Kein Sommer ohne Annakirmes. Für Sascha Ellinghaus gehört ein Besuch des Dürener Volksfestes dazu. Er ist keiner von den Kirmes-Enthusiasten, die von Rummel zu Rummel pilgern, um ein Fahrgeschäft nach dem nächsten auszuprobieren, stets auf der Suche nach dem Adrenalinkick. Sein Interesse gilt dem Austausch mit seiner Gemeinde, der Begegnung.
Sein Ziel: der Autoscooter der Schaustellerfamilie Loosen. Dort wird am ersten Kirmessonntag im Rahmen der Anna-Oktav Gottesdienst gefeiert. „Hier zeigt sich, wie eng Kirche und Kirmes einst verbunden waren und heute noch sind“, sagt der Leiter der katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge in Deutschland.
Seit 23 Jahren kümmert sich der Priester des Erzbistums Paderborn um die Seelsorge für Schausteller, Zirkusleute und reisende Marktkaufleute. Erst ehrenamtlich, dann im Nebenberuf und später als hauptberuflicher Nationalseelsorger. Fast genauso lange kommt er auf die Annakirmes, um dort mit seinem Kollegen Hans-Otto von Danwitz Gottesdienst zu feiern. „Ich habe einmal eine Einladung angenommen – und bin seitdem geblieben“, scherzt Ellinghaus am Ende des Gottesdienstes, der zugleich ein Abschied ist, denn Hans-Otto von Danwitz wird in diesem Spätsommer nach Jülich gehen.
„Ich bin schon immer gerne auf die Kirmes gegangen und habe früh den Zirkus gemocht. Aber dass es eine Circus- und Schaustellerseelsorge gab, war mir in meinen Zeiten des Seminaristendaseins gar nicht bekannt“, spricht der 1998 zum Priester geweihte Seelsorger von einem Zufall, der maßgeblich seinen beruflichen Werdegang beeinflusste. Als er noch Pfarrer in Dortmund war und mit den Sternsingern den Gottesdienst im Kölner Dom besucht hat, wollte er mit den Kindern und Jugendlichen als Dankeschön das Schokoladenmuseum besuchen. Doch 300 Gäste auf einmal waren schlicht zu viel. So plante der junge Pfarrer im darauffolgenden Jahr einen Besuch des Gelsenkirchener Weihnachtscircus und begründete eine Tradition.
Als sein Vorgänger im Amt des Nationalseelsorgers Unterstützung brauchte und in Gelsenkirchen beim Zirkus nachfragte, lautete die Antwort: „Der Pastor Ellinghaus kommt immer mit seinen Messdienern, fragen Sie den doch mal.“ Gesagt, getan. Aus dem 2002 aufgenommenen Ehrenamt wurde 2011 eine Beauftragung für die Region Westfalen im Nebenamt, seit 2014 ist Sascha Ellinghaus hauptamtlich Leiter des Arbeitsbereiches bei der Bischofskonferenz. Seitdem ist er den größten Teil des Jahres unterwegs. Sehr oft im Auto, oft im Zug, seltener im Flugzeug. Die Aufgaben reichen von einer Firmung in Flensburg bei einer italienischen Clownsfamilie im Zirkuszelt bis zur Kirmes in Rosenheim.
Allein der Terminkalender der vergangenen Tage lässt erahnen, wie schnell bis zu 60000 Reisekilometer im Jahr zusammenkommen: Ab 8. Juli war der Seelsorger in Bayern unterwegs und hielt an drei Stationen, am 12. Juli wurde ein Kirmes-Shop in der Innenstadt von Trier gesegnet, die Woche darauf Taufe auf der Rheinwiesenkirmes in Düsseldorf gefeiert und ein neues Fahrgeschäft mit 70 Metern Höhe (zum Glück nicht auf 70 Metern Höhe!) gesegnet. Dazwischen ein Abstecher nach Geldern zur heiligen Messe mit den Schaustellern sowie ein Besuch im Circus Traber bei seinem Halt in Paderborn, um einen neuen Mandelwagen zu segnen. Es gibt so etwas wie eine Grundreise-Route, auf der die regelmäßigen Gottesdienste angefahren werden. Hinzu kommen Taufen, Erstkommunionfeiern, Firmungen, Trauungen und Trauerfeiern.
„Schausteller und Zirkusleute sind gläubige Menschen und Teil unserer Kirche, die aufgrund der Reise nicht die Möglichkeit haben, die Dienste und Angebote der Kirche wahrzunehmen, die allen katholischen Christen bei uns offenstehen“, erklärt der 52-Jährige. Die Circus- und Schaustellerseelsorge setzt mehr auf eine „Hausbesuchspastoral“. Ellinghaus: „Auch diese Menschen brauchen einen eigenen Seelsorger, den sie kennen, der sie begleitet, zu dem sie Vertrauen aufbauen können.“ Seine Gemeinde sei zwar stets auf der Reise, dennoch gebe es eine starke Verbindung. „Diese Verbindung ist womöglich größer und enger als in einer normalen lokalen Gemeinde“, mutmaßt er. Wie auf jedem Gebiet der Pastoral könne er nur dann ein guter Ratgeber sein, wenn er ein Stück mitlebe, wofür die anderen leben. „In den vergangenen 23 Jahren bin ich in meine Aufgabe reingewachsen und habe viel gelernt. Ich kann nicht ausführen, was sie können, aber verstehe, warum sie so leben“, sagt er mit Blick auf das Leben auf der Reise der Schausteller und Zirkusleute.