Darin steckt Herz

Familien mit Kindern und Jugendliche haben erkundet, was Barmherzigkeit ist

Schnitzeljagd Quadratisch (c) Andrea Thomas (c) Andrea Thomas
Schnitzeljagd Quadratisch (c) Andrea Thomas
Datum:
7. Juni 2016
Von:
Andrea Thomas
„Barmherzig“ oder „Barmherzigkeit“ – in den Ohren junger Menschen sind das eher altmodische Worte.
Schnitzeljagd 2 Nachricht (c) Andrea Thomas (c) Andrea Thomas
Schnitzeljagd 2 Nachricht (c) Andrea Thomas

Was sie bedeuten und wie aktuell „Barmherzigkeit“ eigentlich ist, der Frage sind Schülerinnen und Schüler des Aachener Vinzenz-von-Paul-Berufskollegs und Familien mit Kindern im Schönstattzentrum in Baesweiler nachgegangen.

Robin, Florian, Nathalie, Jasmin, Laura und Natalie haben den „Spirit of life“ für sich entdeckt. Die sechs jungen Erwachsenen besuchen das Berufskolleg des Vinzenzheims und wohnen im angeschlossenen Internat. In der Fastenzeit haben sie bei der AG „Spirit of life“ (der früheren Seelsorge-AG) mitgemacht. Sie wird begleitet von Gerda Johnen als Betreuerin im Internat sowie Gabi Laumen, Diözesanbeauftragte für Pastoral mit Menschen mit Behinderung.

Sie hatte die Idee, sich einmal mit „Barmherzigkeit“ zu beschäftigen und ist damit bei den jungen Leuten, etwas zu ihrer eigenen Überraschung, auf großes Interesse gestoßen. „Darüber wusste ich nicht viel. Ich wollte aber mehr erfahren“, sagt Laura (19). Robin (19) ist in seiner Heimatgemeinde Messdiener. Ganz neu war ihm das Thema daher nicht, aber „du hörst davon in der Messe und dann gehst du raus und das war’s“. Auch er wollte daher mehr wissen über „Barmherzigkeit“ und was das mit ihm selbst zu tun hat.

Zum „Aufwärmen“ haben sie erst mal das Wort näher betrachtet und festgestellt, das Wichtigste darin ist „Herz“. Davon war es dann nicht mehr weit zu einer Erklärung des Begriffs: Barmherzigkeit heißt, „für den anderen ein Herz haben, sich um ihn sorgen und kümmern, warmherzig sein“. Klingt gut, aber wie mache ich das in meinem Alltag? „Über die Werke der Barmherzigkeit ist das konkreter für uns geworden“, berichtet Gerda Johnen. Die klangen zwar zunächst auch etwas fremd, ließen sich im Austausch miteinander jedoch schnell mit Beispielen erklären. „Die Werke sind noch da, aber sie werden nicht mehr von allen umgesetzt“, stellt Robin fest. Dabei hätten viele zu viel und könnten gut etwas abgeben, sagt er mit Blick auf „Hungernden zu essen geben“ oder „Nackte bekleiden“. Also haben sie überlegt, was fällt ihnen selbst davon leichter, was schwerer. Essen teilen, ein Kleidungsstück, das man nicht braucht, abgeben oder jemanden besuchen, dem es nicht gut geht, all das sei nicht schwer und das machten sie auch bereits. „Fremde aufnehmen“ ist ein aktuelles Thema, aber nicht ganz so einfach umzusetzen, wenn man es wörtlich nimmt. Robin erzählt, der Pfarrer bei ihnen daheim habe in der Messe eingeladen, einen der im Ort untergebrachten Flüchtlinge für ein paar Tage bei sich aufzunehmen. „Doch da wird dann der Alltag komplett anders, wenn man das tut. Das darf man nicht vergessen“, sagt er. In den Werken stecke aber meist noch mehr. So heißt Fremde aufzunehmen für die jungen Leute auch, jemand anzunehmen und so zu akzeptieren, wie er ist. „Tote begraben“ beinhaltet auch Abschied nehmen, sich erinnern und jemand trösten, der traurig ist.

