Damit wir gut leben

Seit 100 Jahren vermittelt die Katholische Hochschule Grundlagen der Sozialen Arbeit

1000 Studierende sind aktuell an der Katho NRW, Standort Aachen eingeschrieben. (c) Kathrin Albrecht
1000 Studierende sind aktuell an der Katho NRW, Standort Aachen eingeschrieben.
Datum:
30. Apr. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 18/2018
Aachen ist eine Wissenschaftsstadt. Fünf Hochschulen haben hier ihren Standort. Darunter ist auch die Abteilung Aachen der Katholischen Hochschule NRW (Katho).
Marianne Genenger-Stricker ist Professorin für Soziale Arbeit in Aachen. (c) Kathrin Albrecht
Marianne Genenger-Stricker ist Professorin für Soziale Arbeit in Aachen.

Die Hochschule ging aus der Sozialen Frauenschule Aachen hervor, die Helene Weber für den Katholischen Frauenbund Deutschlands zuerst in Köln gründete und 1918 in Aachen etablierte. Die KirchenZeitung sprach zum Jubiläum mit Marianne Genenger-Stricker, Professorin für Soziale Arbeit an der Katho, über die Entwicklung und die Bedeutung der Sozialen Arbeit.

 

Wo liegen die Ursprünge der Sozialen Arbeit, wie wir sie heute kennen?

Der Weg ging vom Ehrenamt aus. Der Fokus lag auf der Versorgung von Menschen in Not. Wichtige Anstöße kamen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts aus der bürgerlichen Frauenbewegung. Frauen versuchten, sich nützlich zu machen. Sie sahen hierin auch die Möglichkeit zu einem alternativen Lebensentwurf für Frauen zu Ehe und Familie. Auch Helene Weber, die Gründerin unserer Hochschule, sah hier Potenziale.

 

Was war ihre Motivation?

Altruismus alleine reicht nicht aus, um qualifizierte Hilfe anbieten zu können. Es muss dazu eine Form von Ausbildung geben. Also machte man die Mütterlichkeit zum Beruf. Damals war eine geschlechtstypische Vorstellung, dass es dem Wesen der Frau eigen sei, Gutes zu tun und für andere zu sorgen. Alice Salomon gründete 1908 in Berlin die erste Ausbildungsstätte, andere folgten, unter anderem auch Helene Weber und Hedwig Dransfeld mit ihrer Schulgründung in Köln, später Aachen. Die Schulen waren untereinander eng vernetzt. Von Anfang an stand im Fokus, die Praxis der ehrenamtlichen Tätigkeit zu unterstützen. Bis heute ist die Praxis ein Bezugspunkt in der Ausbildung. Wir kooperieren mit sozialen Institutionen, die Praktika für die Studierenden anbieten. Diese sind in das Studium eingebunden. In den 1970er Jahren setzte mit der Gründung der Fachhochschulen in Deutschland eine zunehmende Akademisierung ein. Die Akademisierung hat nicht zuletzt auch Teresa Bock mit vorangetrieben, die die Hochschule als Gründungsrektorin geleitet und später auch den sogenannten Frauenstudiengang auf den Weg gebracht hat. Die Katho hat in dieser Phase sehr eng mit dem deutsch-amerikanischen Professor Louis Lowy an neuen Lehrplänen gearbeitet, um Soziale Arbeit als akademische Disziplin zu etablieren.

 

Wie verlief die weitere Entwicklung der Hochschule?

Nachdem in den 1970er Jahren die Methodenentwicklung im Mittelpunkt stand, haben wir jetzt eine Phase, wo Theorien stärker in den Vordergrund rücken. Seit der Bologna-Reform 1997 ist es auch möglich, Masterstudiengänge an Fachhochschulen anzubieten. Auch eine Promotion in Kooperation mit einer Universität ist möglich. 40 Plätze standen vor dem Zweiten Weltkrieg im Schulinternat zur Verfügung. Heute zählen wir um die 1000 Studierende am Standort Aachen.

 

Wenn Sie auf die Entwicklung der Sozialen Arbeit blicken: Was hat sich verändert?

Die Menschen stehen auch heute noch im Mittelpunkt. Aber die moderne Soziale Arbeit sieht die Menschen als Experten und Expertinnen ihres Lebens, sie arbeitet mit ihnen auf Augenhöhe. Wir blicken dabei nicht nur auf das Individuum selbst, sondern auch auf die Strukturen in der Gesellschaft. Soziale Arbeit hat auch immer eine politische Dimension.

 

Könnten Sie das konkretisieren?

