Ausdauernde Hilfe

Jedes Wochenende fährt die „Charlie-Truppe“ nach Gemünd

Kommt eigens jede Woche aus Grevenbroich ins Gemünder Flutgebiet, um zu helfen: Roland Lackmann, den seine Frau Claudia unterstützt. (c) Berthold Strauch
Kommt eigens jede Woche aus Grevenbroich ins Gemünder Flutgebiet, um zu helfen: Roland Lackmann, den seine Frau Claudia unterstützt.
Datum:
19. Apr. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 16/2022 | Berthold Strauch

Die Wiedersehensfreude auf beiden Seiten ist unbeschreiblich. Gerade hat die Kolonne der Helfer aus dem Monschauer Land in der flutzerstörten Bruchstraße in Gemünd gestoppt, da kommen auch schon die ersten Menschen aus den angrenzenden, oft erkennbar noch stark beschädigten Häusern, bepackt mit stabilen Taschen. Sie haben die Besucher schon sehnsüchtig erwartet. Der strahlende Sonnenschein trägt ein Übriges zur erkennbar guten Stimmung trotz dieser Tristesse bei.

Kaum sind Rebecca Müller aus Lammersdorf und ihre Mitstreiter der privaten „Charlie-Truppe“ – benannt nach ihrem Maskottchen, dem Teddybär eines Helfers – ausgestiegen und haben die Kofferraumdeckel ihrer sieben Fahrzeuge geöffnet, geht es auch schon munter los mit dem Verteilen der Hilfsgüter. Doch so viel Zeit muss vorher schon noch sein: Erst einmal gibt’s herzliche Umarmungen und viele freundliche Worte: „Schön, dass ihr wieder da seid!“

Dabei ist es gerade mal eine Woche her, dass die Charlie-Truppe zuletzt dort war. Mit verlässlicher Regelmäßigkeit kommen die Helfer wieder, und das auch noch in den nächsten Wochen und Monaten, verspricht Rebecca Müller. Die Betroffenen der immensen Überschwemmungskatastrophe von Mitte Juli 2021 können immer noch jede Unterstützung gebrauchen. Und sie sind froh, dass sie auch nach fast acht Monaten mit ihrem Leid noch nicht in Vergessenheit geraten sind.

Das Hilfsprojekt des „Helfer-Netz-Werks“ wird am Samstagmorgen in Paustenbach zum wiederholten Male fast generalstabsmäßig gestartet. Schon früh kommen die ersten Helfer an, gehen ins provisorische Lager, packen Getränke, frisches Gemüse und Obst, weitere Lebensmittel, dazu Konserven, Wasch- und Reinigungsmittel, aber auch schon mal Hunde- und Katzenfutter, Toilettenpapier, Babynahrung und Windeln, sowie viele andere Sachen. Alles wird zu den bereitstehenden sieben Privatfahrzeugen getragen. Angesichts der Menge an gewichtiger Zuladung geht mancher Wagen schon langsam „in die Knie“. Auch noch die letzten Winkel im Innern werden „pickepacke“ vollgestopft bis unters Dach.

Alles, was ins Tal von Urft und Olef transportiert wird, konnte dank vieler großzügiger Spenden von Gönnern, die oft im Hintergrund bleiben möchten, beschafft werden. Hier und da werden auch kleine Wunschzettel der Gemünder berücksichtigt. Dazu gehören zum Beispiel mal ein Besen, eine Schaufel und andere nützliche Gegenstände, die in den betroffenen Haushalten wieder ein Stück Normalität zurückbringen sollen. Denn viele Menschen haben fast alles verloren. Da fehlt es immer noch an vielem dringend Notwendigen. Dazu zählt zum Beispiel auch Werkzeug aller Art, wie etwa Schraubenzieher und ähnliches.

Zu denen, die sich bei den „Charlies“ engagieren, gehören Ruth Rosenwick aus Konzen, Gisela Wilden aus Paustenbach, Gabi Hammer aus Mützenich und Rika (Veronika) Steffen aus Huppenbroich. Auch Andreas Stündel aus dem belgischen Hergenrath ist regelmäßig dabei. Der 60-jährige Sozialarbeiter ist in der Jugendhilfe im Stolberger Agnesheim beschäftigt, wo er auch mit Kindern zu tun hat, die von der Flut traumatisiert sind. Und er findet auch noch Gelegenheit, in seiner Freizeit anzupacken.  

Der „Kopf“ der Charlie-Truppe aus Lammersdorf: Rebecca Müller im Paustenbacher Warenlager. (c) Berthold Strauch
Der „Kopf“ der Charlie-Truppe aus Lammersdorf: Rebecca Müller im Paustenbacher Warenlager.

„Da ist noch eine Riesenbütt Sauerkraut. Die muss auch noch mit“, ruft Rebecca Müller. Gesagt, getan, auch wenn die Federung des gerade beladenen Wagens noch tiefer rutscht. Dann ruft die „Chefin“ zum Aufbruch. Die junge Mutter hat ihre kleinen Söhne dabei. Bevor es losgeht, liegt ihr noch ein Hinweis am Herzen: „Das Wichtigste von allem ist, dass wir zuhören.“ Da werde auch schon mal ein „Tränchen verdrückt“, bekennt Rebecca Müller. Auch ihr gehen nach all den Monaten die emotional aufwühlenden Gespräche mit den Flutopfern weiter nahe.

