Die Welt ist nicht größer, aber schneller geworden. Auch wenn in Folge der Einschränkungen durch Covid-19 aktuell nur wenige Flugzeuge den Hangar verlassen, befinden wir uns in einer globalisierten Welt. Der Aufmerksame, der hinter die Vorhänge blickt, stellt dabei fest: Durch die Globalisierung sind die Menschen einsamer geworden. Laut einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft fühlt sich fast jeder zehnte Deutsche alleine. Und auch die steigende Zahl der Ordnungsamtbestattungen zeigt: Viele Menschen sterben in Einsamkeit.
Sowohl Ulrike Gresse als auch Erhard Beckers erleben diese Entwicklung jeden Tag. Gresse ist Seelsorgerin an der Grabeskirche St. Elisabeth und Beauftragte für die Trauerbegleitung in der Region Mönchengladbach. Beckers hat vor mehr als zehn Jahren gemeinsam mit anderen ehrenamtlichen Mitstreitern den Krefelder Begräbnisbund gegründet. „Schon Christus sagte: 'Ich habe dich bei deinem Namen genannt'“, erklärt Beckers. „Im Tod sollte niemand alleine sein.“ Und auch Gresse betont: „Jeder getaufte Mensch gehört einer christlichen Gemeinschaft an, auch wenn er alleine lebte oder aus unterschiedlichsten Gründen kaum Kontakt zu dieser Gemeinschaft gesucht hat. Diese Verbindung sollte sich in Ritualen und Worten wiederspiegeln können.“
Der Krefelder Begräbnisbund begleitet in jedem Jahr etliche Menschen auf dem letzten Weg. Stellt das Ordnungsamt keine Verwandten fest, wird ein Bestatter beauftragt, der den Verstorbenen zu Grabe trägt. Dieser meldet sich dann beim Begräbnisbund. „Wir sehen den Ritus der Bestattung als Wertschätzung für das gelebte Leben mit Höhen und Tiefen an“, erklärt Beckers. „Jemanden anonymisiert zu bestatten, bedeutet, ihm diese Wertschätzung nicht zuteilwerden zu lassen.“
Der Begräbnisbund versucht, die biografische Geschichte des Verstorbenen aufzuarbeiten. Dazu hören sich die ehrenamtlichen Mitglieder in der Nachbarschaft des Toten um, sie durchforsten das Internet oder versuchen herauszufinden, wo der Verstorbene gearbeitet hat. „So können wir am Grab selbst noch einige persönliche Worte sagen“, schildert der ehemalige Geschäftsführer des Krefelder SKM. „Dann legen wir Blumen nieder und stellen eine Steinplatte mit Namen auf.
Es geht immer darum, die Individualität jedes Einzelnen auch im Tod beizubehalten.“
Außerdem finden zwei Mal im Jahr Erinnerungsgottesdienste statt, die Namen der Verstorbenen werden dann laut vorgelesen. Für jeden schaltet der Begräbnisbund außerdem eine Traueranzeige in der Zeitung. „Immer wieder erleben wir es, dass auf einmal alte Bekannte der Verstorbenen in den Kirchenbänken sitzen“, beschreibt Beckers. „Das ist ein gutes Gefühl.“
Zwar ist der Begräbnisbund ökumenisch und bestattet Menschen jeden Glaubens und auch Atheisten, das Leitbild des Vereines ist aber christlich geprägt. „Es gibt zwei Blickrichtungen bei einer Bestattung“, erklärt Gresse. „Auf der einen Seite wertschätzen wir unser gelebtes Leben und auf der anderen Seite ist eine Bestattung ein Ausblick auf das, was uns der Glauben verspricht: ein ewiges Leben, eine gute Zukunft – jenseits des Todes.“ Gerade deswegen sei es wichtig, anonymisierten Bestattungen entgegen zu wirken.
