Es ist ein Lernort, kein Erinnerungsort. Darauf legt Pastoralreferent Georg Toporowsky wert. Seit 17 Jahren ist der 51-Jährige auf der Burg Vogelsang in Schleiden, der einstigen Kaderschmiede für Nationalsozialisten, im Dienst, um Menschen heute zu sensibilisieren, zu motivieren und zu inspirieren, respektvoll mit sich selbst und mit den Mitmenschen umzugehen. Für das Bistum Aachen pflegt er vor Ort Kooperationen und macht Seminar-Angebote.
Die trutzige Anlage lässt einen nicht kalt. Düster hängt die Geschichte über dem Areal in der Eifel. Einen Täterort nennt Georg Toporowsky die Burg Vogelsang. Hier wurde der politische Führungsnachwuchs im Nazi-Regime von 1936 bis 1939 geschult. „Das war eine Schule der Respektlosigkeit. Menschen wurden darin ausgebildet, wie man respektlos miteinander umgeht, und das sehr subtil und auch geschickt.“ Ein Bewusstsein für diese „Negativfolie Nationalsozialismus“ zu schaffen, ist ein Ziel. „Wenn ich weiß, was ich nicht will, kann ich für mich klarer kriegen, was ich will“, formuliert es Toporowsky. Anschließend gehe es darum, das Positive zu festigen und einzuüben. Das gelingt über das Seminarangebot. Der Klassiker heißt „Bedingungslos“.
„Nach unserem christlichen Verständnis ist jeder Mensch bedingungslos wertvoll“, erklärt Georg Toporowsky. Damit ist auch die Frage beantwortet, warum Seelsorge an diesem Ort so große Bedeutung hat. Keineswegs „gottlos“ ist er, auch wenn spontan der Begriff auf der Zunge liegt. Dem Menschenverachtenden die Wertschätzung für den Einzelnen entgegenzusetzen, ist die Mission. „Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es verschiedene Zugänge, Methoden oder Herangehensweisen.“ Dazu gehören mit „Widerstand“ („Was hilft mir dazu, Widerstand zu leisten?“) und „Respekt“ überschriebene Seminare zum Angebotskanon, aber auch die Entdeckung über das Künstlerische: 18 Werke des von den Nationalsozialisten als entartet gebrandmarkten Künstlers Otto Pankok sind in einer Dauerausstellung zu sehen und bieten Anlass zur Auseinandersetzung.
In seinem Grundsatzpapier schreibt Georg Toporowsky: „Die in Vogelsang gelehrte und dargestellte Weltanschauung sowie die enthaltene ,religiöse‘ Dimension des Nationalsozialismus fordern Menschen heute heraus, das eigene Menschen- und Gottesbild in den Blick zu nehmen und sich zu positionieren: Worin liegen für mich Würde und Wert des Menschen begründet, und welche aktuellen oder gesellschaftlich relevanten Konsequenzen hat dies für mein Handeln?“
Eigens von der Nationalpark-Seelsorge wurde ein Andachtsraum in der Burg Vogelsang eingerichtet. Es ist keine klassische Kapelle, die von Frömmigkeit geprägt ist. „Dieser Raum soll auf der einen Seite unser christliches Verständnis, unser christliches Menschenbild darstellen“, erläutert Georg Toporowsky, „aber in einer bewussten Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus – also eben genau nicht wuchtig und erschlagend.“ Die Aachener Künstlerin Hildegard Zieger hat dafür ein Glaskreuz geschaffen, das sich keinem aufzwinge, aber ein Orientierungsangebot mache. Ihm gegenüber steht die Dokumentation über die Geschichte des Bistums Aachen im Nationalsozialismus anhand von 30 exemplarischen Biografien. „Um deutlich zu machen, ,wir‘ als Kirche, als Christen haben zwar unser Menschenbild, stehen für unsere Werte und drücken die auch aus als Orientierungsangebot, bekennen uns aber zu unserer eigenen Tätergeschichte, der eigenen Verstrickung.“
Der Besuch des Andachtsraumes gehört nicht zwingend zum Besuchsprogramm dazu. Es käme immer auf die Gruppe und die Situation an. Spiritualität könne auch an anderen Orten der Burg Vogelsang erlebt werden. „Wenn sie mich fragen, wo ,Gott‘ auftaucht, dann von vorne bis hinten und von allen Seiten und überall, aber so, dass es auch für Menschen, die jetzt nicht so gläubig sind oder andere Anknüpfungspunkte haben, spürbar wird.“ Das gelingt durchaus auf unerwartete Weise. Ganz am Anfang des Programms steht, so verrät Seelsorger Toporowsky, ein Lied, und zwar von Lady Gaga: „Born this Way. Das ist der Einstieg, wo wir im Prinzip schon Gott mit ins Spiel bringen. Lady Gaga beruft sich in dem Stück auf Gott, der jeden Menschen so wunderbar geschaffen hat.“ Auch zum Abschluss gebe es immer ein Lied. Und so ziehe sich das Christentum wie ein roter Faden durch die Veranstaltungen.
