Es ist schon ein Phänomen – binnen kürzester Zeit hat sich der Instagram-Kanal der Krefelder Innenstadtkirche St. Dionysius zu einer der meistbesuchten Seiten katholischer Träger gemausert.
Zu verdanken ist das vor allem zwei Personen – Pfarrer David Grüntjens und Gemeindereferentin Michelle Engel, die als „Frengels und Chef“ einen Einblick in ihren Arbeitsalltag geben, und der Art, wie sie es tun. Die Reels – kurze Filme – zeigen „Frengels“ (der Spitzname von Michelle Engel beruht auf einem Missverständnis aus der Anfangszeit des Teams und ist seither hängen geblieben, wird auch in einem Reel erklärt) und „Chef“ beim Einkaufen, beim Ausflug mit den Erstkommunionkindern nach Kevelaer oder beim Kochen.
Die Klicks ihrer „Fragerunden“, in denen alle Fragen beantwortet werden, die den Followern unter den Nägeln brennen, bewegen sich inzwischen im vierstelligen Bereich. Anfang März hat der Kanal die 10 000-Follower-Marke überschritten, keine zwei Monate später die 20 000er-Marke. Aktuell folgen der Seite 26 300 (Stand 8.4.2024) Interessierte. „Wir sind da so reingerutscht“, erzählt Michelle Engel. Als David Grüntjens vor gut vier Jahren seine Stelle als Pfarrer in der Kirchengemeinde Papst Johannes XXIII. antrat, hat sich das Team zusammengesetzt und überlegt, was es vor Ort auf die Beine stellen wollte. „Dabei haben wir auch über Social Media gesprochen und fanden, es wäre gerade in der heutigen Zeit klug, das auch zu machen.“ Engel kannte das von der evangelischen Kirche: „Einige Seiten sind da auch gut aufgestellt. Ich habe schon damals zu ,Chef’ gesagt, „wenn wir das machen, soll es nicht so ,churchy’ sein, sondern wir müssen aus unserem Alltag berichten.“
Doch erst einmal bremste Corona das Projekt aus. „Ich habe zwar ab und zu mal die Kamera draufgehalten, beispielsweise, wenn ,Chef’ mit dem Staubsauger durch das Büro geht, das kam auch ganz gut an.“ Auf einer Plattform wie Insta-gram, sagt Michele Engel, müsse man sich einen Namen machen. Wenn im Namen dann schon der Begriff „Kirche“ stecke, sei es schwierig, „für viele ist das auch eine Hemmschwelle“. Denn mit Kirche verbinden viele im Allgemeinen eher negative Schlagzeilen. Da einen Zugang zu den Menschen zu finden, sei nicht so einfach. Es gehe um einen Mehrwert. Dabei gab es von Anfang an kein festes Konzept: „Es kam so aus dem Tun heraus.“ Pfarrer David Grüntjens ergänzt: „Ich kann mit dem ,Nicht so churchy’ gut leben. Wir haben 2024, es muss in die Zeit passen, den Nerv treffen und es soll nicht peinlich sein. Einmal hat jemand gesagt, das sei ,Klamauk mit Predigt’, aber so, wie wir uns zeigen, können wir damit leben.“ Gerade dieses Spontane – auch, wie Grüntjens sagt „Ungeschützte“ – komme bei den Menschen sehr gut an: „Authentisch“, unterstreichen beide.
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„Wir wollen offen und einladend, im positiven Sinne Menschenfänger sein“, antwortet David Grüntjens auf die Frage, wie eine zeitgemäße Kirche für ihn aussehe. Es gibt einen Willkommensdienst in der Gemeinde, Menschen, die sich für eine ehrenamtliche Arbeit interessieren, werden begleitet. „Das muss Kirche heute sein, dieses gemeinschaftliche Leben des Glaubens“, findet Michelle Engel.