Im Jahr 2016 hat die vatikanische Glaubenskongregation in seiner Instruk-tion „Ad resurgendum cum Christo“ (Zur Auferstehung mit Christus) für Klarheit im Umgang mit der Asche Verstorbener geschaffen. Hier nimmt die katholische Kirche auch Stellung zur Bestattung beispielsweise in einem Friedwald. „Die katholische Kirche lässt die Bestattungen außerhalb eines Friedhofes oder einer Grabeskirche zu, aber nur, wenn hier der genaue Bestattungsort gekennzeichnet und der Name des Verstorbenen ausgewiesen ist“, erklärt die Trauerseelsorgerin. Außerdem sei bei der Gestaltung der Trauerfeier darauf zu achten, dass Vorstellungen vom „Kreislauf der Natur“ nicht den Glauben an die konkrete Auf-erstehung überdecken. Gresse ergänzt: „Es sollte keine Entsorgungsmentalität für Tote entstehen. Aus christlicher Sicht tragen wir Sorge dafür, dass die Würde des Menschen über den Tod hinaus bewahrt wird.“
Und dass der Mensch die Gewissheit darüber braucht, dass er im Tod nicht vergessen wird, zeigen die Erfahrungen, die Erhard Beckers in den vergangenen Jahren gesammelt hat. „Viele Menschen melden sich bei uns, um mit uns über den Tod zu sprechen“, erklärt er. „Das sind nicht immer Alleinstehende. Oft sind es auch Krefelder, die ihrer Verwandtschaft nicht zur Last fallen möchten. Zu wissen, dass sich jemand kümmert, verändert
ihren Blick.“ Der 70-Jährige selbst kam schon früh mit dem Tod in Berührung.
Als er 19 Jahre alt war, starb seine Mutter. Zu trauern und am Grab Abschied zu nehmen, haben den Sozialpädagogen geprägt. „Wer trauert, begreift, dass unser Leben endlich ist“, erklärt er. „Ich weiß mein Leben dadurch anders zu schätzen.“
Für Beckers gehört dazu auch, dass er in seinem Engagement für andere nicht stehen bleibt. Im letzten Jahr hat der Begräbnisbund deswegen die erste Gemeinschaftsgrabstätte in Krefeld ins Leben gerufen. Mit dem Gedanken, den Bund des Menschen auch über den Tod hinaus weiterzutragen, können sich Krefelder zu Lebzeiten dafür entscheiden, nach ihrem Tod im Gemeinschaftsgrab auf dem Hauptfriedhof bestattet zu werden.
„Bisher haben wir fünf Verträge abgeschlossen und mit zwölf Menschen Gespräche geführt“, sagt Beckers. „Ich selbst habe mich dafür entschieden, in diesem Grab bestattet zu werden.“ Auf dem Gemeinschaftsgrab sind Erd- und Urnenbestattungen möglich, die Kosten für die Bestattung und auch für die spätere Grabpflege werden gemeinsam mit dem Vertrag hinterlegt. „Es ist auch möglich, Wünsche für die Bestattung oder die Trauerfeier anzugeben“, beschreibt Beckers. „Wenn es Verwandte gibt, müssen die sich nach dem Tod ihres Familienmitgliedes um nichts mehr kümmern.“
„Den Verwandten keine Sorgen zu machen“ – eine Aussage, die früher für Irritation gesorgt hätte, ist heute für viele Menschen normal. Auch Ulrike Gresse weiß, dass sich die Bestattungskultur in den letzten Jahren verändert hat. „Früher war es üblich, dass das ganze Dorf mit zu einer Beerdigung ging. Die Gemeinschaft trug bis in den Tod und die Trauernden über den Tod hinaus“, schildert sie. Heute gehöre es zur Realität, dass Menschen in aller Stille beigesetzt werden oder auch sehr individuelle Wünsche im Rahmen der Trauerfeier oder der Totenfürsorge umsetzen möchten. „Für mich wirkt das so, als würden die Hinterbliebenen den Toten für sich beanspruchen. Wir müssen aufpassen, dass sich die Bestattungskultur nicht ausschließlich in Richtung Individualität verschiebt“, erklärt sie. Denn Trauer zuzulassen, darüber sind sich Gresse und Beckers einig, und den Menschen an Gott zu verabschieden, sind wesentliche Elemente einer tröstlichen, christlichen Bestattungskultur.