Briefe gegen Einsamkeit

Aktion der youngcaritas im Bistum Aachen überrascht Seniorenzentren und Pflegedienste mit Post

Viel Mühe geben sich die Verschicker bei der Gestaltung ihrer Briefe  gegen Einsamkeit. (c) young caritas
Viel Mühe geben sich die Verschicker bei der Gestaltung ihrer Briefe gegen Einsamkeit.
Datum:
11. Mai 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 19/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Es ist die persönlichste Nachricht, die wir einem lieben Menschen überbringen können: Wir suchen uns bewusst ein schönes Papier, überlegen uns eine Dramaturgie und dann beginnen wir in sauberer Handschrift zu schreiben. Einige von uns verzieren ihre Bögen anschließend noch mit kleinen Stickern und Bildchen, andere packen das Papier direkt in einen Umschlag und bringen diesen mit aufgeklebter Briefmarke zum nächsten Postkasten. 

Judith Swoboda von der Young Caritas leitet die Briefe im Bistum Aachen an ihre Empfänger weiter. (c) privat
Judith Swoboda von der Young Caritas leitet die Briefe im Bistum Aachen an ihre Empfänger weiter.

Ist im 21. Jahrhundert der handschriftliche Brief leider selten geworden, hat die youngcaritas im letzten Jahr gleich mehr als 8500 individuelle Umschläge erhalten. Mit den „Briefen gegen Einsamkeit“ ruft die junge Abteilung des Wohlfahrtsverbandes dazu auf, in der Pandemie alte Menschen nicht zu vergessen, die aktuell durch die Kontaktverbote nur wenig Abwechslung im Alltag erleben. Auch bei der youngcaritas im Bistum Aachen flattern fast täglich Umschläge in den Briefkasten. „Steht ein Feiertag an, merken wir, dass ein richtiger Schwall an Post ankommt“, erklärt Koordinatorin Judith Swoboda. „Das freut uns sehr, denn gerade an besonderen Tagen spüren die älteren Menschen doch die Auswirkungen der Pandemie stärker.“

Swoboda nimmt jeden Brief, der in der Geschäftsstelle ankommt, kurz unter die Lupe und prüft ihn auf Seriosität. Die Briefe haben sehr individuelle Inhalte: Manche älteren Schreiber teilen ihre Alltagssorgen, junge Schüler berichten über ihr verändertes Schulleben, einige schicken Gedichte und andere entwerfen aufwendige Grußkarten. 
Die Sozialarbeiterin sortiert die Umschläge passgerecht auf die unterschied-lichen Bedürfnisse der Empfänger. „In manchen Einrichtungen leben Menschen, die nicht mehr so aufnahmefähig sind“, erklärt sie. „Wir bekommen manchmal sogar seitenlange Kurzgeschichten zugeschickt. Die gebe ich dann natürlich lieber an ein Seniorenheim, von dem ich weiß, dass hier die Mitarbeiter die Briefe vorlesen.“

Aktuell beschickt die youngcaritas im Bistum Aachen fünf Einrichtungen. Dazu gehören ambulante Pflegedienste genauso wie stationäre Altenheime. „Wir haben noch Kapazitäten“, erklärt Swoboda. „Wir freuen uns, wenn sich auch Einrichtungen melden, die nicht zur Caritas gehören.“ 


In Alsdorf Hoengen entstand eine Brieffreundschaft

Einer, der auf Swobodas Aufruf schon vor einigen Monaten reagierte, ist Nico Gandelheidt, Pflegedienstleiter im Seniorenzentrum St. Anna in Alsdorf Hoengen. Aktuell leben in der Einrichtung 87 Männer und Frauen. „Wir haben uns seit Beginn der Pandemie Mühe gegeben, den Kontakt nach außen durch digitale Kommunikation so gut es geht beizubehalten“, erinnert sich Gandelheidt. „Trotzdem ist die gesamte Situation für unsere Bewohner irritierend. Die besonderen Briefe heitern den Alltag auf.“ Der Pflegedienstleister liest die Post der „fleißigen Brieftauben“, wie er die Schreiber liebevoll getauft hat, gemeinsam mit seinem Team in gemütlichen Kaffeerunden vor. 
Während die älteren Herrschaften den Worten der unbekannten Brieftauben lauschen, beginnen sie sich an ihre eigenen, vor langer Zeit verschickten Briefe zu erinnern. „Da werden alte Liebesgeschichten ausgepackt und Handschriften begutachtet“, erzählt Gandelheidt lachend.

„Es ist schön zu sehen, wie der Brief als Impuls etwas sehr Emotionales auslöst.“ Und deswegen ist bei denjenigen, die noch schreiben können, auch der Anspruch da, auf die Briefe antworten zu wollen. Bewohnerin Margarethe hat dadurch sogar eine Brieffreundschaft aufgebaut: Regelmäßig schreibt sie mit einer jungen Frau, inzwischen haben sie sogar telefoniert und möchten sich nach der Pandemie persönlich kennenlernen. „Das sind die erfolgreichen Momente in Zeiten von Corona“, ist sich der Pflegedienstleiter sicher.

 

Schüler des Albertus-Magnus-Gymnasiums beteiligen sich an der Aktion

Mit Sicherheit sind im Seniorenzentrum St. Anna auch schon Briefe aus Viersen angekommen, denn hier haben Klassen des Bischöflichen Albertus-Magnus-Gymnasiums im Rahmen des Unterrichts den Füller geschwungen. Auch ein Philosophiekurs aus der zehnten Klassenstufe hat sich beteiligt, dem die Schülerin Eeske Mareke angehört. „Durch Corona ist mir selbst aufgefallen, wie schnell sich die Langweile durchsetzen kann, aber auch, wie einsam es an manchen Tagen ist“, schildert sie. „Der Gedanke, jemanden durch das Schreiben eines Briefes eine Freude be-reiten zu können, war daher wirklich schön.“ Auch die Gegebenheit, nicht zu wissen, bei wem am Ende die eigenen Worte ankommen würden, fand die Schülerin reizvoll. „Das hat die Aktion noch einmal spannender gestaltet und auch mir irgendwie etwas zum Rätseln gegeben“, erklärt sie. Die Mitschülerinnen Pia und Beyoncé haben die Teilnahme an der Aktion ebenfalls genossen. „Diese Zeit ist für alle nicht schön, aber ich bin froh, dass ich so wenigstens eine Kleinigkeit für jemand anderen machen konnte“, sagt Beyoncé und Pia ergänzt: „Dieses Bewusstsein motiviert und dadurch hat alles irgendwie noch mehr Spaß gemacht.“

Am Albertus-Magnus-Gymnasium haben sich Lehrer nun zusammengeschlossen, um vor den anstehenden Feiertagen eine größere, freiwillige Aktion zu initiieren. Plakate an den Schulwänden laden ein, Briefe gegen Einsamkeit in einem extra aufgestellten Postkasten im Sekretariat einzuwerfen. Judith Swoboda freut sich schon auf weitere Einsendungen. Die Sozialarbeiterin ist sich sicher: „Am Ende profitieren alle Seiten davon.“

Anschrift für Ihren Brief gegen Einsamkeit: Caritasverband für das Bistum Aachen e.V., 
youngcaritas, Kapitelstraße 3, 52066 Aachen