Klaus Hemmerle wäre am 3. April 90 Jahre alt geworden. Der 1994 verstorbene Aachener Bischof hat der deutschen Kirche viele wegweisende Worte, Bilder, Denkfiguren hinterlassen, die ihr bei der Bewältigung der aktuellen Krise und ihrer Suche nach Zukunftswegen behilflich sein können. Eine Tagung in Aachen zeichnete das nach.
Was hat uns jener Theologe, der schon so lange tot ist, heute noch zu sagen? In seinen sorgfältig dokumentierten Texten schlummern mächtige Sätze, die Orientierungen geben können. Allerdings gilt es dafür hohe Hürden zu nehmen: Bei allem Bemühen um Verständlichkeit begegnet einem dieser Hemmerle oft ausgesprochen sperrig, weil das Gedankengebäude dahinter so komplex ist. Unterzieht man sich dieser Mühe, auch als junger Mensch, dann erwarten einen inspirierende Ermutigungen und Herausforderungen. Man muss sich regelrecht reiben an Hemmerle, um zu einer eigenen Haltung zu kommen. Was dabei herauskommen kann, zeigte die Tagung von Bischöflicher Akademie und Klaus-Hemmerle-Werk: zwei Tage dichten Denkens und noch lange nicht am Ende. Junge Frauen und Männer sprachen mit Menschen, die sich seit Langem mit Hemmerle beschäftigen und ihn persönlich kannten. Aus den Begegnungen entstanden programmatische Aussagen, die in Aachen auf den Tisch gelegt wurden.
Nur ein paar Kernthesen bereits verdeutlichen, welchen Beitrag Hemmerle zur Zukunftsdiskussion leisten kann. Etwa in der Frage des Umgangs mit der Jugend: Diese erwarte eine unmöblierte Kirche – eine Partnerin, die nicht mit fertigen Antworten und moralischen Ermahnungen daherkomme, sondern Räume öffne, die Suche nach persönlicher und religiöser Identität selbst zu gestalten. So könnten Jugendliche und junge Erwachsene als Propheten des eigenen Lebens Gott als ihren Begleiter entdecken. Dieser Ansatz Hemmerles, die Institution zurückzunehmen gegenüber dem persönlichen Lebenszeugnis, könnte ein Dreh- und Angelpunkt bei vielen aktuellen Diskussionen sein. Mit seiner Art, von Gott zu sprechen, liefere Hemmerle ein Rezept gegen Übergriffigkeit und Machtmissbrauch in der Kirche. Wer immer unter der Grenze des Sagbaren bliebe, erstarre und bleibe banal, im schlimmsten Fall, um bestehende Machtverhältnisse zu zementieren. Wer allerdings ständig über die Grenze steige, werde unverständlich. Also mache es am Ende doch wieder die Mischung. Über die Flut von Predigten und weiteren geistlichen Worten aus dem Raum der Kirche gerate häufig aus dem Blick, um was es im Glauben gehe, hieß es in Aachen: um ein gelingendes Leben. Von Hemmerle hingegen könne man Leben lernen. Er stelle den Ruf in den Mittelpunkt, den Gott an jeden Menschen richte, als Orientierung für das eigene Leben. Hemmerle spreche so die Einladung aus, Berufung nicht auf eine Funktion oder Rolle in der Kirche zu reduzieren. Vielmehr gehe es um ein tiefes Verständnis dessen, was es heißt, Mensch zu sein.