Immer wieder beschäftigt sich der Künstler Thomas Virnich in seiner Arbeit mit der Kirche. Im Auftrag von Gemeinden macht er ungewöhnliche Altäre, im öffentlichen Raum findet man Arbeiten zu biblischen Themen. Ein Beispiel ist der „Turmbau zu Babel“ vor dem Rathaus Abtei in Mönchengladbach. Zeit für einen Atelierbesuch.
Je nachdem, von welcher Seite man ihn ansieht, scheint der Petersdom auseinanderzulaufen und über die Kante des Schrankes zu brechen. Oder, von der anderen Seite betrachtet, in sich zusammenzufallen. Aber egal, aus welcher Perspektive man draufschaut, der Petersdom ist aus der Form geraten. Ein desolater Zustand, der auch die anderen Gotteshäuser in Thomas Virnichs Atelier erfasst hat: Die Kirche auf dem Tisch sieht zerrissen aus. Die Öffnungen zeigen die Umrisse von Figuren. Die Mauern sind zerbrechlich, das Kreuz auf dem Kirchturm hängt schief. Das Gotteshaus scheint sich aufzulösen. Hat der Künstler hier etwa den Umbruch, in dem die katholische Kirche gerade steckt, dargestellt? Die Antwort ist: nein. Die Kirche sei sein Zuhause, sagt Virnich. Auch wenn er kein Kirchgänger ist. „Ich sehe die Kirche absolut kritisch“, sagt er. Aber Kirchengebäude faszinieren ihn einfach.
Viele berühmte Kirchen hat er in seinem Atelier, einer ehemaligen Schule, stehen, liegen und hängen. Den Kölner Dom zum Beispiel, der am ersten Septemberwochenende anlässlich der „Tage der Kunst“ im „Schwalmtaldom“ zu sehen sein wird. Kopfüber wird er von der Decke hängen, die Spitzen nach unten zum Boden gerichtet.
Oder der Mailänder Dom, der in zwei Ausführungen in Garten und Hof von Virnichs Atelier stehen: Einmal in weiß mit schwarzen Konturen und einmal in einer rein weißen Version. Jeweils in zwei Teile ist Virnichs Dom geteilt, zwischen denen nur ein Spalt ist. Aber anders als zum Beispiel die Frauenkirche, die ebenfalls durch einen tiefen Spalt getrennt wird, scheinen die Mauern des Mailänder Doms auf einem festen Fundament zu stehen. Die Frauenkirche dagegen scheint in der Sommersonne zu schmelzen.
„Ich suche beides: den Versuch, den Verfall aufzuhalten, und die Neu-Entstehung der Kirche“, sagt Virnich. Nicht nur den alten Gotteshäusern wendet er sich zu. Auch mit der Sagrada Família, dem unvollendeten Kirchenbau von Antoni Gaudí in Barcelona, hat er sich in einer Arbeit beschäftigt. „Ich versuche, mich zurückzuhalten, das klappt aber nicht. Ich habe ja nur ein Leben.“
Stichwort Leben: Wer die ausgehöhlten Kirchen näher ansieht, entdeckt, dass die Löcher in den Wänden Umrisse von Figuren sind. „Die schneide ich aus. Wenn ich sie bemalt habe, kommen sie wieder an die Kirche“, sagt Virnich. Vorbild ist der „Schwalmtaldom“, wie St. Michael Schwalmtal im Volksmund heißt. Zu den Tagen der Kunst arbeitet Virnich an einer Edition. „Er lebt von den Leuten“, sagt Virnich. „Ohne Leute ist kein Dom möglich.“ Was für das Gotteshaus am Niederrhein gilt, gilt für die Kirche ganz allgemein.
Nichts bei Virnich ist einfach nur schön und glatt – schon gar nicht die sakralen Kunstwerke. Überall entdeckt man Risse und Kerben. Wie bei dem Altar, der seit 20 Jahren im ehemaligen Schulhof steht. Ursprünglich war er für die Neuwerker Kirche Maria von den Aposteln gedacht. Aber er war zu hoch für den Geistlichen. Also machte Virnich einen neuen aus Ziegelstein, der aus 13 Teilen besteht. Der mittlere Stein des 1997 geweihten Altars fehlt – er trägt das Taufbecken. Der ursprünglich vorgesehene Altar geht dann und wann auf Ausstellungsreise. Vor drei Jahren war er auf der „Fine Art“ in Köln.