Als er seine Musik, den New-Orleans-Jazz, entdeckte, sei das wie eine Befreiung gewesen, sagt Walter Maaßen. Der 87-Jährige schätzt an diesem Stil die Zusammenkunft von Trauer und Fröhlichkeit, die Vereinigung zwischen verschiedenen Kulturen. Eine Geschichte von Leben, Tod und Auferstehung.
In jüngster Zeit hat Walter Maaßen öfter auf Beerdigungen von Wegbegleitern gespielt. In seinem Alter muss man Abschied nehmen lernen. „Im letzten halben Jahr habe ich drei Musiker verloren“, sagt er. Mit seiner Borderland-Jazzband steht der Jazz-Trompeter und Posaunist seit knapp 30 Jahren auf der Bühne. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat er mit seinen Kollegen bei der Beisetzung eines verstorbenen Freundes die Sargträger mit „Just a closer walk with thee“ begleitet. Für die hiesige Bestattungskultur ungewöhnlich, für Beisetzungen in New Orleans ist das ganz normal.
„Das ist die Musik der Roots, der schwarzen Sklaven, die man verschleppt hatte“, sagt Maaßen. „Darin haben sie ihre Trauer und ihren Schmerz ausgedrückt.“ Der afrikanische Rhythmus ist beim New-Orleans-Jazz aufgenommen worden und mit der Melodie und Harmonie der weißen Einwanderer aus Irland gemischt worden. So entstand dieser spezielle Musikstil.
Bei Beerdigungen in New Orleans begleitet diese Musik Verstorbene oft auf ihrem letzten Weg. „Im Prinzip ist es dort wie hier: Die Trauergemeinde geht verhaltenen Schrittes zum Friedhof, angeführt von einem Vierspänner mit Pferden, der den Wagen mit dem Sarg zieht“, sagt Maaßen. Er selbst hat dort eine Beisetzung erlebt. „Am Grab wird das Lieblingslied des Verblichenen gespielt, dann dreht die Kapelle ab, und es geht mit Trallala in die Stammkneipe des Verstorbenen.“ Der Tod werde als Erlösung empfunden. „Man ist fröhlich, weil der Verstorbene in den Himmel aufsteigt.“
Das Motiv der Wiederauferstehung sei in der Musik verankert. Das macht die Musik tröstlich für die Hinterbliebenen. Das gibt auch dem Blues seinen versöhnlich-tröstlichen Ton. Am Ende gibt es immer Hoffnung.
Wie wichtig diese Wirkung ist, hat Maaßen selbst als Musiker erlebt. „Nachdem wir ‚Just a closer walk with thee‘ gespielt haben, sind einige Trauernde zu mir gekommen und haben mir gesagt, dass das der beste Moment war“, sagt Maaßen. Der Vater eines Bekannten habe sich dazu entschieden, dass auf seiner eigenen Beerdigung eine Jazz-Kapelle spielen solle. „Er hatte das selbst erlebt und wollte, dass daran erinnert wird, dass er ein gutes Leben hatte“, sagt Maaßen. Ein Trauerzug mit 500 Personen sei durch die Gemeinde gezogen. Nach der Beisetzung habe der Beerdigungskaffee in einer öffentlichen Halle stattgefunden. Eine Band habe gejazzt. „Es war ein Fest, und sein Sohn, der vorher skeptisch war, war froh darüber“, sagt Maaßen.
