In diesem Jahr stand das Festival „Jamel rockt den Förster“ lange auf der Kippe. Weil die zuständige Kommune für eine Wiese, die die Veranstalter bisher umsonst nutzen durften, 8000 Euro Pacht verlangte, meldeten die Veranstalter das Festival als politische Versammlung an, um gegen die willkürlich verhängte Pacht zu protestieren. Es folgte ein monatelanger Rechtsstreit. Veranstaltet wird das Festival seit 2007 vom GFS e. V., den das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer gegründet hat. Das Paar lebt in Jamel, Mecklenburg-Vorpommern, das zu 95 Prozent von Neonazis bewohnt ist. Das Festival ist eine Veranstaltung für Demokratie und Toleranz. Für ihr Engagement erhält das Ehepaar den Aachener Friedenspreis.
Kirchenzeitung: Frau Lohmeyer, Sie sind 2004 nach Jamel gezogen. Trotz oder weil das Dorf seit den 1990er Jahren im Ruf steht, ein Problem mit Neonazis zu haben?
Birgit Lohmeyer: Weder noch. Wir haben vorher nicht recherchiert. Wir wussten nur, dass es das Heimatdorf von Sven Krüger, einem Neonazi und NPD-Politiker, ist. Wir haben gedacht, mit einem Neonazi im Dorf kommen wir klar. Dann, ungefähr anderthalb Jahre später, kamen immer mehr Menschen der rechtsextremen Szene und haben Häuser gekauft. Ab da war es so, wie es heute noch ist.
Warum sind Sie aufs Land gezogen?
Lohmeyer: Das war das typische Stadtflüchtertum. Wir standen in der Mitte unseres Lebens und haben in Hamburg schon viele Stadtteile bewohnt, unter anderem 15 Jahre auf St. Pauli. Wir wollten etwas anderes. Über eine Immobilienbörse im Internet haben wir das alte Forsthaus in Jamel gefunden und uns sofort verliebt, weil es genau das war, was wir uns erträumt haben. Und das ist es noch immer.
Sind Sie zu Experten zum Thema Rechtsextremismus geworden?
Lohmeyer: Sicher, wir haben uns mit den Anwohnern auseinandersetzen müssen. Die hätten gerne, dass wir wieder wegziehen. Wir haben uns schlau gemacht: Was sind das für Leute? Was wollen die? Inzwischen sind wir in der politischen Bildung als Referenten unterwegs. Durch die Situation im Dorf hat sich für uns ein neues Themenfeld eröffnet.
Sie sind mehrfach Opfer von Übergriffen geworden. Haben Sie nicht das Gefühl, es reicht?
Lohmeyer: Nein, das Gefühl hatten wir nie. Im Gegenteil. Alle Drangsalierungen und Straftaten, die an uns verübt wurden, sind eine Bestärkung dessen, dass wir genau an der richtigen Stelle sind, gegenzuhalten und nicht kampflos aufzugeben und den Rechtsextremen das Terrain zu überlassen.
Wie lässt sich das aushalten?
Lohmeyer: Das lässt sich für uns sehr gut aushalten, weil wir Großstädter sind. Wir sind nicht gewohnt, enge Nachbarskontakte zu pflegen. Wir wollten unsere Ruhe und Muße für die Kreativität haben, die Natur genießen. Wir haben Freunde hier in der Region, allerdings sind es nicht viele. Die Region, das muss man auch sagen, sticht in diesem Jahr wieder heraus als eine, die weniger Probleme mit den Nazis hat als mit den Lohmeyers.
Warum ist das so?
