Das Ringen um das Tierwohl

Ist Biofleisch ethischer als Billigfleisch? Experten gaben dazu in einer Diskussionrunde überraschende Statements

Frische Luft und Bewegungsfreiheit im Stall sind Komponenten, damit sich Tiere wohl fühlen. Letzten Endes sei das aber auch keine artgerechte Haltung, sagt Bio-Landwirt Christoph Leiders. (c) Garnet Manecke
Frische Luft und Bewegungsfreiheit im Stall sind Komponenten, damit sich Tiere wohl fühlen. Letzten Endes sei das aber auch keine artgerechte Haltung, sagt Bio-Landwirt Christoph Leiders.
Datum:
6. Apr. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 14/2022 | Garnet Manecke

Um das Tierwohl wird heftig gestritten: Was ist eine artgerechte Haltung? Ist Biofleisch wirklich besser als Fleisch aus konventioneller Landwirtschaft? Und was wiegt mehr: Das Recht der Tiere auf ein gutes Leben, bevor sie geschlachtet werden, oder das Recht des Verbrauchers auf möglichst niedrige Lebensmittelpreise? Bei einer Diskussion im Rahmen des Projekts „Schwein haben“ kamen diese Fragen auf den Tisch.

Es ist ein Mysterium: In Umfragen erreicht die Zustimmung, dass auf das Tierwohl zu achten sei und Verbraucher dafür auch höhere Fleischpreise bezahlen würden, Werte von 70 bis 95 Prozent. Schaut man aber darauf, was wirklich gekauft wird, liege der Anteil aus Bio-Haltung bei Geflügel bei 2,6 Prozent, bei allen anderen Fleischsorten hat Bio-Fleisch nur einen Anteil von 3,6 Prozent, berichtet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in seinem 2020 veröffentlichten Öko-Barometer. Dabei ist der Verkauf von Fleisch aus Bio-Haltung um 70 Prozent bei Geflügel und bei allen anderen Fleischsorten insgesamt um 51 Prozent gestiegen. Wie kommt dieses Missverhältnis zwischen geäußerter Absicht und tatsächlicher Nachfrage zustande?

Das war eine der Fragen, die in der Jugendkirche St. Albertus gestellt wurden. Auf Einladung des KAB-Diözesanverbands Aachen und der Katholikenräte in Heinsberg und Mönchengladbach stellten sich der konventionelle Schweinezüchter Thomas Genfeld, der Bio-Landwirt Christoph Leiders sowie der Tierwohlberater Theo Lenzen und Gerlinde von Dehn, Tierschutzbeauftragte im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW, diesen Fragen.

Ein Schlüsselsatz in der Diskussion um die Möglichkeiten, die Landwirtschaft auf ökologische Produktion umzustellen, fiel gegen Ende des Abends. „Dass Menschen mit geringerem Einkommen mehr Fleisch essen als Menschen mit hohem Einkommen, gab es noch nie“, sagte Christoph Leiders. Das oft als Argument angebrachte „Recht auf Fleisch“, das sich bei höheren Preisen Geringverdiener nicht mehr leisten könnten, sei nur mit industrieller Produktion zu befriedigen.

Auch bei der Frage nach der artgerechten Tierhaltung räumte Leiders mit romantischen Vorstellungen auf. „Wir setzen die Ferkel von der Muttersau erst nach 50 Tagen ab“, sagte er. „Artgerecht ist das auch nicht. Aber besser als nach 20 Tagen.“ In der konventionellen Landwirtschaft der Haltungsform 1 werden die Ferkel nach knapp drei Wochen von der Mutter getrennt. Artgerechte Tierhaltung sei für ihn vor allem eine Frage, wie man mit den Tieren umgeht.

In seinem Betrieb, dem Stautenhof in Willich-Anrath, schlachten die Landwirte selbst. Pro Woche werden dort drei bis sechs Schweine geschlachtet. Das Fleisch und die Wurstwaren werden über den Hofladen verkauft. Der Umgang mit den Tieren ist entsprechend anders. „In großen Schlachtbetrieben müssen die Leute abstumpfen, sonst könnten sie ihren Job nicht machen“, sagt Leiders. „Wenn man 600 Schweine in der Stunde tötet, kann man nicht mehr darüber nachdenken, ob die gut gelebt haben oder würdig gestorben sind.“ 
Ein Punkt, dessen sich auch Verbraucher bewusst sein müssen, wenn sie zu niedrigpreisigen Fleischprodukten greifen. Aber auch wenn sie lieber Fleisch von Tieren essen wollen, die zu Lebzeiten gut behandelt wurden, müssen Fleischesser erkennen können, welche Produkte aus einer Haltungsform stammen, die das Etikett „Tierwohl“ auch verdient. Denn was darunter zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht klar geregelt. Die gesetzlichen Mindestanforderungen sehen für ein Schwein den Platz von 0,72 Quadratmetern im Stall vor – ohne Stroh und Wühlmöglichkeiten.

