An ungewöhnliche Orte zu gehen, wo man Kirche nicht unbedingt erwartet, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, egal ob kirchennah oder -fern, zieht sich als roter Faden durch das Projekt der mobilen, „ver*rückten“ Kirchenbank. Zu Beginn des Jahres ist ein Teil des Aachener Teams mit einer Bank in den Knast, genauer die Justizvollzugsanstalt (JVA) Aachen gegangen.
Den Anstoß dazu hatte Pierre-Willy Ngeyitala, ein Kirchenbänkler der ersten Stunde gegeben. Der frisch beauftragte Pastoralreferent hatte ein Thema für seine Hausarbeit zum Abschluss seiner Ausbildung gesucht. „Ich habe eine Zuneigung zu diakonischer Arbeit und wollte etwas mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen machen“, erzählt er. Daraus sei die Idee entstanden, in die JVA zu gehen, um dort mit Inhaftierten des Männergefängnisses ins Gespräch zu kommen. Seine beiden Teamkolleginnen Margit Umbach und Yasmin Raimundo sowie Johannes Rueben, der sich ehrenamtlich im Gemeindeteam der Jugendkirche Kafarnaum engagiert, für die Pierre-Willy Ngeyitala in der Assistenzzeit tätig war, waren sofort angetan.
Über einen Bekannten von Margit Umbach, der in der JVA arbeitet, war schnell ein erster Kontakt hergestellt und in der evangelischen Gefängnisseelsorgerin Sabine Reinhold eine Verbündete gefunden. Sie habe gereizt, über ein solches Projekt mit religiösem Bezug noch einmal anders mit Insassen ins Gespräch zu kommen. Wichtig war auch, dass ein Teil des Teams dafür von außen in die geschlossene Welt der JVA gekommen sei. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie wertvoll es für die Männer ist, die hier einsitzen, wenn Leute von außen kommen und sich Zeit für sie nehmen. Es gibt ihnen das Gefühl mehr zu sein als das Delikt, für das sie einsitzen“, erklärt Margit Umbach.
Für das Kirchenbank-Team war von Anfang an klar, dass es gerne mehr machen wollte, als die Häftlinge nur zu besuchen. Da sie ihre Bank nicht so einfach mit hinter Gitter nehmen konnten, hatte Sabine Reinhold die Idee, mit einigen Insassen selbst eine Bank zu gestalten. So erhielt eine weitere alte Kirchenbank aus St. Anna in Walheim im Rahmen des Kirchenbank-Projektes die Chance auf ein zweites Leben. Aus ihr ist eine Entlass- und Angehörigenbank geworden, die seit Kurzem auf dem Vorplatz der JVA steht. Häftlinge können nach ihrer Entlassung hier auf ihre Angehörigen warten oder noch einmal innehalten, bevor ihr neues Leben in Freiheit beginnt.
Von Januar bis März hat sich die Gruppe einmal in der Woche mit fünf Gefangenen getroffen, um an der Bank zu arbeiten, zu reden oder mit Johannes Gitarre zu spielen. Als Thema für ihre Bank haben sie sich „Weg“ überlegt, der Weg durch die Zeit hinter Gittern, vielleicht auch der, der sie dorthin geführt hat, aber vor allem der Weg in das Leben danach. Künstler seien sie alle keine, sagt Margit Umbach, aber darauf sei es auch gar nicht unbedingt angekommen. „Jeder hat eingebracht, was ihn bewegt und beschäftigt hat. Es war ein schönes und besonderes Projekt. Wir haben viel gelernt aus und über eine Welt, zu der man sonst keinen Zugang hat. Da ist Berührung entstanden.“
Auch die anderen haben die Besuche und das gemeinsame Gestalten und sich auszutauschen als sehr bereichernd und angenehm empfunden. „Wenn wir kamen, wurden wir immer freundlich begrüßt: ‚Ah, die Kirchenbank ist da‘. Wir haben uns nie unsicher gefühlt oder im Knast“, berichtet Pierre-Willy Ngeyitala. Auch sonst haben sie viel Unterstützunginnerhalb der JVA erfahren. Eine Gruppe hat für die Reihe „Podknast“ einen Filmbeitrag über das Projekt gemacht. „Schön, dass andere das so auch zu ihrem Projekt gemacht haben“, sagt Sabine Reinhold.
Für die fünf Häftlinge, die daran mitgewirkt haben, war es zu hundert Prozent „ihr“ Projekt, was in den Bildern und Sprüchen deutlich wird, mit denen sie sich auf der alten Kirchenbank verewigt haben. Es ist die Auseinandersetzung mit der Welt und dem Leben hinter Gittern, mit der Frage, wie ihr Leben „danach“ aussehen kann, dem Bewusstsein, dass das kein leichter Weg sein wird, aber auch mit ihrer ganz persönlichen Beziehung zu Gott. Hausintern lief das Projekt in der JVA unter „Bibelkreis“.
Auf die Seite der Bank hat einer geschrieben: „Gott segne dieses Haus und alle, die da gehen ein und aus.“ Ein Satz, der Sabine Reinhold sehr beeindruckt hat, zumal von jemandem, der nicht „ein und aus“ gehen kann. Auch seien damit ja alle gemeint, die in die JVA kämen, Angehörige, Anwälte und auch der Richter, der vielleicht den Antrag auf Haftverkürzung ablehne. Margit Umbach ist der Austausch mit einem Häftling im Gedächtnis geblieben, in dem er ihr erzählt hat, dass er gerne den Rosenkranz bete, da das für ihn beruhigend sei und wie der Tod eines Freundes ihn zum Glauben geführt habe. Sie sei selten sprachlos, aber da sei ihr erst einmal nichts mehr eingefallen und ihr Bild von „Glauben im Knast“ habe sich nochmal neu justiert. Yasmin Raimundo hat daraus die Idee entwickelt, jedem der Häftlinge, die mitgemacht haben, zu seiner Entlassung ein Kreuz zu schenken als Erinnerung.
Vielleicht sitzen sie damit dann – wie hoffentlich viele andere auch – an Tag X auf „ihrer“ Bank und schöpfen hier noch einmal Mut, für das, was vor ihnen liegt. Für das Kirchenbank-Team war die Zeit „hinter Gittern“ jedenfalls eine besondere, in einem an besonderen Momenten wahrlich nicht armen Projekt.