Das Geschenk der Freiheit

Das St.-Ursula-Gymnasium Aachen greift das Thema des Gleichnisses vom verlorenen Sohn als Musical auf

Zwei Brüder, zwei Lebenswege: Gibt es einen richtigen und einen falschen? (c) Andrea Thomas
Zwei Brüder, zwei Lebenswege: Gibt es einen richtigen und einen falschen?
Datum:
11. Jan. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 02/2023 | Andrea Thomas

Was wiegt schwerer, persönliches Glück oder soziale Verantwortung? – Wie viel Anerkennung brauche ich? – Gibt es die ideale Familie? – Kann ich es aushalten, Kinder Fehler machen zu sehen? – Ist glücklich werden ein angemessenes Lebensziel? – Muss ich an Gott glauben, um Erlösung zu erfahren? – Wenn Gott mich liebt, warum fühle ich mich so verlassen?

Vater-Sohn-Konflikt: Gehen und gehen lassen, auch, wenn es weh tut. (c) Andrea Thomas
Vater-Sohn-Konflikt: Gehen und gehen lassen, auch, wenn es weh tut.

Nur einige der Fragen, die das neue Musical von „Musicality“, der semiprofessionell arbeitenden Musical-Theater-Gruppe des Aachener St.-Ursula-Gymnasiums, in den (Bühnen- und Zuschauer-)Raum stellt. Es geht um Familie, um die Verantwortung des Elternseins, um das Suchen und Finden des eigenen Lebenswegs und darum, wer den Preis für eine Lebensentscheidung trägt, ich selbst oder die Menschen in meinem Umfeld. Als Ausgangsbasis für „Lukas 15“ haben Patrick Biemans (Komposition) und Judith Kemmann (Text) das Gleichnis vom verlorenen Sohn gewählt. Eine Herausforderung, wie beide erklären. Die Idee einer „Brüdergeschichte“ habe ihn schon länger beschäftigt, berichtet Patrick Biemans. 2019, zu Beginn der Proben für das vorhergehende Stück, sei die dann wieder hochgekommen und habe Gestalt angenommen. Das bekannte Gleichnis habe dafür eine spanndende Projektionsfläche gebildet.

Zwei Brüder, der eine kehrt dem Elternhaus den Rücken, weil es ihn einengt, sucht seinen Weg, der andere bleibt, fühlt sich verpflichtet und geht den Weg, der sich daraus ergibt. Als der „verlorene“ Sohn heimkehrt, nimmt der Vater ihn nicht nur wieder auf, nein, er richtet ihm zu Ehren auch noch ein großes Fest aus.

„Das wirkt so ungerecht für den, der geblieben ist. Warum nimmt der Vater den anderen wieder auf? Aus der Geschichte ergeben sich viele Fragen, die die Bibel nicht vertieft“, sagt Judith Kemmann. Auch biete sie viel Identifikationsfläche. Je nach Familientradition sympatisiere man mit dem einen oder dem anderen Bruder. „Die Geschichte ist bekannt. Das, was man nicht kennt, ist das Spannende“, sagt Patrick Biemans. Diese Leerstellen versucht das Musical zu füllen. So stellt es nicht den „verlorenen Sohn“ in den Mittelpunkt, sondern geht auch der Frage nach, was aus dem „normalen Sohn“ wird, dem, der bleibt. Beide Lebenswege werden nebeneinandergestellt, sichtbar gemacht durch einen breiten Keil, der die Bühne in zwei Hälften teilt.

Eine Herausforderung war auch, wie sich das Gott-Vatertum aus dem Gleichnis in ein Musical transportieren lässt. Anstelle der ultimativen Vergebung stellt das Stück die Freiheit der Entscheidung. Sie wird verkörpert durch die Figur des Vaters, der hier ein Mensch-Vater ist. „Er ist überzeugt, seinen Söhnen ihre Freiheit gewähren zu müssen und muss das aushalten wie jeder Vater. Er kämpft mit sich, ist verzweifelt“, beschreibt Judith Kemmann. Aber, und hier schließt sich der Bogen zum Gleichnis, er verliert nie seinen Glauben. Wie er reflektieren alle Solisten im Laufe des Stücks ihren Glauben. Kein leichter Stoff für die jungen Darstellerinnen, die diesmal ausschließlich aus der Oberstufe kommen. Nicht genug, dass sie sich die Geschichte ihrer Figuren und die Fragen, die daraus entstehen, erarbeiten mussten. Patrick Biemans verlangt ihnen auch musikalisch einiges ab. „Lukas 15“ besteht aus 25 Liedern ohne Text dazwischen und hat keine durchgehende Handlung sondern Bilder, die sich szenisch aneinanderreihen. 

Herausforderung für Solistinnen

Patrick Biemans und Judith Kemmann (sitzend) bei den Proben. (c) Andrea Thomas
Patrick Biemans und Judith Kemmann (sitzend) bei den Proben.

Ferike Kempen, die den Sohn spielt, der geht, hat gereizt, was ihre beiden Lehrkräfte aus dem Thema gemacht haben. „Die Bibelstelle ist nur kurz, weshalb man sich das erst wenig vorstellen kann. Es kommt viel hinzu, was man nicht erwartet.“ Ihre Rolle empfindet sie gesanglich und schauspielerisch als herausfordernd, weil sie Gefühle von Wut bis Verzweiflung ins Publikum transportieren muss. „Es war schwierig, sich da hineinzufinden, in die Wut und die Körperlichkeit, jemandem an den Kragen zu gehen.“ Beim Singen Spiel und Emotionen rüberzubringen, hält auch Sinje Jenkes, die den Vater spielt, für nicht einfach. „Gesangstechnisch ist das schon eine Herausforderung.“ Der Vater verändere sich am meisten, sagt Judith Kemmann, durchlaufe einen Entwicklungs- und Alterungsprozess. Das sei spannend zu erarbeiten gewesen, damit es nicht überzeichnet wirke.

„Der Vater steckt viel ein. Es gibt Situationen im Leben, wo es nicht so läuft, wo man schauen muss, wie man damit umgeht, auch an andere denkt, verzeiht“, beschreibt Sinje, wo sie Anknüpfungspunkte für sich in ihrer Rolle findet. Für Ferike ist das in ihrer Rolle das Verhältnis zwischen Geschwistern, die Eifersucht, die entstehen kann, wenn man glaubt, der oder die andere wird bevorzugt. „Sich zu trauen, Reue zu zeigen. Das ist meist ein recht großer Schritt.“

Wie gut dem Ensemble aus acht Solistinnen und 20 weiteren Darstellerinnen sowie dem Team hinter den Kulissen die Umsetzung gelungen ist, beweist die Auszeichnung mit dem Schulpreis der Bischöflichen Cusanus-Stiftung 2021. Im Januar ist nun endlich Premiere.

Info

Aufführungstermine von „Lukas 15“ sind: 20. (Premiere) und 21. Januar, 20 Uhr; 22. und 26. Januar, 19 Uhr; 27. und 28. Januar, 20 Uhr sowie 29. Januar, 19 Uhr. 
Restkarten zum Preis von 8,– Euro gibt es nur online auf der Webseite von Musicality: www.musicalityaachen.de