Besuchermagneten

Welterbestätten zwischen ihrer sakralen und touristischen Bedeutung

Das Taj Mahal in Indien lockt jährlich zehn Millionen Besucher an. Und ist ebenfalls Welterbe. (c) www.pixabay.com
Das Taj Mahal in Indien lockt jährlich zehn Millionen Besucher an. Und ist ebenfalls Welterbe.
Datum:
2. Okt. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 40/2018 | Andrea Thomas
Von den derzeit 1092 Unesco-Welterbestätten sind 845 Kulturerbe. Davon wiederum sind mehr als 250 Sakralbauten. Sie gelten als schützens- und bewahrenswert wegen ihrer Architektur und Geschichte, aber auch wegen ihrer spirituellen Bedeutung.

 Woraus sich ein eigenes Spannungsfeld ergibt. Bleiben wir vor der Haustür, beim Welterbe-Jubilar dieses Jahres, dem Aachener Dom. Er lockt jedes Jahr nicht nur Gläubige und Pilger an, die in der Kirche Karls des Großen innere Einkehr und das Gebet suchen. Aachens Wahrzeichen ist auch ein Touristenmagnet und nicht jedem dieser jährlich etwa 1,5 Millionen Besucher ist noch geläufig, was es heißt, sich in einem christlichen Gotteshaus zu befinden. Gläubige versus Touristen ist ein Spannungsfeld, in dem viele der Welterbestätten der Unesco weltweit stehen, die bedeutende Baudenkmäler, aber zugleich auch spirituelle Orte einer der großen Weltreligionen sind.

Es ist ein Problem der Neuzeit mit ihren veränderten Reisemöglichkeiten. In früheren Jahrhunderten, führte Michael Jansen, früher Professor für Stadtbaugeschichte an der RWTH Aachen und Experte der Unesco und Icomos (Berater-Organisation der Unesco zu den Welterbestätten) aus, seien die Besucher dieser Baudenkmäler ausschließlich Pilger und Wallfahrer gewesen. Diese „Sakraltouristen“, so erläuterte er in seinem Vortrag zur Festwoche, gebe es in allen großen Weltreligionen. „Ihnen allen ist der Glaube gemeinsam, durch Pilgerreisen eine bessere Position im Jenseits erlangen zu können.“ Pilger hätten die spirituelle Bedeutung dieser Orte zu respektieren gewusst und seien mit den jeweiligen Ritualen vertraut gewesen. Mit dem „Welttourismus“, wie wir ihn seit 25 Jahren haben, der Menschen zu bezahlbaren Preisen rund um den Globus führe, habe sich dies stark verändert. So besuchen nun Menschen diese für Gläubige heiligen Orte, ohne sich näher mit den Ritualen der jeweiligen Religionen oder den Verhaltensweisen in diesen Sakralbauten zu beschäftigen. Sie fotografieren und machen Selfies oder stören die Gebetsruhe der Gläubigen.

Sie wissen nicht mehr, dass in katholischen Kirchen für männliche Besucher keine Kopfbedeckung erlaubt ist, man in Moscheen und Synagogen dagegen den Kopf bedecken muss. Dass man in Moscheen, Hindutempeln und buddhistischen Heiligtümern die Schuhe auszieht, was in christlichen Kirchen und Synagogen wiederum nicht üblich ist. Für alle sakralen Orte gelten gewisse Kleiderregeln und der Respekt vor Tabubereichen, wie zum Beispiel dem Altarraum christlicher Kirchen.

 

Schutz des Sakralen

Das Taj Mahal im indischen Agra, das 1983 in die Welterbeliste aufgenommen wurde, ist heute kein lebendiges Sakralbauwerk des Islam mehr, sondern vor allem ein Denkmal, zieht jedoch immer noch auch Gläubige an. Großmogul Shah Jahan ließ das prächtige Mausoleum zum Gedenken an seine im Jahre 1631 verstorbene große Liebe erbauen. Die jährlichen Besucherzahlen von zehn Millionen Menschen machen jedoch recht gut deutlich, vor welche Herausforderung der Tourismus die Unesco in ihrem Bestreben stellt, ihre Welterbestätten zu schützen und zu erhalten. Im vergangenen Jahr hat Icomos eine Arbeitsgemeinschaft „International Scientific Committee on Places of Religion and Ritual“ (Perico) ins Leben gerufen, die sich speziell mit der Frage nach dem Sakralen und seinem Schutz befasst. Dabei geht es um die Bauwerke, aber insbesondere auch um deren immateriellen Komponenten, die weiter betont werden sollen. Im Rahmen der Aachener Festwoche hatte Icomos zu einer Tagung eingeladen, die sich mit der Thematik „Sakralarchitektur und Tourismus“ beschäftigt hat.

