Zwischen Kaldenkirchen und Mechernich begleiten zahlreiche kirchliche Initiativen Menschen ohne Erwerbsarbeit. Ihre Arbeit zu vernetzen, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten sowie Bildungsangebote oder Fachgespräche zu organisieren, ist Aufgabe des Koordinationskreises kirchlicher Arbeitsloseninitiativen im Bistum Aachen, kurz Kokreis. Matthias Merbecks aus dem Vorstand des Mönchengladbacher Volksvereins und Manfred Körber, Geschäftsführer des Herzogenrather Nell-Breuning-Hauses, sind die Sprecher des Kokreises und sprachen mit der KirchenZeitung über dessen Aufgaben, kirchliche Arbeitslosenarbeit und deren Zukunft.
Das Bistum Aachen habe eine lange Tradition in der Unterstützung und Begleitung arbeitsloser Menschen, erklärt Matthias Merbecks. Daraus habe sich der pastorale Schwerpunkt „Kirche und Arbeiterschaft“ entwickelt. Vor allem in den Städten Mönchengladbach, Krefeld und auch Aachen habe sich Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre ein struktureller Wandel vollzogen. Traditionelle Branchen wie die Textilindustrie am Niederrhein erlebten ihren wirtschaftlichen Niedergang, Betriebe schlossen, die Arbeitslosigkeit wuchs. Oft, erzählt Merbecks, wurden diese Menschen allein gelassen, bekamen wenig Unterstützung seitens öffentlicher Einrichtungen. Es waren vor allem kirchliche Initiativen, die es als ihre Aufgabe sahen, diesen Menschen in ihrer Situation beizustehen, ihnen aber auch wieder eine Perspektive zu geben.
Vor diesem Hintergrund versteht sich der Kokreis als Netzwerk dieser Initiativen, um gemeinsam zu wirken und mit-einander, aber auch voneinander zu profitieren. So habe der Volksverein beispielsweise die Idee des Secondhand-Modeladens vom Sozialwerk Eifeler Christen übernommen, das mit dem Konzept, erwerbslosen Menschen dort wieder eine Beschäftigung zu geben, bereits gute Erfahrungen gemacht hatte.
Neben den Arbeitsloseninitiativen sind auch Verbände sowie die vier Bistumsregionen und der Diözesanrat der Katholiken im Kokreis vertreten. Das gemeinsame Wirken, ergänzt Manfred Körber, komme beispielsweise bei der Beantragung von Fördermitteln zum Tragen, auch um unnötige Konkurrenz zu vermeiden. Das Nell-Breuning-Haus bietet als Bildungseinrichtung unter anderem Schulungsprogramme und Raum zum Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft an.
In den vergangenen 40 Jahren habe sich die Arbeit mehrfach verändert, habe sich die Situation für die Erwerbslosen oft verschlechtert. Arbeitslosigkeit habe sich verfestigt. Oft hätten Menschen nie den Eingang ins Erwerbsleben gefunden, erläutert Matthias Merbecks. Auch neue Aufgabenbereiche wie die Begleitung von Zugewanderten und die Beratung von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen seien hinzugekommen.
Nicht nur, aber gerade auch bei den zugewanderten Arbeitskräften, die noch nicht die Sprache beherrschten, komme es auf den praktischen Zugang an, erklärt Matthias Merbecks. „Wenn sie Sätze hören wie ‚Gib mir mal den Hammer‘ und das mehrmals am Tag, verfestigt sich das schneller als in einer abstrakten Klassensituation.“ Die veränderten und seitens der Politik auch gestiegenen Anforderungen verlangten den ehren- und hauptamtlich Engagierten in den Initiativen viel ab. Im ehrenamtlichen Bereich werde es zunehmend schwieriger, Engagierte längerfristig zu halten. Auch im hauptamtlichen Bereich macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Die ausgeschriebenen Stellen seien oft selbst an Fördermittel für ausgeschriebene Projekte gebunden. „Dadurch sind wir finanziell oft nicht so gut ausgestattet wie die Kommunen oder größeren Träger“, sagt Manfred Körber.
Trotz der guten Arbeit, die die Initiativen bei der Begleitung erwerbsloser Menschen leisten, erfährt die Situation von Menschen, die lange ohne Arbeit bleiben, keine größere Aufmerksamkeit im politischen oder gesellschaftlichen Raum. Das, ergänzt Matthias Merbecks, sagten oft auch die Arbeitslosen selbst: „Wir gehören zur Gruppe der Unsichtbaren.“ Corona habe das noch verstärkt, denn Jobcenter waren nicht oder nur eingeschränkt erreichbar. Diese Probleme immer wieder in die Öffentlichkeit zu tragen, auch das sei die Aufgabe des Kokreises, unterstreicht Manfred Körber, ebenso wie die Frage, ob wir es uns als Gesellschaft leisten wollen, diese Gruppe dauerhaft auszuschließen.
Aktuell beherrscht der Fachkräftemangel die Diskussion. Dazu, erzählt Matthias Merbecks, habe der Volksverein vor Kurzem Arbeitgeber aus verschiedenen Branchen eingeladen, um diese mit seiner Zielgruppe bekannt zu machen. Prinzipiell bestehe da eine große Offenheit, doch das sei kein Selbstläufer. Es handele sich um Menschen, die mehr Begleitung bräuchten als andere Arbeitnehmer. Und alles, was Arbeitsabläufe verkompliziere, sei nicht so beliebt, fügt Manfred Körber hinzu.
Könnte nicht, was in Einzelfällen gut klappt, auch flächendeckender umgesetzt werden, beispielsweise, indem Arbeitsloseninitiativen und Jobcenter ihre Arbeit miteinander koordinieren? Manfred Merbecks gibt zu bedenken, dass hier unterschiedliche Welten aufeinandertreffen, die nicht so gut zusammenzubringen seien. Dort griffen Verwaltungsprozesse, die anders funktionierten als Projekte, die nah am Menschen seien.
Langfristig werde die kirchliche Arbeitslosenarbeit relevant bleiben, denken beide. Selbst wenn mehr Menschen infolge des Fachkräftemangels in Arbeit kämen, würde sich dennoch eine bestimmte Zahl nicht einfach eingliedern lassen. „Wir bewerten Menschen in der Arbeitswelt ja immer noch nach ihrer Produktivität“, sagt Matthias Merbecks und fragt: „Was ist dann mit den ‚Unproduktiven?‘“. Auch neue wirtschaftliche Krisen seien nicht ausgeschlossen. Nach dem Niedergang der Textilindustrie habe Mönchengladbach vor allem auf die Logistik gesetzt. Doch was ist, wenn auch diese Branche in rauere Fahrwasser gerät?
Manfred Körber weist auf die Umbruchprozesse hin, in denen sich die Braunkohletagebaureviere befinden.
Vor diesem Hintergrund sei die Förderung der Arbeitsloseninitiativen durch den Solidaritätsfonds des Bistums Aachen eine wichtige Basis, um die Arbeit insgesamt koordiniert zu bekommen, sagt er.
Die Zusammenarbeit der Träger und Initiativen untereinander werde wichtiger, auch die Lobbyarbeit, denn: „Auch im kirchlichen Bereich ist das kein Main-streamthema“ stellt Matthias Merbecks fest und fügt hinzu: „Menschen, die am Rand stehen, um die muss sich jemand kümmern. Das ist das Beste, was Kirche tun kann.“