Lohmeyer: Da kommt vieles zusammen. Bei der Bundestagswahl hat die AfD 37 Prozent der Stimmen in Mecklenburg-Vorpommern geholt. Das sind nicht nur beinharte Nazis. Aber es ist viel Phlegma da, es sind „doch die Jungs von hier“, und die Menschen sind durch die Rechtsextremen eingeschüchtert. Dann spielt eine Rolle, dass wir hier auf dem Boden der ehemaligen DDR leben. Viele aus der älteren Generation haben in der Diktatur gelebt und sich da eingerichtet. Jetzt, in unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft, haben sie Schwierigkeiten, Verantwortung nicht nur für sich selbst zu übernehmen, sondern auch für die Gesellschaft und ziehen sich eher ins Private zurück.
Seit 2007 organisieren Sie das Festival „Jamel rockt den Förster“. Wie hat das angefangen?
Lohmeyer: Wir hatten das Gefühl, diesen Nazis schutzlos ausgeliefert zu sein. Wir haben entschieden, wir brauchen die Öffentlichkeit, um uns geschützter zu fühlen. Menschen in der Region sollten erfahren, was dort passiert war und das haben wir mit Kulturveranstaltungen gemacht. Daraus entstand „Jamel rockt den Förster“. Das Festival ist eine Selbstschutzmaßnahme und ein Medium der politischen Bildung.
Inzwischen treten Herbert Grönemeyer oder Die Toten Hosen auf. Wie kam das?
Lohmeyer: Wir haben 2014 einen großen Schritt gemacht über die Amadeo-Antonio-Stiftung. Die hatte Beziehungen zu Marian Gold, dem Sänger von Alphaville, die dann bei uns aufgetreten sind. Dann war die Brandnacht 2015, wo wir beinahe obdachlos geworden wären, denn die Flammen drohten auf das Wohnhaus überzuschlagen. Das Festival sollte trotzdem stattfinden. Da klingelte das Telefon und das Management der Toten Hosen war dran. Die hatten einen Bericht über den Brandanschlag gesehen und wollten einen Benefizauftritt spielen. Das hat dann dazu geführt, dass ab 2016 renommierte Acts kamen, denn die Band ist nicht abgefahren, ohne uns weitere Unterstützung zu versprechen. Über die Agentur der Toten Hosen haben wir jedes Jahr dieses wunderbare Line-up, was die quasi ehrenamtlich für uns organisieren.
Warum ist das Line-up bis zum Schluss geheim?
Lohmeyer: Davor hatten wir oft den Fall, dass uns Menschen aus dem engeren Umfeld gesagt haben: „Hätte ich gewusst, dass die Band XY spielt, wäre ich auch gekommen.“ Das wollen wir so nicht. Wir wollen ein Publikum, das kommt, weil wir das Festival so anbieten: Mit Information, Aufklärung und Empowerment der Menschen, die sich für Demokratie einsetzen.
Erfahren Sie auf politischer Ebene Unterstützung?
Lohmeyer: Man muss unterscheiden zwischen Kommunal- und Landespolitik. Die Landespolitik, die SPD-regiert ist, ist auf unserer Seite. Manuela Schwesig ist Schirmherrin des Festivals, zusammen mit Landtagspräsidentin Birgit Hesse. Das nützt nichts, wenn uns die Behörden vor Ort Steine in den Weg legen. Uns wird unterstellt, wir organisieren das Festival, um damit Geld zu verdienen, wären mediengeil. In diesem Jahr merken wir das besonders. Weil wir das Festival als politische Versammlung angemeldet haben, ist der Landkreis zuständig, mit dem Landrat als Dienstherrn. Dieser Landrat, den wir ebenfalls mehrfach zum Festival eingeladen haben und der nie reagiert hat, stellt sich jetzt vor die Medien und diskreditiert das Festival.
Helfen Auszeichnungen wie der Aachener Friedenspreis oder eher nicht?
Lohmeyer: Ja und nein. Natürlich empfinden wir Auszeichnungen als Stärkung, für alle, die uns unterstützen, in ganz Deutschland. Nein, weil es dazu führt, dass der Sozialneid weiter blüht. Aber ich glaube schon, dass die positive Wirkung größer ist als die negative.