Dieser besondere Musikstil, den Maaßen im Alter von neun Jahren für sich entdeckt hat und der für ihn zur Melodie seines Lebens wurde, hat er nach dem Krieg von amerikanischen Soldaten gehört. „Die fuhren in ihren Militärfahrzeugen durch die Straßen, und die Musik lief“, erzählt der 87-Jährige. „Für mich war das die Musik der Freiheit. Es war mein Erweckungserlebnis.“
Die Musik drückt auch seinen Glauben aus. „Der Glaube gibt mir Ruhe, meinen inneren Frieden“, sagt Maaßen. „Im Krieg habe ich im Bunker gebetet. Als Kriegskind kann ich gut nachempfinden, was die Menschen in der Ukraine gerade durchleiden.“ Evakuierung, Flucht und Angriffe während der Flucht: Das alles hat Maaßen in seiner Kindheit erlebt. „Aber alles hat sich zum Guten gewendet“, sagt Maaßen. „Das Wort ‚Gott‘ habe ich immer mit gut übersetzt.“
Walter Maaßen wurde am 5. Dezember 1938 in Mönchengladbach geboren. Nach dem Fachabitur am Stiftisch-Humanistischen Gymnasium machte er eine Lehre als Maschinenschlosser. Später machte er sich selbstständig und führte zwei Ofengeschäfte in Mönchengladbach. Die Musik war die zweite große Liebe nach seiner Frau Meike und seinen zwei Kindern. „Inzwischen bin ich dreifacher Uropa“, sagt Maaßen. Seinen Glauben hat er seinen Kindern vorgelebt. „Die ganze Familie ist gläubig“, sagt er.
In diesem Jahr feiert Maaßen ein kleines Jubiläum in der Krypta des Mönchengladbacher Münsters: „Vor 80 Jahren bin ich dort zur Kommunion gegangen“, sagt er. „Das Münster war ausgebrannt, es qualmte sogar noch. Es wurde ein Weg zur Krypta geschaufelt und da unten standen wir. Die Jungen hatten einen Matrosenanzug an – also, wer einen hatte.“
Die Münsterbasilika ist auch Schauplatz der Jazz-Serenade von Walter Maaßen und der Borderland-Jazzband. Am 14. Mai spielt der Jazzer zum Auftakt der Heiligtumsfahrt in Mönchengladbach, die vom 28. Mai bis zum 4. Juni rund um den Abteiberg stattfindet. Die Erlöse aus den Eintrittsgeldern spendet der Musiker dem Münster-Bauverein.
Anderen zu helfen, ist Maaßen ein wichtiges Anliegen. Regelmäßig spielt er in der Brandts-Kapelle. Im Januar zum Gedenken an den Mitgründer des Treffs am Kapellchen Edmund „Eddi“ Erlemann. „Da werde ich auch zu seinem Todestag im November spielen“, sagt Maaßen. Stand er früher oft vorne am Bühnenrand, absolviert er heute seine Konzerte im Sitzen. Mit 87 Jahren muss man eben Abstriche machen. Wenn er geht, benötigt er einen Stock. Aber die Posaune ist nach wie vor seine treue Begleiterin und auch seine Mundharmonika hat er bei seinen Konzerten immer dabei.
Maaßen hat Mönchengladbachs Musik-Szene geprägt. Als er im Alter von 16 Jahren eine Trompete geschenkt bekam, gründete er mit einem Freund direkt seine erste eigene Band. 1952 war das, und damals galt Jazz, vormals noch von den Nazis als „entartete Musik“ diffamiert, als aufmüpfig. Er gründete die Vitus Jazzmen (1952–54), die Monkstown Jazzmen (ab 1958) und schließlich die Borderland-Jazzband, mit der er seit 1994 auftritt.
Auf Konzerten sammelt der Musiker Geld für Langzeitarbeitslose, Kinderheime, Obdachlose, für Kirchen und andere karitative Zwecke. Dafür wurde er vielfach ausgezeichnet: In New Orleans ist er seit 1987 Ehrenbürger, die Ehrennadel der Stadt Mönchengladbach bekam er 2007. Auch in diesem Jahr wird er wieder einige Benefizkonzerte geben. „So lange es geht, werde ich spielen“, sagt Maaßen. Er kann nicht anders – als Mensch, Christ und Musiker.
13. April, 18 Uhr in der Brandts Kapelle mit dem Klarinettisten Engelbert Wrobel, Eintritt frei, Spende erbeten.
14. Mai, 17 Uhr im Münster Mönchengladbach: Jazz-Serenade mit seiner Borderland-Jazzband zum Auftakt der Heiligtumsfahrt
16. Juli, 11.30 Uhr im Flachsmuseum Wegberg
16. Oktober in der Klosterkirche Neuwerk
16. Dezember Christmas-Jazz in der Citykirche Mönchengladbach