Der Ton ist rauer geworden – national und international ist das in diesen Tagen spürbar. Ob Handelskriege oder bevorstehende Wahlen – Nationalisten wie Populisten mischen in den Parlamenten und den gesellschaftlichen Debatten inzwischen kräftig mit.
Mit der Vergabe des Karlspreises an UN-Generalsekretär António Guterres möchte das Karlspreisdirektorium ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus abgeben, unterstrich der Vorsitzende Jürgen Linden. Denn die Flüchtlingsbewegung und der Klimawandel zeigten, dass politische Herausforderungen längst nicht mehr von einer Nation allein bewältigt werden könnten. Vor diesem Hintergrund sprach Herfried Münkler in der Bischöflichen Akademie über die „Chancen einer neuen Gesellschaft“, im Rahmenprogramm des Karlspreises. Für die Bischöfliche Akademie als offener Lernort war der Vortrag die Möglichkeit, das Thema Migration und Integration aus einer anderen Perspektive zu beleuchten als der ethisch-christlichen, wie Akademiedirektorin Christiane Bongartz erklärte.
Die Chancen einer neuen Gesellschaft beschrieb Münkler mit seiner Frau Marina in der politischen Streitschrift „Die neuen Deutschen“. In dem Buch werben die beiden für eine pragmatischere Sicht auf den Umgang mit Geflüchteten. Der Rückblick gebe durchaus Anlass zu leisem Optimismus: „Wir haben das ganz gut hingekriegt“, resümierte Münkler. Ein Viertel der damals nach Deutschland Geflüchteten sei inzwischen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert worden. Gleichwohl sei dies kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen.
Kurz skizzierte er die Situation im September 2015, als rund eine Million Menschen zwischen Griechenland und Ungarn in Bewegung waren. Hätte Europa seine Außengrenze in Ungarn nicht geöffnet, hätten diese Menschen in einer Region festgesteckt, in der bis vor wenigen Jahren noch Bürgerkrieg und Vertreibung geherrscht hätten. Der ohnehin fragile Frieden in dieser Region wäre erneut gefährdet worden und hätte die Migration weiter verstärkt durch das Aufbrechen neuer Konflikte. Die Aufnahme der Flüchtlinge war eine Ausnahmesituation, die nichts mit einem Kontrollverlust zu tun hatte. Vor allem der juristische Rahmen bestimmte den Umgang mit den Geflüchteten in der Folge. Das löse jedoch keine Probleme, kritisierte Münkler. Sinnvoller wäre es gewesen, eine Politik aufzulegen, die Passivität der Menschen verhindere und die nicht primär nach dem Bleiberecht frage. Ein erster Hebel, über den Integration funktioniere, sei der über Arbeit. Dies hätten die vergangenen Migrationsschübe nach Deutschland gezeigt, angefangen von den Hugenotten bis zu den Gastarbeitern in den 60er Jahren. Dann könne man die Menschen in einem weiteren Schritt dafür interessieren, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Migration, das betonte Münkler abschließend, werde ein dominierendes Thema in Europa bleiben.