Hier und da gehen die Emotionen vor Ergriffenheit hoch, nachdem sich die Menschen nach Wunsch bedient haben. Zu den glücklichen Empfängern gehört auch Melanie Weber. Die Krankenschwester am Krankenhaus Mechernich plant den Besuch der Charlie-Truppe so ein, dass es mit dem Dienst passt. „Das ist ein Highlight für mich“, schwärmt sie von den Helfern. „Unfassbar, dass sie immer noch kommen.“ Ihr Wohnhaus hat stark gelitten in den Fluten. Da ist sie heilfroh, dass sie bei den Lebensmitteln etwas Geld einspart, das sie stattdessen in die Renovierung stecken kann. 

So geht es auch den anderen Nachbarn, die überaus dankbar für diese Unterstützung sind. Davon schwärmt auch Peer Piesciek. Der 32-Jährige sagt: „Ich bin sehr froh, dass es diese Hilfe gibt.“ Dem schließt sich Mandy Pumpo an. Die 20-Jährige beginnt jetzt mit einer Ausbildung zur Altenpflegerin. „Ich kann die Hilfe echt gut gebrauchen“, sagt sie offen. „Hut ab, dass sie jedes Wochenende kommen. Dafür bin ich sehr dankbar.“

Harald Klein (60) sprudelt förmlich los, als er auf sein Flutschicksal angesprochen wird. Auch Monate nach dem bitteren Geschehen merkt man schnell, dass da noch lange nichts verkraftet ist. Der Lkw-Fahrer ist krankgeschrieben. Es wird schnell emotional, wenn er erzählt, wie es ihm und seiner schwerbehinderten Frau Nicol in der Flutnacht ergangen ist. „Sie wäre beinahe ertrunken, wenn ich nicht zu Hause gewesen wäre!“, schießt es aus ihm heraus. „Sie sitzt im Rollstuhl. Ihr stand das Wasser schon bis zum Hals.“ Ihr Mann konnte sie im letzten Moment retten, als die Fluten mitten in der Nacht plötzlich binnen Sekunden förmlich in ihr Haus an der Urftseestraße in Gemünd schossen und immer höher stiegen. Ihr Haus mussten Harald und Nicol Klein verlassen. 30 Kilometer von Gemünd entfernt, in Dahlem-Berk, seinem Heimatort, haben sie eine Unterkunft gefunden, solange ihr schwer beschädigtes Haus saniert wird. Es gibt dort immer noch viel zu tun.

Hier und da werden auch Kleidungsstücke, die gewünscht wurden, übergeben, zum Anprobieren kurz auf dem Gehweg übergestreift. Alexander Tinnis freut sich über einige Hemden. Der 80-Jährige, ein Russlanddeutscher aus Kasachstan, lebt schon seit 30 Jahren mit seiner Familie in Gemünd, war Kraftfahrer. Auch er zeigt große Dankbarkeit, die bei ihm und den vielen anderen Empfängern von Hilfsgütern aus tiefem Herzen kommt. Er und die anderen Betroffenen werden nächsten Samstag wieder auf den kleinen Lichtblick warten, den die Helfer aus Lammersdorf und Umgebung bieten …

Info

Wer Werkzeuge und andere Gebrauchsgegenstände abzugeben hat oder sonst unterstützen möchte, zum Beispiel ebenso mit Geldspenden, kann sich gerne bei der Charlie-Truppe melden. Die Kontakt-Mailadresse lautet: rebeccamueller4@gmx.de. Und auch auf Facebook ist die Truppe vertreten, kann unter Helfer-Netz-Werk/Charlie Truppe kontaktiert werden.

Hohe Anerkennung für die Arbeit der Charlie-Truppe um die Lammersdorferin Rebecca Müller: Der Bürgermeister der Stadt Schleiden, Ingo Pfennings (CDU), zeigt sich sehr angetan von dem Engagement der 31-Jährigen und ihrer Mitstreiter. In einem Schreiben an Müller und deren Helfer-Netzwerk formuliert Pfennings, er habe bereits viele von deren Mitgliedern persönlich kennenlernen können. Und er sei „immer noch begeistert von Ihrem Einsatz“. Er dankt insbesondere Rebecca Müller für ihre Initiative und ihren „andauernden Einsatz“, kurz nach der Flut Mitte Juli 2021 aktiv geworden zu sein.

Neben den vielen Spenden materieller und finanzieller Art, die die Charlie-Truppe bereits in das Gebiet der Stadt Schleiden gebracht habe, „ist sicher auch die Funktion als ,offenes Ohr‘ für die von der Flut Betroffenen unersetzbar und immer wieder ein Lichtblick aus der Krise“, ist Pfennings überzeugt. Dafür spreche er seinen „allergrößten Dank“ aus. 
 Als Zeichen der Dankbarkeit stellt Pfennings dem Team Tankkarten im Wert von 250 Euro zur Verfügung, zumindest als „Tropfen auf den heißen Stein“, um die privat getragenen finanziellen Aufwendungen der Anreise aus dem Monschauer Land wenigstens etwas auszugleichen. Zudem gibt es Tassen, die für die „Nationalpark-Hauptstadt“ werben, als Stück Erinnerung für die Arbeit in Schleiden. 

Die "Charlie-Truppe" im Einsatz

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