Am Samstag vor Pfingsten wurden Andreas Hahne und Marco Lennartz im Aachener Dom zu Priestern geweiht. Die KirchenZeitung sprach mit ihnen über ihren Entschluss, über das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne und ihr Verständnis von Leitung.
Herr Hahne, Herr Lennartz, was hat Sie dazu bewogen, ausgerechnet in diesen Zeiten Priester zu werden?
Andreas Hahne Es war ein langer Prozess bei mir. Ich war zuerst Informatiker, habe Projekte geleitet. Irgendwann kam die Frage auf und begann mich zu bewegen, ob ich nicht noch etwas anders machen möchte im Leben – ob ehrenamtlich vor Ort in meiner Kirchengemeinde in Düren oder hauptamtlich, weil ich gemerkt habe, dass mir Kirche gut tut. Ich habe gemerkt, dass ich mehr davon haben könnte, wenn ich mich mehr einbringe, und damit verbunden die Überlegung: Warum nicht das ganze Programm und Priester werden? Ich habe das aber nie als Einbahnstraße empfunden. Es war ein Ausprobieren am Anfang. Und jedes Jahr in meiner Ausbildung habe ich gemerkt, dass ich hier am richtigen Platz bin. Das war eine Bestärkung.
Marco Lennartz Bei mir war es ähnlich. Ich habe zuvor in der Unternehmensberatung gearbeitet und war da eigentlich relativ glücklich. Es fehlte das Stückchen „Ich bin angekommen“. Ich fühlte mich immer auf dem Weg, aber nicht da, wo ich hinwollte. Ich war lange auf der Suche nach Heimat. Die habe ich gefunden durch Gespräche mit Kirche, wo man für mich etwas getan hat, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Das fand ich unglaublich gut in dieser Zeit, wo man unter Leistungsdruck, unter Erwartungshaltung steht, da etwas zu haben, wo Menschen hinkommen können, ohne etwas zu geben. Man darf nehmen. Ich habe erst noch etwas anderes gemacht, um dann zu erkennen: Es fehlt das Stück, was ich empfangen habe. Zu den schwierigen Zeiten: Sie betreffen vor allem die Institution Kirche. Ich habe beschlossen, dass ich was tue. Wie Andreas Hahne auch, hatte ich nie das Gefühl, dass die Entscheidung, Priester zu werden, eine Einbahnstraße ist. Es war wichtig, meiner Berufung zu folgen, aber auch die Entscheidungsfreiheit zu haben. Mein Bauchgefühl sagt mir: Es ist richtig, was ich tue. Bisher habe ich noch keine Frustration erlebt, weil ich dies aus der Motivation heraus tue, für Menschen da zu sein, Nachfolge zu leben. In den letzten Jahren habe ich erlebt, dass man für Menschen da sein kann nicht vor dem Hintergrund, dass man ihnen einen Rat gibt und dem folgen sie, sondern „da sein“ als Stichwort.
Wie haben Sie beide Ihr Diakonat erlebt?
Andreas Hahne Ich war in der Eifel, in der GdG Steinfeld. Dort waren die ersten Monate noch ganz stark von der Flut geprägt. Ich bin in Kall gewesen, wo hunderte Häuser zerstört waren, wo es drei Todesopfer in der Flutnacht gegeben hat. Das Pfarrhaus war zerstört, das Pfarrbüro auch. Seelsorge hat da erst einmal keine Rolle gespielt, weil für die Menschen im Fokus stand, wie sie ihre Häuser wieder bewohnbar bekamen. Da habe ich mich zunächst etwas hilflos gefühlt, habe aber im Nachhinein gespiegelt bekommen, dass den Menschen gerade die alltäglichen kleinen Dinge, die ich übernommen habe, schon gut getan hatten. Das war auch das Prägendste in dieser Zeit: die Begegnungen, die sich zwischen Tür und Angel ergeben haben, ein offenes Ohr zu haben. Menschen öffnen sich dann ihrerseits ebenfalls, weil sie merken: Da ist jemand, der sich für sie interessiert.
Marco Lennartz Begegnung war auch bei mir das Prägendste. Wir hatten ein Jahr als Praktikanten, wo man etwas anonymer ist. Im Diakonat ist man deutlich erkennbarer und ich habe es auch ausprobiert, erkennbar zu sein. So sehe ich auch meine Aufgabe: In existenziellen Situationen für die Menschen da zu sein. Ich habe im Diakonat meinen Schwerpunkt in der Krankenhaus- und Trauerseelsorge gehabt. Da war bei Beerdigungen die Frage: „Was kommt jetzt?“ Das zu begleiten, war für mich ein ganz wichtiger Punkt, und in der Trauer auch weiter mitzugehen. Wenn das in Anspruch genommen wird, ist es gut, wenn nicht, auch. Das Geschenk, das ich durch meine Berufung empfangen habe, weitergeben zu können, eine Stütze sein zu dürfen, das fand ich immer sehr wichtig. Die Begegnungen mit den Menschen lassen einen reifen. Ich bin Seelsorger. Das bedeutet für mich, in Begegnungen Hörender zu sein.