Die Soziale Arbeit war immer eine Reaktion auf aktuelle Probleme: Nach dem Ersten Weltkrieg lagen die Schwerpunkte in der Gesundheitsfürsorge, später in der Jugendwohlfahrtspflege oder Berufs- und Wirtschaftsfürsorge. Heute sind es die Zuwanderung, Armuts- und Spaltungsphänome sowie die Digitalisierung, Die Schwerpunkte sind immer davon abhängig, wie die Gesellschaft sich verändert. Die Soziale Arbeit ging an die Ränder der Gesellschaft. Das tut sie auch heute noch. Wir sind aber auch zunehmend Dienstleister und richten unser Angebot an alle Bürgerinnen und Bürger. Soziale Arbeit begegnet uns in der Schwangerschaftsberatung, in der Schulsozialarbeit bis hin zur Hospizarbeit. Das heißt, wir müssen am Puls der Zeit sein und uns kritisch mit Veränderungen der Gesellschaft auseinandersetzen.

 

Soziale Arbeit war in den Anfängen ein Frauenberuf. Wie sieht es heute aus?

Auch wenn die Hochschule seit 1968 männliche Studierende aufnimmt, stagniert der Anteil bei 20 bis 25 Prozent – das ist bundesweit so. Es ist weiterhin ein von Frauen dominierter Beruf. Damit sind wir mit den gleichen Problemen konfrontiert wie andere Frauenberufe auch. Auf der einen Seite wird zwar gesehen, wie notwendig die Arbeit mit und für Menschen in unserer Gesellschaft ist. Andererseits schlägt sich die Wertschätzung nicht in der Entlohnung wider. Jobs in der Industrie werden im Durchschnitt besser vergütet als Tätigkeiten im Erziehungs- und Gesundheitswesen.

 

Würde Helene Weber heute an die Hochschule kommen, welche Unterschiede würden ihr sofort auffallen?

Der sichtbarste Unterschied ist der, dass ein wissenschaftlich fundiertes Studium heute einhergeht mit Forschung. Das war zu Beginn nicht so, jetzt sind Forschungsprojekte nicht mehr wegzudenken. Davon profitieren alle: Lehre, Praxis und Disziplin. Die Internationalisierung wäre ein weiterer Aspekt. Wir kooperieren unter anderem mit Hochschulen in Belgien, den Niederlanden und den USA. Auch die Themen sind international geworden. Diese globale Perspektive ist wichtig. Denn die Armutsproblematiken in den Ländern des Südens hängen mit dem weltweiten kapitalistischen Wirtschaftssystem zusammen. Derzeit studieren in Aachen achtzehn junge Menschen mit Fluchterfahrung im Rahmen des Start-now-Programms. Wir möchten die Kenntnisse und Erfahrungen dieser Menschen in die Ausbildung einbinden.

 

Was würde sie wiedererkennen?

Helene Weber war eine politische Frau. Sie hatte als Sozialpolitikerin einen Blick dafür, wie die Rahmenbedingungen sein müssen. Die Entwicklung des Sozialstaates ist auch Thema in unserem Lehrplan. Auch die Notwendigkeit zur Kooperation und Vernetzung hat sie gesehen. Der Studiengang für Frauen und seit 2016 auch für Männer neben der Familientätigkeit hätte ihr sicher gefallen, weil er die Kompetenzen von Frauen und Männern in ihrer Elternrolle sowie die Fähigkeiten, die sie im Ehrenamt erwerben, zusammenführt und die Möglichkeit bietet, diese Kompetenzen weiterzuentwickeln, theoretisch zu fundieren und für den Beruf zu nutzen.

 

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung?

Wir brauchen Soziale Arbeit, weil das Leben eher schwierig und komplexer wird. Menschen benötigen Unterstützung und Begleitung in verschiedenen Lebensphasen und Handlungsfeldern. Die Gesellschaft verändert sich ständig. Als Beispiel sei genannt, dass sich die familiären Netzwerke zunehmend auflösen. Das, was dort geleistet wurde, muss nun von anderen Gemeinschaften und Organisationen aufgefangen werden. Das heißt, die Ausbildung an der Hochschule muss flexibel bleiben und sich immer wieder auf neue Zielgruppen und Themen einstellen. Zum Beispiel ergeben sich viele Schnittstellen mit der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen. Ein anderes Thema ist das lebenslange Lernen. Dazu möchten wir berufsintegrierende Studiengänge entwickeln. Neben fachspezifischem Wissen braucht es im Studium auch immer persönlichkeitsbildende Angebote. Berufsbezogene Selbsterfahrung und Supervision sind wichtige Elemente. Daneben dürfen auch wissenschaftlichen Studien nicht vernachlässigt werden. Insgesamt könnte man sagen: Der Mensch und die Frage nach guten Lebensbedingungen in einer gerechten und solidarischen Gesellschaft sind im Blick.

Das Gespräch führte Kathrin Albrecht.