Christlicher Raum für Entfaltung

Im besetzten Karmelitinnen-Kloster auf Sinnsuche

Zu Holzkreuz, Altar und Marienstatue müssen sich alle irgendwie verhalten. (c) Rauke Bornefeld
Zu Holzkreuz, Altar und Marienstatue müssen sich alle irgendwie verhalten.
Datum:
22. Sep. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 38/2021 | Rauke Xenia Bornefeld

Die Zeit des zwölfjährigen Leerstands im ehemaligen Karmelitinnen-Kloster am Aachener Lousberg wurde am 21. August beendet, obwohl Investoren weiter auf sich warten lassen. 

Stattdessen zogen junge Menschen dort ein, die zur Hausbesetzerszene gehören oder ihr nahe stehen. Wenn auch nicht geplant, reizt ihre neue Unterkunft sie zur Auseinandersetzung mit der christlichen Vergangenheit des Ortes. Ein pinkfarbenes Plüschherz verziert das schlichte Holzkreuz in der ehemaligen Kirche, Blumen stehen auf dem Altar. Seitlich davon hängen an einem Gitter T-Shirts und Tops, die mit der Klosterkirchen-Silhouette bedruckt verkauft werden. Gleich neben dem Eingang der St.-Josef-Kirche leitet ein gemaltes Schild zum Kiosk, der in Selbstbedienung Getränke auf Spendenbasis feilbietet – unter freundlichem Winken des emeritier-
ten Papstes Benedikts XVI.

„Wohnraum für alle. Stadt von unten aufbauen“ steht auf einem Banner, das an der Kirchenfassade zur Straße hängt. Zurzeit werden die 21 Zellen der Ordensfrauen im ersten Stock als Schlafräume genutzt, die Räume im Erdgeschoss erfüllen ganz unterschiedliche Aufgaben: Kleidertauschbörse, Museum, Bibliothek, Gemeinschaftsküche, Siebdruckwerkstatt, ein Chillraum als Rückzugsort. Der große Kirchenraum dient allem Möglichen: Ein Chor trifft sich seit Neuestem, auf großen Packpapier-Plakaten sind Wünsche, Pläne und dringende Erledigungen notiert. Es sind die Anfänge eines nachbarschaftlichen Begegnungszentrums, eines Orts für Kultur, politisches Engagement, Workshops zum Teilen von Wissen und Fähigkeiten (Skillshare), Begegnung. Ein Ort, frei von Rassismus, Sexismus, Homophobie und Transfeindlichkeit soll es sein.

Großes Engagement für die denkmalgeschützte Anlage

„Wohnraum für alle“ – seit 21. August ist das ehemalige Kloster des Karmelitinnen-Ordens besetzt (c) Rauke Bornefeld
„Wohnraum für alle“ – seit 21. August ist das ehemalige Kloster des Karmelitinnen-Ordens besetzt

Im Moment scheint den jungen Leuten besonders die Instandhaltung und Instandsetzung der denkmalgeschützten Anlage von 1869 am Herzen zu liegen. 18 Positionen von mehr oder weniger dringenden Reparaturen sind an der Kirchenwand aufgelistet. Eine einsturzgefährdete Säule der Vorgarten-Mauer wurde mit Holzbalken und Stahlseilen gesichert. Von der Stadt habe man bisher nicht viel Unterstützung bekommen, um die arg in Mitleidenschaft gezogene Bausubstanz zu sichern. Die Stadt bestätigt einen Besuch der Bauaufsicht im Kloster. „Maßnahmen waren aber nicht notwendig“, erklärt Linda Plesch vom Presseamt der Stadt Aachen auf Nachfrage. Die neuen Klosterbewohner sehen das anders: „Die Stadt hat uns hier nur ein paar Barken hingestellt. Aber davon ist ja noch nichts repariert.“

Unterstützung kommt dagegen aus der Nachbarschaft, der es wohl schon länger reicht, dass das Kloster mit seinem heimeligen Garten zunehmend verkommt, während im Hintergrund ein Anlageskandal und ein Immobilienkrimi toben. Die Ordensschwestern haben das Kloster 2009 verlassen, weil der Konvent zu klein geworden war. Nach mehreren Besitzerwechseln landete es bei der „German Property Group“. Zurzeit veräußert die CR Investment Management GmbH im Auftrag des Insolvenzverwalters der „German Property Group“ das Aachener Kloster, um geschädigten Anlegern ihr Anlagegeld zurückzuführen. Unter den Bietern ist auch die Stadt Aachen, bestätigt Plesch. Zuvor hatte der Planungsausschuss entschieden: Der Klostergarten darf nicht bebaut werden. Die Errichtung von neuen Wohnungen am denkmalgeschützten Klosterensemble ist damit vom Tisch.

Beim Verkauf war den Karmelitinnen wichtig, „dass die künftige Verwendung nicht nur den äußeren Bedingun-gen des Denkmalschutzes entspricht, sondern auch der inneren Herkunft dieses Gebäudes als eines Ortes des Gebetes“, teilten sie auf ihrer Internetseite 2009 mit. Sicher dachten sie dabei nicht an den „Raum für Entfaltung“, den sich die neuen Bewohner gerade aufbauen. Aber auf ihre spezielle Art tun die Hausbesetzer genau das, was sich die Ordensschwestern wünschten: Im Angesicht von Kreuz und Marienstatue besprechen sie Maßnahmen für den Erhalt des Klosters und die Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Wie lange das noch geht, ist allerdings offen.