Aufarbeitung vehement weiterverfolgen

Betroffenen-Vertreter treffen sich zum ersten Austausch auf NRW-Ebene

Manfred Schmitz, Thomas F. und Paul Leidner (v. l.) vom Betroffenenrat für das Bistum Aachen. (c) Kathrin Albrecht
Manfred Schmitz, Thomas F. und Paul Leidner (v. l.) vom Betroffenenrat für das Bistum Aachen.
Datum:
4. Juli 2023
Von:
Kathrin Albrecht

Für die Betroffenenräte und -beiräte in den nordrhein-westfälischen (Erz-)Bistümern Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn ist klar: „Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche war und ist für alle das oberste Ziel, das es weiter vehement zu verfolgen gilt.“ So heißt es nach einer ersten gemeinsamen Tage der Betroffenen im Juni in Paderborn. Es gehe darum, sich gegenseitig zu unterstützen und voneinander zu lernen. 

Im Mittelpunkt des Austausches standen vor allem die Auswirkungen des vom Landgericht Köln gesprochenen Urteils, wonach das Erzbistum Köln einem Betroffenen ein Schmerzensgeld in Höhe von 300 000 Euro für erlittene sexualisierte Gewalt zahlen muss. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, dürfte jedoch weitreichende Konsequenzen für alle (Erz-)Bistümer besitzen.

Für Paul Leidner, Pressesprecher des Betroffenenrates im Bistum Aachen, zeichnet sich ab, dass die bislang von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) geleisteten Zahlungen angepasst werden müssen: „Wir fordern die UKA auf, den Rahmen für ein Grund-Schmerzensgeld auf mindestens 10 000 Euro zu erhöhen sowie Zahlungen
zu ermöglichen, wie sie bereits 2019 von der Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz vorgeschlagen wurde, wobei die damals genannte Obergrenze von 400 000 Euro nur eine Zahl sein darf.“

Es würde der katholischen Kirche gut zu Gesicht stehen, wenn sie in dieser Sache von sich aus Einsicht zeige und nicht erst durch Gerichtsurteile zu angemessenen Zahlungen verpflichtet werde, sagte Leidner weiter.

Im Bistum Aachen sind bislang Anerkennungsleistungen in Höhe von 2,3 Mio. Euro an Betroffene ausgezahlt worden. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Im Bistum Aachen sind bislang Anerkennungsleistungen in Höhe von 2,3 Mio. Euro an Betroffene ausgezahlt worden.

Fakt ist, dass sexualisierte Gewalt bislang nicht in den staatlichen Schmerzensgeldtabellen abgebildet wird, so dass das Urteil auch auf andere Schmerzensgeldprozesse in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt Auswirkungen haben dürfte. Bei der Höhe der Leistungen orientiert sich die UKA grundsätzlich an der Schmerzensgeldtabelle der Gerichte. Bis zu 50000 Euro kann die Kommission eigenverantwortlich an die Betroffenen bei Antragstellung zuweisen. Eine Obergrenze für Zahlungen gibt es grundsätzlich nicht.
Im Bistum Aachen ist diese Summe von 50 000 Euro bislang sieben Mal überschritten worden, in zwei Fällen sind mehr als 100 000 Euro gezahlt worden. Für die erfolgten 93 Anerkennungsbescheide im Bistum Aachen sind bislang insgesamt 2,3 Millionen Euro gezahlt worden.

„Anders als in staatlichen Verfahren, wo es eine Beweispflicht gibt, wird das Leid der Betroffenen durch die UKA auf einer Plausibilitätsbasis anerkannt, so dass das Verfahren deutlich einfacher für die Betroffenen ist als eine Beweispflicht vor Gericht“, sagt Bischof Helmut Dieser. Ein wesentlicher Grund für die Installierung des Anerkennungsverfahrens war, dass man den Betroffenen die Belastungen, die Retraumatisierungen und Kosten, die mit der Durchführung von Zivilrechtsklagen üblicherweise verbunden sind, ersparen wollte. „Das entstandene Leid kann durch keine Zahlung wirklich wiedergutgemacht werden“, betont der Aachener Bischof, der gleichzeitig auch Vorsitzender der Bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist.

Die von der UKA genehmigten Entschädigungsleistungen seien lächerlich gering, kritisierte der Aachener Betroffenenrat, als er im März dieses Jahres eine erste Bilanz zog.
Ein wesentliches Ergebnis der Tagung der Betroffenenvertreter ist die vorgesehene Schaffung einer digitalen Karte, in der die bisher bekannten Orte angegeben werden, in denen Taten sexueller Gewalt geschehen sind. Zur Vervollständigung fordern die Betroffenen die fünf (Erz-)Bistümer Nordrhein-Westfalens auf, den jeweiligen Betroffenen(bei)räten beziehungsweise den Betroffenenvertretern die ihnen aus den Akten bekannten Tatorte zu benennen.

Mechtild Bölting über das Verfahren zur Anerkennung des Leids