einfühlend sein“, sagt Myga Hünewinckell. „Daher ist es ganz wichtig, dass sie ihre Grenzen und eigenen Themen kennen.“ Wo die liegen, entdecken sie in dem Kurs. „In der Vorbereitung arbeiten wir sehr viel über Selbsterfahrung“, erklärt Hünewinckell. In praktischen Übungen wird ausgetestet und darauf geachtet, welche eigenen wunden Punkte bei den Gesprächen berührt werden, wie man auf bestimmte Informationen reagiert oder wie nah einem das Schicksal des Gesprächspartners geht.

Auch wenn man viel über sich selbst und seine Themen lernt: Eine Therapie ist die Ausbildung nicht. Ob das Ehrenamt als Telefonseelsorger die richtige Aufgabe ist, können Interessierte schon bei der Bewerbung feststellen. Der erste Schritt ist der Anmeldebogen, mit dem man Informationsmaterial und die Bewerbungsunterlagen anfordern kann. Mit der Beantwortung der Fragen auf dem Bewerbungsbogen bekommt man schon einmal eine Idee, worum es geht.

„Wir beschreiben dabei Eingangssituationen, zu denen die Bewerber angeben, wie sie damit umgehen würden“, sagt Hünewinckell. Es gebe dabei keine richtigen oder falschen Antworten, stellt sie klar. Die Anwärterinnen und Anwärter sollen angeben, wie es ihnen mit der Situation geht, welche Erinnerungen bei ihnen selbst aufkommen oder welche Schlüsselwörter ihnen auffallen. „Es ist wichtig, Dinge in Worte zu fassen“, sagt Hünewinckell. Wer zum Beispiel sagt, dass ihn ein Gespräch beklemmt und er am liebsten auflegen würde, macht den Weg frei, mit der Situation professionell umzugehen und öffnet sich für Lösungen.

In den ersten Monaten der Ausbildung, die zum Teil online über Videounterricht und zum Teil in Präsenzunterricht stattfindet, übernehmen die Teilnehmer die Rollen der Klienten. Je weiter die Ausbildung fortschreitet, umso öfter lernen die Neuen bei der Telefonseelsorge „on the job“. Begleitet übernehmen sie den Dienst und führen die Gespräche mit Unterstützung von erfahrenen Kollegen.

Das Interesse an der Mitarbeit in der Telefonseelsorge ist im Raum Heinsberg sehr groß. „Unser Standort ist aber in Düren“, sagt Hünewinckell. Der Dienst wird ausschließlich von der Zentrale aus geleistet. Das hat zum einen datenschutzrechtliche Gründe. Die Hilfesuchenden bleiben genauso wie die Zuhörenden anonym. Der zweite Grund ist der Schutz für die Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger. „Der private Raum ist ein Schutzraum“, betont Hünewinckell. „Es ist nicht gut, wenn ich mir die Krisen in meinen eigenen sicheren Raum hole.“

 

>>Es ist sehr wichtig, seine eigenen Grenzen zu kennen.<<

Myga Hünewinckell

 

Warum der Eigenschutz so wichtig ist und wie man auch bei den schlimmsten Schicksalen die nötige Distanz wahrt, wird in der Ausbildung gelernt. Zuhören ist die Basis. Aber manchmal fällt es eben schwer. Dann möchte man seinem Gegenüber einen guten Ratschlag geben. Genau hier fängt die Professionalität an. „Das Gespräch ist ein wenig wie ein Tanz, bei dem sich ein guter Rhythmus ergibt“, sagt Hünewinckell. Aber es ist kein Gespräch unter Freunden. Die Gesprächsführung muss seelsorgerisch bleiben. Es geht immer um die Anrufer. Eigene Probleme und Themen haben da nichts zu suchen. Deshalb werden auch Fragetechniken geübt. „Es geht am Ende nicht darum, in den Gesprächen zu einer Lösung zu kommen“, betont die Seelsorgerin. „Sondern mit den Fragen dem anderen zu helfen, einen neuen Blick auf seine Situation zu bekommen.“

Dabei machen die Teilnehmer eine wichtige Erfahrung: Man muss gar nicht zu allem etwas sagen. „Zuhören, mittragen, mitfühlen ist schon so viel“, ist die Erfahrung von Hünewinckell. Obwohl man viel über sich selbst lernt, sollte man für das Ehrenamt einige Eigenschaften mitbringen. Eine stabile Psyche ist wichtig, um auch mit belastenden Situationen umgehen zu können. Auch eine gewisse Lebenserfahrung ist förderlich. Interessierte sollten daher im Alter von 27 bis 65 Jahren sein. Zurzeit arbeiten 60 Frauen und Männer im Team der Telefonseelsorge Düren-Heinsberg-Jülich, weitere werden gesucht. Der nächste Informationsabend findet am 21. September in Düren statt. Die Ausbildung beginnt im November.

16 Stunden Dienst leisten die Ehrenamtlichen im Monat – auch an den Wochenenden, abends und nachts. Nur so kann die 24-Stunden-Erreichbarkeit an 365 Tagen im Jahr gewährleistet werden. Im Jahr sollte jeder mindesten fünf Nachtdienste übernehmen.
Vergangenes Jahr sind über 11000 Anrufe eingegangen. Wobei das Telefon nicht das einzige Kommunikationsmittel ist. Auch über E-Mail erreichen die Seelsorger Anfragen. 2020 gingen 408 E-Mails raus, in denen die Hilfesuchenden Rat und Trost fanden. Ihre Sorgen schriftlich zu formulieren, hat für die Betroffenen schon eine heilende Wirkung.
Im Bistum Aachen gibt es derzeit drei Telefonseelsorge-Stellen: Neben Düren-Heinsberg-Jülich (zum nächsten Ausbildungsstart siehe Seite 18) sind auch Krefeld-Mönchengladbach-Rheydt-Viersen und Aachen-Eifel rund um die Uhr erreichbar. In Düren hat man die Erfahrung gemacht, dass sich für die Interessierten schnell herauskristallisiert, ob der Dienst wirklich zu ihnen passt. „Seit Februar haben wir um die 40 Anfragen“, sagt Hünewinckell. 35 haben sich zur Erstinformations-Veranstaltung angemeldet. Den Bewerbungsbogen haben elf Interessierte erhalten, davon haben ihn bisher acht Personen ausgefüllt wieder an die Telefonseelsorge zurückgeschickt.

„Diejenigen, die diesen Schritt gehen, machen in der Regel dann auch weiter“, sagt die Koordinatorin. Auch wenn es nicht ein „einfach-mal-so-machen-Ehrenamt“ sei, sei es doch sehr erfüllend. „Man lernt einfach sehr viel über sich selbst.“ Wer sich dafür entscheidet, nimmt in den ersten Monaten der Ausbildung jeden Dienstagabend an einer Schulung teil. Zum Ende der Ausbildung finden die Schulungen jeden zweiten Dienstag statt – sowohl online als auch in Präsenzseminaren. Daher ist es wichtig, dass Bewerber über einen Internetanschluss und einen Computer verfügen.