 

Dezentrale Kultur des Glaubens

Die Unesco müsse lernen, wie sie mit den Touristen zum Schutz der Bauwerke umgehen könne, erklärte Michael Jansen. Doch wie kann der aussehen? Eintritt zu verlangen verbietet sich. Diese Stätten sollen jedem gläubigen Menschen, egal ob er der jeweiligen Religion angehört oder sich der Spiritualität des Ortes verbunden fühlt, offen stehen. Strenge Reglementierungen der Besucherzahlen durch die Polizei, wie es sie zum Beispiel in Mailand gibt, wo unter anderem die zum Welterbe zählende Kirche Santa Maria delle Grazie mit dem „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci ein Touristenmagnet ist, scheinen auch nicht die optimale Lösung. „Wichtig ist die innere Einstellung zu anderen Religionen. Das ist eine Frage der Ethik“, unterstrich Michael Jansen. Es gebe eine „Dezentralität der Kultur des Glaubens“, die das sakrale Erbe auch über die eigene Religion hinaus wertvoll mache. Wunsch der Unesco sei es, dafür zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für das Besondere zu schaffen, damit der „nicht religionsfixierte Tourismus nicht nur materielle Werte sieht, sondern auch die sakrale Bedeutung respektiert“.

Was diese Bemühungen zusätzlich erschwert: dass die touristische Vermarktung ihres Welterbes gerade für ärmere Länder eine wichtige Einnahmequelle darstellt. Immer öfter drängen ökonomische Aspekte die spirituellen und ethischen zurück. Ein Konflikt, dessen Lösung die Hüter des Welterbes auch in Zukunft weiter beschäftigen wird. Neben dem Tourismus gibt es einen weiteren Aspekt, der insbesondere das sakrale Welterbe immer wieder gefährdet: der Umgang der Weltreligionen und ihre Konflikte untereinander. Siehe Jerusalem, wo die Weltreligionen mit ihren Heilsstätten auf engem Raum ganz unmittelbar aufeinandertreffen und die Konflikte bekanntermaßen groß sind. Die 1981 in die Liste aufgenommene Welterbestätte „Altstadt und Stadtmauern von Jerusalem“ ist daher keinem Staat direkt zugeordnet und wurde bereits ein Jahr später auf die „Rote Liste des gefährdeten Welterbes“ gesetzt. Das Welterbekomitee sieht es als seine besondere Aufgabe an, die Entwicklung der Altstadt und den Erhalt ihrer Denkmäler zu überwachen und zu unterstützen.

 

Elemente beider Religionen

Ein Beispiel, wie Religionen sich positiv in ihrer Auffassung des Sakralen beeinflussen können, ist die Hagia Sophia in Istanbul. Die im 6. Jahrhundert errichtete Kuppelbasilika, die in ihrer Architektur einzigartig ist, war zunächst 500 Jahre lang die Hauptkirche des byzantinischen Reiches, später ortho-doxe und katholische Kirche. Vom 15. bis ins frühe 20. Jahr- hundert war die Hagia Sophia eine Moschee. Seit 1935 ist sie ein Museum, gilt aber orthodoxen Christen wie Muslimen immer noch als heiliger Ort. In der Architektur und besonders im Inneren finden sich neben den Bezügen zum Islam auch wieder freigelegte christliche Elemente, wie ein Stiftermosaik, das Maria umgeben von Kirchenstifter Kaiser Justinian und Kaiser Konstantin als Stadtgründer zeigt, sowie Fragmente eines Mosaiks, das Jesus als Weltenrichter darstellt.