Aufbruchstimmung

Die Pfarrei Christkönig hat Erfahrung mit der Umsiedlung. Nun erfordern geteilte Orte neue Konzepte

Am Tag vor dem ersten Advent konnte die Gemeinde in Kuckum Abschied von ihrer Kirche nehmen. (c) Garnet Manecke
Am Tag vor dem ersten Advent konnte die Gemeinde in Kuckum Abschied von ihrer Kirche nehmen.
Datum:
14. Dez. 2021
Von:
Aus der Ausgabe 50/2021 | Garnet Manecke

Die Pfarrei Christkönig Erkelenz ist die größte Pfarrei und die größte Gemeinschaft der Gemeinden im Bistum Aachen. Sie vereint 16 Gemeinden und neun Kapellengemeinden. Darunter sind auch fünf vom Tagebau bedrohte Dörfer, von denen einige eventuell doch nicht abgebaut werden. Für die GdG-Leitung bedeutet das Herausforderungen, birgt aber auch Chancen.

Hell und modern ist die neue Kapelle St. Lambertus Immerath. Aus dem früheren „Immerather Dom“ wurden einige Gegenstände mitgenommen. (c) Garnet Manecke
Hell und modern ist die neue Kapelle St. Lambertus Immerath. Aus dem früheren „Immerather Dom“ wurden einige Gegenstände mitgenommen.

Den ersten Advent hätte sich Pfarrer Werner Rombach auch anders gewünscht. Eigentlich sollte das ein freudiger Tag sein, an dem die Wartezeit auf die Ankunft Christi beginnt. Für Rombach war es der Tag nach dem Abschied von Heilig Kreuz Keyenberg, Herz Jesu Kuckum und St. Josef Berverath. Am ersten Adventssonntag 2021 wurden die drei Gotteshäuser aus den Tagebaudörfern entwidmet. Mit einer Unterschrift profanierte Bischof Helmut Dieser sie.
Der Tag vor der Profanierung war turbulent für den Leiter der Pfarrei Christkönig Erkelenz. Wie gesagt, ist sie mit 16 Gemeinden und neun Kapellengemeinden die größte GdG im Bistum. Und sollten die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath sowie Ober- und Unterwestrich doch nicht abgebaut werden – dann wird die GdG in den kommenden Jahren noch größer sein – aber nun mit einigen Dörfern, von denen die eine Hälfte der Bewohner in den neuen Orten östlich von Erkelenz leben und der andere Teil in den ursprünglichen Dörfern.

Im Lauf des Tages wurde der Ton aggressiver und die Kirchenschlösser wurden sabotiert

Pfarrer Werner Rombach leitet die größte Pfarrei und GdG im Bistum Aachen. (c) Garnet Manecke
Pfarrer Werner Rombach leitet die größte Pfarrei und GdG im Bistum Aachen.

Am Tag des Abschieds öffneten sich um 11 Uhr die Kirchentüren in Keyenberg, Kuckum und Berverath. In den ersten drei Stunden kamen die Menschen aus den Orten und den Nachbarorten, setzten sich still in die Kirchenbänke, zündeten Kerzen an und trugen sich in die ausgelegten Gedenkbücher ein. Worte der Trauer und der Wut standen bald auf den Seiten. Auch Tränen seien geflossen, sagt Pfarrer Werner Rombach.

Die Entscheidung, den Menschen den Abschied zu ermöglichen, sei „goldrichtig“ gewesen, sagt der Priester. Er selbst ist zwischen den drei Orten gependelt und hat mit den Menschen gesprochen. Dabei musste er auch viel Wut aushalten.

Im Lauf des Tages habe sich die Besucherzusammensetzung verändert. Mehr Leute von außerhalb seien gekommen und zu dem Gefühl der Betroffenheit habe sich nun auch Aggression gemischt. Er sei sogar als „Judensau“ beschimpft worden, sagt Rombach. Das habe ihn sehr betroffen gemacht. „Das hab’ ich nicht als Beleidigung mir gegenüber empfunden, sondern als Beleidigung unserer jüdischen Glaubensbrüder und- schwestern“, sagt Rombach. „Ich stehe dem Judentum sehr nahe, weil ich Freunde aus dem Judentum habe. Wissen die Menschen eigentlich, wer da an ihrer Seite geht?“ Als die Kirchen abgeschlossen werden sollten, waren die Schlösser von außen mit Sekundenkleber verklebt, eine aufgebrachte Menschenmenge versuchte über das Hauptportal in die Kirche zu kommen. Die Polizei musste eingreifen. „Nach Rücksprache mit der Polizei haben wir beschlossen, dass wir sie rein lassen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden und gegebenenfalls ins Gespräch zu kommen“, erinnert sich Rombach.

Der Satz einer Frau aus Kuckum sei ihm an dem Tag sehr nahe gegangen: „Herr Pastor, wir sind und bleiben doch weiter ihre Schäfchen oder hört für Sie Ihre Arbeit jetzt am Wall bei Venrath (ein Nachbarort von Kuckum und Keyenberg, Anm. d. Red.) auf?“ Ein Satz, in dem die ganze Unsicherheit liegt, die sich über die Menschen in der Region ausgebreitet hat. „Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir wieder zu einem guten Miteinander finden“, sagt Rombach.