Haben Sie das Gefühl, dass Menschen nach dieser Begegnung suchen?
Marco Lennartz Ich glaube, in der heutigen Zeit ist die Sehnsucht da, von jemandem ohne Gegenleistung angenommen zu werden. Ich bin nie auf Akquisetour gewesen. Wenn Menschen merken, „der meint das ernst“, dann kommen sie auch. Wir stehen nicht in der Gesellschaft, um Erfolge zu präsentieren, sondern um Gottes Wort weiterzutragen.
Andreas Hahne Es ist spannend, was die Menschen wahrnehmen, was man gesagt hat. Für mich hat im Studium das Thema Missbrauch einen großen Raum eingenommen, mit dem ich mich auch wissenschaftlich auseinandergesetzt hatte. Ich merkte, in der Gemeinde ist das nicht das große Thema. Trotzdem hatte ich das Thema in einer Predigt aufgegriffen und auch die Zahlen genannt, die in der MHG-Studie veröffentlicht wurden. Ich bin Tage danach mit sehr guter Resonanz auf die Predigt angesprochen worden. Es wird alles wahrgenommen. Darin sehe ich eine Herausforderung, aber auch eine große Chance: zu schauen, was bieten wir? Wie verhalten wir uns? Und umgekehrt müssen wir die Türen öffnen und ein offenes Ohr für die Menschen haben.
Sie wurden im Vorfeld der Heiligtumsfahrten im Bistum zu Priestern geweiht. Zugleich beginnen Sie Ihren Dienst in einer Zeit grundsätzlicher Umbrüche. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld zwischen Tradition und Veränderung um?
Marco Lennartz Es gab in der Geschichte immer Veränderungen. Wir leben in einer Gesellschaft, wo es kein einheitliches Identifikationsbild mehr gibt. Jeder ist sehr individuell unterwegs. Gleichzeitig bilden sich Gruppen, die versuchen, ihr Leitbild zu etablieren. Das sollte Kirche nicht mehr tun. Auch die Änderungen des Zweiten Vatikanums sind noch nicht alle umgesetzt. Damit hadere ich schon, aber wir dürfen Veränderungen wahrnehmen und anstoßen. Wenn wir sie dann nicht umsetzen, sind wir auch selbst schuld. Zur Tradition: Für mich hat die Sakramentalität der Kirche eine Bedeutung, und als Priester können wir durch unseren Dienst das Verhältnis Mensch – Gott noch einmal anders begleiten. Im Falle des Missbrauchs hat unsere Generation die Chance, einen Punkt zu setzen, ohne zu vergessen, und die Menschen, die darunter leiden, nicht abzuhängen.
Andreas Hahne Die Frage ist: Was ist der Kern, um den wir uns drehen? Da kommt man an Jesus Christus nicht vorbei. Tradition und Rituale geben Halt, trotzdem darf das nicht starr sein. Menschen müssen in der Kirche die Erfahrung machen, dass Gott wirkt, und nicht, dass da ein gewisses Regelwerk eingehalten wird. Das Spannungsfeld spüre ich darin, zu sehen, was zu bewahren ist, und was weiterzudenken, ohne in Beliebigkeit zu verfallen.
Sie gehörten zum ersten Jahrgang, der die Ausbildung wieder gemeinsam mit Pastoral- und Gemeindereferentinnen gemacht hat. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Marco Lennartz Sehr gut. Wir haben die andere Seite noch mal mitbekommen. Das hat auch Einfluss darauf, wie ich meinen Dienst verstehe: Ich will ihn so wahrnehmen, dass man dienstbar ist, nicht einfach etwas abarbeiten. Das Gegenseitige, die weibliche Perspektive auch in unserer Professionalität zu haben, empfand ich als große Bereicherung. Ich sehe das nicht als Einbahnstraße. Andererseits konnten wir den Aspekt des geistlichen Lebens einbringen, mit dem die Kolleginnen im Studium sonst wenig in Berührung kommen. Die Erfahrungen in der Ausbildung haben eine Offenheit im Denken ermöglicht. Ich hoffe, dass das weiter fortgeführt wird.
Andreas Hahne Es hat auf verschiedenen Ebenen Vorteile gehabt. Wir kamen mit dem gleichen Niveau in den Kurs und sind gemeinsam losgelaufen, das Bistum zu entdecken. Die Gemeinsamkeit war wichtig, aber auch die Unterschiede im Denken und in der Lebensform. Die Vielfalt in der Berufseinführung kennenzulernen ist hilfreich, um auch in der Gemeindearbeit später nicht stur an der einen Linie festzuhalten.
Das Gespräch führte Kathrin Albrecht.