Seit gut einem Jahr lässt sich bei „Diokirche Krefeld“ – so der offizielle Name des Internet-Auftritts – praktisch in Echtzeit verfolgen, wie die Zahl derer wächst, die dem Kanal folgen. David Grüntjens hatte damals die Idee, täglich einen digitalen Adventskalender zu posten. „Seitdem poste ich jeden Tag ganz viele Storys unterschiedlicher Art: Mit den Predigten vom Chef, mit Impulsen, mit unserer Dynamik, unserem Humor hier im Büro.“ Diese Mischung macht’s, wie auch die Kommentare der Menschen zeigen, die die Seite besuchen.
„Es ist schon Wahnsinn, was man damit erreichen kann“, reflektiert Michelle Engel. Der Kanal erreicht auch Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, die überlegen, auszutreten, auch Menschen anderen Glaubens oder anderer Konfessionen.
David Grüntjens erzählt, dass sich Menschen, die wirklich schlimme Sachen in der Kirche erlebt haben, beim Team melden und sich ihnen anvertrauen, weil sie das Gefühl haben, sie kennen die beiden. Es sei schon „krass“, was das in Menschen auslöse, und dass das durch „Klamauk mit Predigt“ möglich ist. Der jüngst gepostete Aprilscherz, in dem die beiden ankündigen, das Konto einzustellen, weil es zu zeitwaufwändig geworden sei, löste bei einigen echte Sorgen aus.
Der Erfolg überrascht beide. „Ich wusste, dass unsere Dynamik eine besondere ist, die bei den Leuten gut ankommt. Das merken wir auch hier vor Ort, dass wir die Menschen mitnehmen “, sagt Michelle Engel. Es gibt auch die Kritiker, die meinen, das habe alles nichts mit Kirche zu tun, da gehe es nur darum, sich zu profilieren. „Das hat mich am Anfang schon sehr gebremst“, sagt David Grüntjens. Die Bestätigung überwiegt jedoch. Michelle Engel hat sich einmal die Mühe gemacht, und „Chef“ seitenweise Kommentare von Menschen ausgedruckt, die sich bedankt haben. „Da habe ich gemerkt, wir haben da irgendetwas losgetreten, was viel größer ist.“
Warum die Dynamik zwischen den beiden die Follower so anspricht, erklärt Michelle Engel so: „David Grüntjens ist ein junger Pfarrer. Er ist humorvoll und ...(Grüntjens hilft) frech. Das kennen die Leute so nicht.“ David Grüntjens ergänzt: „Das macht es auch für die Leute so interessant zu sehen, dass da einer ist, der so krass aus diesem Bild ausbricht, das mit so vielen Klischees beladen ist.“ Freunde, die die Videos ansehen, erzählt er, bescheinigen ihm durchaus Stromberg-Qualitäten. In der gleichnamigen Fernseh-Serie spielt Christoph Maria Herbst einen Chef, der mit seiner schnoddrigen Art regelmäßig sein Team herunterputzt. Michelle Engel pariert dies durchaus gekonnt. Die Menschen wissen, dass es innerhalb dieses Settings nicht ernst gemeint sei, sagt David Grüntjens. Den Kontrast bilden dazu die Predigten. „Ein Leser hat kommentiert ,Krass die zwei Gesichter‘. Aber nicht im Sinne von Schizophrenie, eher im Sinne von Vielfältigkeit.“ Durch den Account haben sie Menschen angesprochen, die sich ehrenamtlich engagieren, vor Ort die heiligen Messen besuchen – auch aus Kassel, Mainz oder Berlin.