Es sind nun neue Ideen gefragt: Sowohl in den neuen Orten als auch in den alten

Die Situation am Tagebaurand sei für alle schwierig. Die, die an einem Neustart an den neuen Orten arbeiteten, seien genauso Opfer wie die, die im alten Ort bleiben wollten, sagt Rombach. Immer wieder sah er sich in der Vergangenheit mit Vorwürfen konfrontiert, dass die Kirche sich mit dem Verkauf der Immobilien bereichere. Dabei gingen die Gelder der Entschädigungszahlungen 1:1 in die Gemeinden und würden für den Bau der neuen Kapellen und Gemeindezentren verwendet, betont der GdG-Leiter. Mit denen, die in den alten Dörfern bleiben wollten, müsse nun langfristig ein neues Konzept aufgestellt werden, wie sie Gemeinde leben wollen. Auch in den neuen Orten müssten sich die Gemeinden neu finden.

Erste Erfahrungen hat die GdG bereits mit der Umsiedlung von Borschemich und Immerath gemacht. In den neuen Orten sind moderne Kapellen und Gemeindezentren aufgebaut worden, in denen einige Ausstattungsstücke an die früheren Kirchen erinnern. St. Martinus Borschemich wurde am 23. November 2014 entwidmet und im Februar 2016 abgerissen. St. Lambertus Immerath, der „Immera-ther Dom“, wurde im Januar 2018 abgerissen. In den neuen Orten sind es die Kapellenvorstände, die die Vernetzung der Menschen fördern. Neben Gottesdiensten gehören Veranstaltungen wie Gemeindefeste und der Neujahrsempfang dazu.

Wenn man die Umstände vergleicht, unterscheiden sie sich in einem wesentlichen Punkt. Die Entwidmung von St.Martinus Borschemich konnte ohne äußere Störungen vollzogen werden. Nach einem bewegenden Gottesdienst wurde das Allerheiligste in einer Prozession nach Keyenberg gebracht. Die Keyenberger haben ihre Glaubensgeschwister willkommen geheißen. Auch der letzte Gottesdienst in Immerath verlief vergleichweise ruhig. Ein paar junge Demonstranten hätten sich einfunden, erinnert sich Rombach. Die jungen Frauen und Männer waren 20 bis 25 Jahre alt – also noch gar nicht geboren, als der Kampf der Dorfbewohner gegen den Tagebau begann.

Auch Immerath war immer wieder Schauplatz von Protesten und Demonstrationen – viele fanden erst nach der Aufgabe der Kirche statt, als ein Großteil des Dorfes bereits nach Neu-Immerath umgesiedelt war. Im neuen Ort steht nun eine neue Kapelle, hell und modern. Ihr angeschlossen ist das Gemeindezentrum mit multifunktionalen Räumen. Glasfenster aus der alten Kirche St. Lambertus, dem „Immerather Dom“, einige Figuren und Gegenstände wie das Taufbecken hat die Gemeinde mitgenommen und hier aufgestellt. Das Alte und das Neue harmonieren.

Es seien nun neue Ideen gefragt, die zukunftsfähig sind, sagt Rombach. Dass daraus eine neue Dynamik für die Gemeinden entstehen kann, hat er in seiner Zeit als Kirchenmusiker in Brüser Berg (ein Stadtteil von Bonn, Anm. d. Red.) erfahren. Dort habe es einige leer stehende Ladenlokale gegeben, erzählt Rombach. „Mein damaliger Chef hat beschlossen, eines der Ladenlokale zu mieten. Dort haben wir Gottesdienst gefeiert, Jugendmesse und Vesper. Es herrschte Aufbruchstimmung.“ Die Gemeinde wuchs, das Ladenlokal wurde zu klein. Also beschloss die Gemeinde, eine Holzkirche zu bauen, einen Pavillon mit einem Kreuz drauf. Dort wurden fortan improvisierte Gottesdienste gefeiert. Wenn Rombach davon erzählt, glänzen seine Augen.
Neue und andere Formate wären auch in den neuen Dörfern seiner GdG denkbar, meint Rombach. „Da ist natürlich die Kreativität eines jeden einzelnen Ortes gefragt“, sagt der 64-Jährige. „Im Grunde wünsche ich mir eine Vielfalt von Gemeinden, die ganz unterschiedlich sind. Ich habe das Gefühl, dass das am neuen Standort so sein wird. Bei der Grundsteinlegung habe ich schon eine gewisse Aufbruchstimmung gespürt.“
Dieser Geist könnte auch in den alten Orten herrschen. Dafür sei aber Sicherheit für die Menschen, was mit ihrem Dorf geschehe, wichtig. Ob Gottesdienste in einer Kirche möglich sind, hängt davon ab, ob eine Regelung mit RWE gefunden werden kann. „Auch ich kann nicht mehr in die Kirche“, sagt Rombach.

Aber auch das bietet Raum für neue Ideen. „Ich bin bereit, mit den Menschen draußen den Gottesdienst zu feiern“, sagt Rombach. „Oder wir schauen mal, ob wir den Gottesdienst in einer Scheune feiern können. Ich bin ein Mensch, der gerne experimentiert.“ Ein neuer Zusammenhalt und neue Kräfte könnten entstehen.

Als der Entschluss gefasst wurde, die Kirchen aufzugeben, seien die Zeichen ganz andere gewesen als heute, sagt Rombach. „Damals konnten wir die Entwicklung nicht absehen. Wir haben gedacht, dass wir das Richtige machen.“ Er wolle sich dafür einsetzen, dass einige der aufgegebenen Gebäude noch genutzt werden können. Allerdings müssten dafür Regelungen mit RWE getroffen werden. Ein neuer Punkt auf seiner Aufgabenliste. „Da schließt sich für mich der Kreis zu der Frage der Frau in Kuckum: ,Sie sind doch auch weiter unser Pastor?‘“, sagt Pfarrer Werner Rombach.