Die AG „Spirit of life“ hat immer auch ein kreatives Element, ein Projekt, mit dem die Schüler ihre Gedanken mit den anderen Menschen, die im Vinzenzheim leben und arbeiten, teilen. Diesmal ist das eine große rote Herzskulptur geworden,  die die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit zeigt. „Wir haben zu jedem Werk eine Hand gemacht und da symbolisch etwas hineingelegt: etwas zu essen, ein Kleid, ein Trinkglas eine Weltkugel oder einen Schlüssel“, erläutert Nathalie (19). Die Hände haben sie gewählt, weil Barmherzigkeit nur mit Herz und Hand funktioniere. Wie im Vinzenzheim üblich, wo nicht jeder der Bewohner lesen kann, haben sie dazu außerdem kleine Bilder (Piktogramme) entwickelt.

Zur Zeit steht ihr Kunstwerk im Gang vor der Cafeteria, wo ganz viele Menschen daran vorbei kommen. Wer mag, kann seine Gedanken dazu in einem kleinen Buch aufzuschreiben. „Wir haben schon schöne Rückmeldung bekommen“, erzählt Jasmin (20). Das Thema rege viele zum Nachdenken an. Deshalb sind sie auch stolz, dass ihr Herz bei der „Nacht der offenen Kirchen“ im Herbst in der Kirche Herz Jesu in Aachen-Burtscheid ausgestellt sein wird.


Die Werke der Barmherzigkeit mit Kreide auf den Weg gemalt

Kreativ sind auch die Familien an das Thema herangegangen, die sich bei der Familienwallfahrt des Schönstattzentrums auf Schnitzeljagd zur Tür der Barmherzigkeit (die Eingangstür des Heiligtums auf dem Gelände des Zentrums) gemacht haben. In diesem Jahr der Barmherzigkeit dreht sich hier alles irgendwie um dieses Thema, weshalb es nahe lag, das auch mit Kindern und Eltern zu erkunden, erklärt Familienreferentin Sr. Mariatheres Weinberg. Ausgerüstet mit einer Schatzkarte haben sich gut 50 Mamas und Papas mit Kindern von drei bis 15 Jahren auf den Weg gemacht. Unterwegs gab es immer wieder Aufgaben zu erfüllen, die alle mehr oder weniger offensichtlich etwas mit dem Thema des Tages zu tun hatten. Zwei Wettkampfspiele – Wasser mit einem Becher von einem in einen anderen Eimer umfüllen und Eier laufen, das wegen der schwülen Hitze ausfallen musste – sollten dabei neben dem Teamgedanken aufmerksam machen auf die Werke „Hungrigen zu essen geben“ und „Durstigen zu trinken geben“. Wobei die Bedeutung von letzterem auch ganz praktisch bei einer der diversen Trinkpausen zu erleben war.

Mit den „Werken der Barmherzigkeit“ haben sich schon viele Künstler auseinandergesetzt. Die Familien durften sich da einreihen. Auf einem schattigen Wegabschnitt sollte sich jede ein Werk aussuchen und es mit Straßenkreide aufs Pflaster malen. So entstanden unter anderem mehrere Kirchen und blumengeschmückte Grabsteine zu „Für die Lebenden und die Toten beten“, ein Krankenhaus zu „Kranke besuchen“ und ein Gefängnis zu „Gefangene besuchen“. „Gefangene freuen sich, wenn jemand kommt zum Reden“, ist Justin (13) überzeugt, der das aufgegriffen hat. Auch mit „Kranke besuchen“ kann er was anfangen. Mit den Sternsingern seien sie auch ins Krankenhaus gegangen. Schwieriger findet er „denen, die uns beleidigen gerne verzeihen“. Aber, „wenn wir das nicht tun, gibt es keine Freundschaften“.

Mit dem „Verzeihen“ haben sich auch Miriam (12) und Maria (15) beschäftigt. Sie haben erst zwei Fäuste gemalt, die aufeinander treffen und dann zwei sich schüttelnde Hände, über denen ein Herz und eine Sonne zu sehen ist. „Wir streiten auch in der Familie. Das ist okay, wenn man sich dann wieder verträgt“, sagt Miriam. Unterwegs und später beim Ausklang am Schönstattheiligtum überlegt Sr. Mariatheres mit der Gruppe, was Barmherzigkeit eigentlich ist: „Mit dem Herzen anderen etwas Gutes tun.“ Was das sein kann, finden die Kinder rund um die „Tür der Barmherzigkeit“. Die hat „einen Ring mit Herzen drin, da stehen Sachen drauf, die man machen kann“, wie Paul (10) erklärt. Herz, das hat auch was mit Liebe zu tun, stellen die Kinder fest. Und dass es da jemand gibt, der alle Menschen lieb hat: Gott. Dafür sagen die Familien zum Abschluss „Danke“.

Barmherzig Quadratisch (c) Andrea Thomas (c) Andrea Thomas