Bundesweit gehen in diesen Tagen Menschen für Demokratie und Toleranz auf die Straße – und gegen die AfD und deren ruchbar gewordene „Remigrationspläne“. Aktueller denn je ist das Thema „Gesicht zeigen“ gegen antidemokratische Bestrebungen. Hat das die Arbeit auf der Burg Vogelsang spürbar verändert? „Ja und nein“, lautet die differenzierte Aussage von Georg Toporowsky. Einerseits sei eine deutlich größere Betroffenheit spürbar mit Äußerungen wie „Wir stehen wieder vor der Herausforderung, unsere Demokratie, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit verteidigen zu müssen“ und „Nie wieder ist jetzt“. Gleichzeitig erlebe er aber auch zunehmend Erwachsene, die in Vogelsang keine Scheu mehr hätten, „eigene Ressentiments etwa Ausländern gegenüber auch deutlich zu benennen oder sehr populistisch gegen Regierungen oder Presse oder Einrichtungen zu schimpfen“. Und das in der Manier von Stammtischparolen. „Die AfD hat das salonfähig gemacht.“
Hat die seelsorgerische Arbeit an der Burg Vogelsang durch die aktuelle Situation, die akut wahrgenommene Gefahr für die Demokratie, an Bedeutung gewonnen? „Ich finde, dass dieser Aspekt in Kirche, auch im kirchlichen Handeln und in den Kirchengemeinden, sehr viel höher angesiedelt sein müsste, als es generell ist.“ Es werde bereits viel getan, betont Toporowsky, hinterfragt aber auch: „Haben wir wirklich die Dringlichkeit erkannt? Wir werden zwar jetzt in dem Thema als Kirche schon stark damit identifiziert, aber ich denke, da geht noch was.“ Es reiche nicht, den Menschen zu sagen, dass sie respektvoll miteinander umgehen sollen, man müsse es einüben.
„Das ist ja das, was meine Arbeit, was unsere Arbeit hier in Vogelsang ausmacht: Dass es nicht um das Erinnern geht, sondern dass es ein Lernort für einen respektvollen Umgang miteinander ist. Und das halte ich für ganz entscheidend, weil ich glaube, dass das auch nicht überall angekommen ist.“
Die NS-Dokumentation Burg Vogelsang erreichen Interessierte über die Navigation Vogelsang IP, Schleiden.
Geöffnet ist jeweils ab 14 Uhr von November bis März donnerstags bis sonntags, von April bis Oktober täglich – auch an Feiertagen.
Seit 2006 ist Vogelsang „Internationaler Platz (IP)“ und Erinnerungsort.
Die Nationalpark-Seelsorge bietet Jugendlichen (Jugend-, Firmgruppen sowie Schulklassen) und Erwachsenen (pfarrliche Gruppen wie Kirchenchöre oder Pastoralteams, kirchliche Verbände, caritative/soziale Einrichtungen) Führungen und Seminare an. In „Bedingungslos“ geht es um das nationalsozialistische und christliche Menschen- und Gottesbild. Beim Programm „Respekt“ geht es vor dem Hintergrund der in Vogelsang gelehrten und in einer Geländeführung dargestellten Respektlosigkeit der Nationalsozialisten gegen- über allem und allen, die „anders“ waren. Um die Fähigkeit, Widerstand leisten zu können, wenn grundlegende menschliche Werte verletzt werden, geht es beim Programm „Widerstehen“. Schließlich fragt das Angebot „Kirche (Christ) – wo stehst du?“ nach der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus und nach dem heutigen gesellschaftspolitischen Selbstverständnis von Kirche und Christsein.
Das vollständige Programm, weitere Hintergründe und Inhalte unter https://nationalparkseelsorge.de; Kontakt per Mail unter info@nationalparkseelsorge.de oder persönlich per Telefon unter der Rufnummer 0 24 44/5 75 99 87.