Den Account bespielt Michelle Engel allein, was inzwischen zunehmend eine Herausforderung ist. „Uns erreichen Hunderte von Nachrichten pro Tag. Das ist kaum zu stemmen. Es macht den Account aber auch aus, dass ich darauf zurückschreibe. Ich möchte, dass die Menschen wissen: Das Bodenpersonal von Kirche ist wirklich auch da für sie.“ Wie viel Zeit sie in den Account investiert, kann die Gemeindereferentin gar nicht sagen. „Eigentlich immer etwas“, sagt sie lachend. Die Videos brauchten dabei nicht viel Zeit oder Kraft, auch das Hochladen gehe noch. Der Löwenanteil an Arbeit sei das Beantworten der Nachrichten. Grenzen bei dem, was gepostet wird, gebe es eigentlich kaum, sagen beide, auch, wenn es Situationen gebe, in denen sie sich wünschten, sie könnten die Kamera mal weglassen. „Gerade das Normale, wenn ich uns beim Einkaufen filme, zieht die Menschen rein“, sagt Michelle Engel. Es ist für sie auch die Möglichkeit, zu zeigen, was hinter dem sperrigen Begriff „Gemeindereferentin“ steckt. „Es gibt viele, die sich für den Beruf interessieren, nach der Ausbildung fragen, weil sie sehen, dass Kirche vielfältig ist und Spaß machen kann“.
Ein wachsender Account bedeutet nicht nur mehr Arbeit – er bedeutet auch, dass man die Follower bei der Stange halten muss. Als das Team das Erreichen der 10000er –Marke gefeiert hatte und eine kleine Anzahl an Tassen mit dem Diokirchen-Konterfei an die Follower abgab, war die Enttäuschung bei vielen groß, die leer ausgegangen waren. Doch für Merchandising im größeren Stil fehlen die Zeit und die Mittel. „Wir sind eine ganz normale Kirchengemeinde und da ist kein Etat für so etwas vorgesehen“, sagt David Grüntjens. Das schließe auch die Technik mit ein. Die Anschaffungen hat die Pfarrei übernommen: „Das geht eigentlich so nicht.“ Wenn es auch vom Bistum gewollt ist, dass es solche Plattformen gibt und diese Erfolg haben, brauche es Interaktionen und dafür eben auch entsprechende finanzielle Unterstützung.
Die beiden sind im realen wie im digtialen Raum im wahrsten Wortsinn Aushängeschilder für ihre Kirche. Für beide macht das einen Teil des Erfolges aus. „Ich finde es auch besser, wenn ich sehe, wer hinter dem Account steht“, sagt Michelle Engel. „Generell braucht es bekannte Gesichter vor Ort – trotz aller Strukturveränderungen – , mit denen sich die Menschen identifizieren können, in der Kirche wie im Internet“, unterstreicht David Grüntjens. Genauso sei es auch mit der Account-Pflege, ergänzt Michelle Engel. Ihr ist es wichtig, dass die Menschen feste Ansprechpartner haben. Selbst, wenn für wirklich seelsorgerische Gespräche in diesem Format der Raum fehlt, das Signal, gehört zu werden, bei Problemen weiterzuhelfen und zu vermitteln, helfe vielen schon weiter. Dasein, zuhören, die positiven Erfahrungen mit Kirche verstärken. Das ist das, was die beiden im Kern antreibt. Vor Ort in Krefeld wie auch auf dem Insta-Kanal.
Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2023 zeigt: 52 Prozent der deutschen Bevölkerung nutzen in einer normalen Woche Social Media. In der jüngsten Altersgruppe greifen neun von zehn Personen mindestens einmal in der Woche auf Social-Media-Angebote zurück, ab 70 Jahren sind es mittlerweile 14 Prozent. An einem normalen Tag sind es 35 Prozent der Bevölkerung, die Social Media nutzen (68 Prozent bei unter 30-Jährigen). Bezogen auf die Gesamtbevölkerung wird eine Nutzungsdauer von 31 Minuten ermittelt (69 Minuten bei unter 30-Jährigen). Instagram führt das Ranking der Social Media- Nutzung mit 35 Prozent vor Facebook mit 33 Prozent an.
Bei unter 30-Jährigen liegt Instagram mit 79 Prozent deutlich vor Snapchat (52 Prozent), TikTok (41 Prozent) und Facebook (34 Prozent). In der mittleren Altersgruppe (30-49 Jahre) behält Facebook noch seine führende Position vor Instagram, TikTok, Pinterest, Twitter und LinkedIn.