Trotz vieler Siegel bleibt die Haltung der Tiere für die Verbraucher oft intransparent

Sie diskutierten um das Tierwohl: Gerlinde von Dehn, Christoph Leiders und Theo Lenzen (v. l.). Thomas Genfeld war online zugeschaltet. (c) Garnet Manecke
Sie diskutierten um das Tierwohl: Gerlinde von Dehn, Christoph Leiders und Theo Lenzen (v. l.). Thomas Genfeld war online zugeschaltet.

Weil aber Produzenten und Handelsketten zu den offiziellen Siegeln der Bioverbände und der EU eigene Siegel entwickeln, die oft nur der Werbung dienen, fehlt es an Transparenz für die Verbraucher, bemängelt die Verbraucherzentrale. Daran ändert auch das am 1. April 2019 eingeführte „Tierwohl-Siegel“ der „Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung“ nichts. Das Label zeigt, aus welcher Haltungsform es kommt: 
1, 2, 3 oder 4. Wobei 1 die Haltung ist, die lediglich die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt. Haltungsform 4 hat als „Premium“ die höchsten Standards: Die Tiere haben Auslauf im Freien und im Stall deutlich mehr Platz. Für Schweine gilt mindestens 1,5 Quadratmeter pro Tier. Zudem darf nur Futter ohne Gentechnik verwendet werden.

Das Problem mit dem Label: Es gibt zwar eine Orientierung, aber faktisch werde kaum Fleisch der Haltungsformen 3 und 4 in Supermärkten angeboten, kritisiert die Verbraucherzentrale. Wo kein Angebot ist, kann der Kunde nicht wählen. Kunden greifen lieber zum billigeren Fleisch, argumentiert der Handel, warum nicht mehr Fleisch aus Haltungsformen 3 und 4 angeboten würde.

Thomas Genfeld betreibt seine Ferkelzucht nach den Standards der Haltungsform 2. Auch er nennt den Zielkonflikt zwischen Forderung nach dem Tierwohl und geringer Bereitschaft, mehr Geld auszugeben, als Grund dafür. Zudem stehe mehr Tierwohl im Konflikt mit Umweltschutz. „Der Platzbedarf für die Tiere vergrößert sich, gleichzeitig kann man nur eine geringere Zahl an Tieren halten“, sagt er. „Die Investitionskosten aber müssen wieder erwirtschaftet werden. Die Aufschläge, die dafür bezahlt werden, sind nicht kostendeckend.“ Zudem verhindere geltendes Baurecht oft das Vergrößern der Ställe.
Dem Vorurteil, konventionellen Landwirten seien ihre Tiere egal, stellt sich Theo Lenzen entgegen. Seit 23 Jahren berät er Landwirte im Kreis Viersen. „Tierwohl sind immer die Grenzen des Machbaren“, sagt er. „Der Landwirt an sich ist in der Regel ein großer Tierliebhaber. Die Entwicklungen in der Landwirtschaft haben sich ja wegen der Anforderungen des Marktes ergeben.“ Letztlich müsse man die Gesellschaft in die Pflicht nehmen. Für Verbesserungen müssten die Landwirte unterstützt werden.

Ihrem Anspruch, den Schutz der Tiere in den Vordergrund zu stellen, werde die Gesellschaft nicht gerecht, sagt auch Veterinärin Gerlinde von Dehn. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass alles was wir anhaben, jeder Farbstoff, jede Faser irgendwann mal an einem Tier auf Verträglichkeit getestet wurde“, sagt sie. „Wir leben von den Tieren. Wir können ohne sie nicht leben, sie aber ohne uns.“ Aber in der nächsten Generation wachse mit dem Thema Klimawandel auch ein neues Bewusstsein. „Keines meiner fünf Kinder isst Fleisch“, sagt von Dehn. „Da gibt es eine Generation, die anders damit umgeht.“
Beim Aspekt Umwelt wird auch Landwirt Leiders, der 2021 „Landwirt des Jahres“ wurde, deutlich. Seine Botschaft als Fleischproduzent überrascht: „Wir müssen den Fleischkonsum deutlich reduzieren“, sagt er. „Das ist besser für die Umwelt und für einen selber. Vegetarisch zu leben ist der Königsweg.“