Eine Ablasserteilung von Papst Honorius III. aus dem Jahr 1221, eine mehr als 300 Jahre alte Verfügung bezüglich des Eier- und Fleischgenusses in der Fastenzeit oder die von den Franzosen um 1760 angeordnete Beschlagnahmung von 7000 Rationen Heu und 3700 Rationen Hafer zur Truppenversorgung – Raritäten, Kuriositäten und historische Schriften wie diese gehören zum umfangreichen Bestand des Domarchivs.
Rund 600 Pergamenturkunden, 68 liturgische Handschriften und etwa 250 laufende Regalmeter voller Akten zu Verwaltungs-, Bau-, Personal- und Beschaffungsvorgängen oder zu den Heiligtumsfahrten bilden das „Gedächtnis des Domkapitels“ – und das fast durchgehend seit Beginn des 13. Jahrhunderts. Die Dokumente dienen nicht nur zur Erhellung der Vergangenheit und damit zum Verständnis der Gegenwart, sondern teilweise auch zur Rechtssicherung, da sie beispielsweise Auskunft über Besitztümer, Güter oder Stiftungen des Domkapitels geben.
Hüterin des Gedächtnisses ist seit mehr als 25 Jahren Diplom-Archivarin Eva Hürtgen. Ende Juni geht sie in den Ruhestand – mit dem zufriedenstellenden Gefühl, einen wohlgeordneten Bestand zu hinterlassen. Zu Hürtgens Verdiensten gehören nicht nur die nahezu vollständige Inventarisierung des Bestands einschließlich der Aktualisierung der Findbücher und der systematischen Vergabe von Signaturen, sondern auch die Speicherung der Handschriften auf Mikrofilme und später die Digitalisierung dieser Filme. „Das hat den Vorteil, dass ich jetzt viel schneller auf Nachfragen reagieren kann. Ich rufe einfach das gewünschte Dokument am PC auf und kann es ausdrucken oder per Mail verschicken.“
Diese pragmatische Effizienz spiegelt sich auch im Magazin wider. Anders als man erwarten würde, ist das Domarchiv keine Sammlung, die optisch an die Hogwarts-Bibliothek aus den Harry-Potter-Filmen erinnert. Ganz im Gegenteil. Untergebracht ist es seit Mai 2018 zwar stilecht in der profanierten Kirche St. Paul in der Jakobstraße, jedoch wurde das Gebäude im Inneren kernsaniert. Entstanden ist ein „Haus im Haus“ für das Diözesanarchiv des Bistums Aachen. Und mit diesem hat das Domarchiv einen Depositalvertrag abgeschlossen, ist also sozusagen Untermieter. Büroräume, ein Lesesaal und das vollklimatisierte Magazin mit durchgängig 18 Grad Raumtemperatur bilden das neue Herz des ehemaligen Sakralbaus.
Die historischen Dokumente des Domarchivs lagern in einem eigenen Bereich in metallenen Hochregalen fast alle in säurefreien Kartons oder Mappen. Von außen erkennt man nicht, welche Schätze sich darin verbergen. Wer etwas finden möchte, muss das Repertorium oder Inventar zu Hilfe nehmen und zielgenau suchen.
Viele Archivalien, aber längst nicht alle, wurden in den vergangenen Jahren gereinigt, restauriert und konserviert. „Die Pergamenturkunden sind soweit aufgearbeitet“, sagt Eva Hürtgen und öffnet einen Archivschrank mit Hängeregister. Hinter Spezialfolien erkennt man die historischen Urkunden mit ihren Wachssiegeln.
Einfach lesen kann man sie als Laie nicht, da sie größtenteils in lateinischer Sprache und in mittelalterlicher Schrift verfasst wurden. Eva Hürtgen findet es immer wieder faszinierend, was für Entdeckungen durch die schriftlichen Überlieferungen möglich sind. „Ohne Archiv gibt es keine erlebbare und nachvollziehbare Geschichte!“
Wissenschaftlich aufgearbeitet ist das Archiv in großen Teilen jedoch nicht. „Studentische Forschungen finden bei uns kaum statt, dafür ist der Bestand zu speziell. Die Hälfte der externen Nutzer sind Musikwissenschaftler aus aller Welt, die sich für unsere liturgischen Musikhandschriften interessieren. Besonders hervorzuheben sind die sogenannten Mangonbücher, drei Codices mit mehrstimmiger Chormusik aus dem 16. Jahrhundert. Ihr Verfasser, Johannes Mangon, hinterlässt in diesen Bänden sein kirchenmusikalisches Lebenswerk sowie zahlreiche Werke zeitgenössischer Komponisten.“
Ansonsten steht das Domarchiv vor allem für interne Nachforschungen zur Verfügung. Dombaumeister Helmut Maintz findet hier wichtige Bauakten, die ihm dabei helfen, vergangene Baumaßnahmen zu rekonstruieren.
Auch der Domschatzkammer hilft Eva Hürtgen regelmäßig mit Forschungsarbeiten zu einzelnen Objekten aus. „Wenn es zum Beispiel darum geht, etwas über frühe Restaurierungen an den Schatzstücken zu finden, schaue ich in den Akten nach, ob es Rechnungen, Belege oder sonstige Notizen dazu gibt. Oft finden wir auf diese Weise Details heraus, die wichtig sind für die Geschichte und den heutigen Zustand der Objekte.“
Nicht erst einmal wurden ihre Nachforschungen von den Kollegen mit einem Spruch belohnt, den Eva Hürtgen gerne vernimmt: „Das ist ja wie Weihnachten!“
Aufgrund der historischen Entwicklung setzt sich das Domarchiv aus drei Beständen zusammen:
Stiftsarchiv: Überlieferung des um 800 gegründeten Kollegiats- und Krönungsstiftes sowie des Domkapitels des napoleonischen Bistums Aachen; hierzu zählen bedeutende liturgische Handschriften und Urkunden (13. Jh. bis ca. 1830)
Propsteiarchiv: Überlieferung aus der Zeit des preußischen Kollegiatsstiftes (ca. 1825 bis 1930)
Domarchiv: Überlieferung seit Gründung des heutigen Bistums Aachen; dazu gehören die Bestände des Domkapitels, der Domverwaltung, Domschatzkammer, Dombauleitung, Domsingschule und Dommusik (seit 1930)
Das Domarchiv Aachen, Jakobstraße 42, ist wieder öffentlich zugänglich.
Benutzer werden um eine Voranmeldung bis spätestens montags, 10 Uhr, in der gewünschten Besuchswoche gebeten, mit Angabe des Zeitfensters
(9 bis 12.50 Uhr oder 13.10 bis 17 Uhr) und eines Ersatztermins, da aktuell nur jeweils zwei Personen gleichzeitig den Lesesaal nutzen können. Beim Besuch sind die bekannten Hygienevorschriften und Abstandsregelungen einzuhalten.
Ansprechpartnerin für Fragen und Anmeldungen ist Diplom-Archivarin
Eva Hürtgen, Tel. 02 41/47 70 91 30, E-Mail: eva.huertgen@dom.bistum-aachen.de.