Kann man Zivilcourage lernen?
Lohmeyer: Natürlich. Es gibt verschiedene Angebote. Angefangen von Seminaren gegen Stammtischparolen, bis hin zu Informationsveranstaltungen, was Nazis und Faschisten wollen und wie man sie erkennt. Ganz wichtig ist, dass man es nicht als Einzelkämpfer probiert, sondern sich zusammenschließt und sich fit macht gegen Anfeindungen.
Kann Kirche da eine Rolle spielen?
Lohmeyer: Wenn Kirche sich nicht hinter „Man muss doch mit allen reden“ und „Kirche sollte nicht politisch agieren“ zurückzieht, kann sie sicherlich – gerade in der Jugendarbeit – demokratiefördernd wirken. Sie muss nur eine rote Linie ziehen zu Rechtsextremen.
Täuscht der Eindruck, dass wir den schleichenden Rechtsruck in der Gesellschaft einfach hinnehmen?
Lohmeyer: Ich bin gebürtige Westdeutsche und ich glaube, dass gerade die Westdeutschen sich alle gut aufgehoben gefühlt haben in der Idee, dass die Demokratie die beste bekannte Gesellschaftsform ist. Ich hatte lange nicht die Erkenntnis, dass wir alle etwas aktiv tun müssen, um die Demokratie zu erhalten. Aber aus diesem Stadium müssten wir jetzt aufwachen und uns bewusst machen, dass es allerhöchste Zeit ist, für die Demokratie auf die Straße zu gehen. Das ist Anfang 2024 wunderbar passiert, aber erwartbar wieder eingeschlafen. Jeder kann in seinem eigenen Lebensumfeld viel erreichen, wenn er aktiv das Miteinander wieder lebenswerter macht, so dass die Taktik der Rechtsextremen, sich (scheinbar) um die Nöte der Unzufriedenen zu kümmern und diese damit hinter sich zu scharen, ins Leere laufen.
Machen wir es den Rechtspopulisten zu leicht?
Lohmeyer: In Mecklenburg-Vorpommern ist gerade eine Initiative von einigen CDU-Stadt- oder Landräten gestartet worden, die darum bitten, man möge die Brandmauer zur AfD einreißen. Wenn es dazu kommt, sind die CDU-Leute weg vom Fenster. Aber auch hier gibt es Unterschiede zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik. Das sieht man an den Politikern, die auf höherer Ebene die Brandmauer aufrechterhalten wollen, aber nicht im Klein-Klein des kommunalen Alltags. Das halte ich für grundfalsch. Ich glaube, dass Abgrenzung die richtige Strategie ist, gegenüber jeglichen Faschisten. Es nützt uns nichts, sie nicht zu ächten. Auch, wenn sie sich als Opfer gerieren.
Sollte die AfD verboten werden?
Lohmeyer: Ja, weil die AfD eine rechtsextreme Partei ist, die unsere demokratische, offene Gesellschaft abschaffen will. Ich glaube nicht, dass wir uns das bieten lassen sollten. Demokratie muss Stärke zeigen. Das Verbot wäre eine Möglichkeit. Die AfD wird mit Staatsgeldern im Sinne des Parteiengesetzes finanziert. Wir füttern unsere Feinde.
Was ist mit der Aussage, man muss sie inhaltlich stellen?
Lohmeyer: Das wird nicht funktionieren, denn AfD und andere Rechte arbeiten nicht vom Inhalt her. Die Menschen hier in unserem Umfeld sind bereits so in der Szene drin, dass sie nicht mehr zu bekehren sind, auch die Kinder. Prinzipiell kann das jeder für sich entscheiden, ob er mit Faschisten diskutieren will. Ideologie wird man aus den Köpfen nicht herausreden. Doch mit rechtsaffinen Menschen sollte man immer und unbedingt argumentieren. Vielleicht kann man den einen oder die andere umstimmen.