Ausgesungen

Der Kapellenchor Golbach wurde nach 82-jähriger Geschichte aufgelöst

Der Chor im Einsatz. (c) privat
Der Chor im Einsatz.
Datum:
30. Nov. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 48/2022 | Gerd Felder

Der einzige Kapellenchor im Bistum Aachen ist aufgelöst worden. Nachdem er sich während der Coronazeit bereits seit Jahren nicht mehr getroffen und miteinander gesungen hatte, erfolgte vor wenigen Tagen der offizielle Schlussakt beim Kapellenchor Golbach, dessen Einsatzort die örtliche Maria-Hilf-Kapelle ist. 

„Ein Stück Kultur fehlt jetzt“, bedauert Karl-Heinz Reetz, guter Geist und Motor des Kapellenchors. „Manch anderer Chor hat uns zu unserer großen Zeit beneidet.“ Grund für die Auflösung ist nach den Worten von Reetz, dass seine Frau, Chorleiterin Hildegard Reetz, aus gesundheitlichen Gründen den Chor nicht weiterleiten möchte und kein Nachfolger da ist. Ein anderer Grund ist der mangelnde Nachwuchs: Zuletzt zählte der Kapellenchor 30 Mitglieder, von denen viele schon über 80 Jahre alt waren. Ganz zu Ende geht die Geschichte des Chors mit der Auflösung aber noch nicht, denn auf Wunsch etlicher Mitglieder werden die aktiven und inaktiven Choristen sich künftig noch alle zwei Monate zum Singen und Klönen treffen.

Der Kapellenchor wurde 1940 offiziell gegründet. Aber bereits 20 Jahre zuvor wurde im Ort Golbach gesungen. Lehrer Josef Bosch hatte damals einen Männergesangverein ins Leben gerufen, der vorwiegend weltliche Lieder vortrug. Zahlreiche Notenblätter verbrannten, als die Gaststätte im Ort Mitte der 1930er Jahre in Flammen aufging. Dieser erste Männerchor bestand bis 1935. 1930 bildete sich um den damals erst 17-jährigen Alfons Klöcker ein zweiter Männerchor, der ausschließlich kirchliche Lieder einstudierte. 1940 war es der damalige Kaplan Schallenburger, der auch Frauenstimmen in die Singgemeinschaft bat und damit den Golbacher Kapellenchor aus der Taufe hob. Aufgrund der politischen Verhältnisse gab es damals weder eine Gründungsversammlung noch schriftliche Aufzeichnungen. Einen Aufschwung erlebte die Singgemeinschaft, als der musikalisch sehr begabte Kaplan Heinrich Müller 1945 die Leitung übernahm; neun Frauen und neun Männer sangen zu dieser Zeit mit. Als Müller 1949 versetzt wurde, übernahm der gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Lehrer Heinrich Görtzen die musikalische Führung. Zu seiner Zeit kamen 32 Choristen regelmäßig zur Probe. Auf Heinrich Görtzen folgte als Chorleiter Helmut Hahn, der allerdings 1966 in den Eifelort Blankenheimerdorf versetzt wurde, so dass der Chor erneut verwaiste.

Nach 47 Jahren hat Hildegard Reetz die Chorleitung aufgegeben

1968 übernahm die damals 18-jährige Hildegard Reetz die Leitung, setzte zwischendurch wegen der Geburt ihrer Kinder für sieben Jahre aus und übernahm 1980 die Leitung ein zweites Mal. „Dass ich mit der Leitung betraut wurde, war anfangs eine Notlösung“, erinnert sich die langjährige Chorleiterin. „Mein Vorgänger Helmut Hahn meinte: Du hast eine schöne Stimme, kannst Klavier spielen und Partitur lesen, deshalb bist du die Richtige. Ich war damals blauäugig und habe mich darauf eingelassen.“ Sie habe dann im Laufe der Jahre viele Fortbildungen gemacht und sei sehr gut unterstützt worden, so dass ihr der Chor total ans Herz gewachsen sei. Inzwischen aber ist Hildegard Reetz gesundheitlich angeschlagen und muss sich demnächst einer Hüftoperation unterziehen. Bereits im vorigen Jahr ist sie offiziell verabschiedet worden. „Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich einen klaren Schnitt machen kann, denn ich werde 75 und habe den Chor 47 Jahre lang geleitet. Das müsste reichen.“

Nach dem Repertoire des Kapellenchores befragt, hat Hildegard Reetz eine einfache Antwort parat: „Lieder, die ich gern singe und die der Chor gerne singt.“ Im Mittelpunkt standen moderne geistliche Lieder wie „Ins Wasser fällt ein Stein“ oder das „Hallelujah“, aber auch verschiedene Messen wie das Deutsche Oratorium von Hermann Müller, die kleine Orgelmesse von Joseph Haydn oder die „Missa in C“ von Johann Ernst Eberlin.

Regelrecht gebettelt, den Chor zu erhalten

Zu gemeinsamen Ausflügen brach der Chor  regelmäßig auf. (c) privat
Zu gemeinsamen Ausflügen brach der Chor regelmäßig auf.

Traditionsgemäß trat der Chor zu allen großen kirchlichen Festen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten auf. Zudem stand regelmäßig die musikalische Gestaltung kleinerer und größerer Feste auf dem Programm. Goldhochzeiten, Priesterjubiläen, Fronleichnamsmessen, Einweihungen von Gebäuden, Jubiläumskonzerte, Beerdigungen und auch die Beteiligung an Karnevalsumzügen gehörten zum Jahresprogramm der agilen Choristen. Treibende Kraft und „Mädchen für alles“ im Kapellenchor war viele Jahre Karl-Heinz Reetz, der Ehemann von Hildegard Reetz. „Ich habe regelrecht darum gebettelt, dass wir den Chor erhalten sollten“, sagt der 80-Jährige. „Aber ich respektiere natürlich die Entscheidung meiner Frau und kann sie gut verstehen.“

Was er am Chor besonders geschätzt hat? Da braucht Reetz nicht lange zu überlegen: den großen Zusammenhalt, die herausragende Kameradschaft und große Harmonie. 
Vor der endgültigen Auflösung unternahm der Chor Anfang Oktober eine gemeinsame Abschlussfahrt ins Sauerland, besuchte unter anderem die Burg Altena, fuhr mit dem Schiff über den Biggesee und mit dem Planwagen durch Lennestadt. Vor wenigen Tagen löste er sich bei einer Abschiedsversammlung dann offiziell auf. „Von 20 anwesenden Mitgliedern haben alle 20 für die Auflösung gestimmt“, berichtet der kommissarische erste Vorsitzende Paul Gölden. „Es gab keine Enthaltung und keine Gegenstimme.“ Gölden, seit 1999 Chormitglied und seit 2003 Kassierer des Chores, bekennt, dass er am Ende ganz tief habe schlucken und ein paar Tränen verdrücken müssen. „Mit der Auflösung unseres Chors geht ein Stück Dorfgeschichte verloren“, sagt er mit bewegter Stimme.