Darf man Bedingungen an den Besuch eines Gotteshauses stellen? Sollten beispielsweise für Touristen andere Maßstäbe gelten als für Beter? Trotz zunehmender Entfremdung vieler Menschen von der Kirche besitzen sakrale Räume weiterhin eine hohe Anziehungskraft. Allerdings treiben die wachsenden Besucherströme den Verantwortlichen touristisch bedeutsamer katholischer Gotteshäuser die Sorgenfalten auf die Stirn. Wie sollen sie beispielsweise umgehen mit der Lärmbelastung? Als nicht besonders glücklich empfanden im Karlsjahr 2014 die Teilnehmer an den ökumenischen Mittagsmeditationen und den Vespern in der Chorhalle, dass die Touristenströme zur Besichtigung des Karlsschreins während der Gebetszeiten nicht unterbrochen wurden. Der Lärmpegel aus dem Zentralbau des Doms übertönte teilweise den Gesang in der Chorhalle. Glücklicherweise bietet der Aachener Dom mit seinem Kapellenkranz die Möglichkeit, Räume ausschließlich Betern vorzubehalten. Das schließt aber nicht aus, dass dennoch der eine oder andere Tourist sich in die Ungarn- oder Nikolauskapelle verirrt und die Beter aus ihrer Andacht reißt. Umgekehrt ist es auch schwierig, den Kirchenraum spirituell zu erleben, wenn zu bestimmten Zeiten im Jahr die Alltagsgeräusche von außen in den Dom hineinschwappen – beispielsweise während des Weihnachtsmarktes.
Eintrittsgelder in den Dom zu verlangen – in anderen Länders Europas gängige Praxis – ist in Aachen keine Option, denn die Deutsche Bischofskonferenz schreibt vor, dass der Zugang zu Kirchen unentgeltlich zu sein hat. Darüber hinaus, gibt Hubert Herpers zu bedenken, ist „eine Differenzierung zwischen Besuchern des Gotteshauses und Touristen im eigentlichen Sinne kaum möglich“. Herpers ist Vorsitzender des Karlsvereins Aachen, der als Dombauverein den Erhalt des Weltkulturerbes finanziell großzügig unterstützt. Damit ist der Aachener Dom in der glücklichen Lage, gezielt gegen Gefahren für das Weltkulturerbe vorzugehen. Zu hohe CO2-Werte und die damit verbundene Feuchtigkeit werden seit wenigen Jahren durch die Klima-Anlage und die Belüftung unter dem Bleidach des Oktogons geregelt.
Dompropst Manfred von Holtum zeigt sich zuversichtlich, dass die Besucherströme auch weiterhin kanalisiert werden können. Die Leiterin der Aachener Domschatzkammer, Birgitta Falk, könnte sich vorstellen, zu besonders gut besuchten Zeiten nur eine bestimmte Menge an Besuchern gleichzeitig zuzulassen. Dies wäre dann mit Wartezeiten verbunden, welche die wirklich interessierten Gäste aber sicherlich auch in Kauf nehmen würden. Hubert Herpers hat die Idee, den Besuch des Kaiserthrons, der für Touristen von großem Interesse ist, stärker zu vermarkten. Mit den Erlösen könnte negativen Folgen des zunehmenden Besuchs begegnet werden, meint er. In diesem Zusammenhang nennt er auch das Problem der wachsenden Verschmutzung durch Textilfasern.
Die Crux ist, dass der Aachener Dom einerseits von seiner räumlichen Ausdehnung her relativ klein ist, andererseits als Unesco-Welterbe sehr hohes Ansehen besitzt. Dompropst von Holtum und Birgitta Falk betonen beide, dass ein Grund für den Rang als Weltkulturerbe auch darin liegt, dass im Dom zu Aachen von Anfang an mit nur wenigen Unterbrechungen täglich Gottesdienst gefeiert und gebetet wird. Den Besuchern sei also grundsätzlich bewusst, dass sie sich in einem Gotteshaus befinden. Diesen Gedanken unterstützt die Glaswand, die 2014 extra an der Stelle positioniert wurde, wo sich früher die Wolfstür befand. Ihr Zweck sei es, „die Leute etwas zu beruhigen“, erklärte Dombaumeister Helmut Maintz damals. „Sie soll den Lärm der Vorhalle nicht in den Dom dringen lassen“ und außerdem das Innere gegen Zugluft abschirmen.
Trotz allem lässt sich nicht vermeiden, dass viele Menschen den Dom vorwiegend als Sehenswürdigkeit wahrnehmen. Es herrscht eine ständige Unruhe im Kirchenraum, entgegen des Verbots wird fotografiert, manche Leute bringen Getränke mit oder unterhalten sich lauthals. Diese Probleme kennen nahezu alle touristisch bedeutsamen katholischen Dom- und Klosterkirchen hierzulande. Deshalb haben sich Verantwortliche für Kirchenführungen, darunter auch Birgitta Falk, zu einer Arbeitsgemeinschaft „Netzwerk Kirchenführungen“ zusammengeschlossen. Dieses Gremium trifft sich regelmäßig, um über verschiedene Aspekte von Führungen durch Kirchen sowie Dom- und Diözesanmuseen zu sprechen. Möge seine Arbeit erfolgreich sein, auf dass so bedeutende Bauwerke wie der Aachener Dom ihre Anziehungskraft – auf Beter und Besucher – nicht verlieren.