Die Klasse aus der Hauptschule Oberbruch ist allerdings nicht auf Klassenfahrt, auch wenn sie drei Tage nicht ihre gewohnte Schulbank drückt. Die Heinsberger Schüler besuchen das Seminar „JAZ“ der Christlichen Arbeiterjugend Aachen (CAJ). JAZ steht für „Jugend – Arbeit – Zukunft“. Seit 35 Jahren bietet die CAJ in Zusammenarbeit mit dem Nell-Breuning-Haus, der Bildungs- und Begegnungsstätte der KAB (Katholische Arbeitnehmer-Bewegung) und der CAJ, dieses Seminar zur Lebens- und Erwerbsorientierung für Jugendliche an. Denn ein gelungener Übergang von der Schule in den Beruf liegt der CAJ basierend auf dem pastoralen Schwerpunkt „Kirche und Arbeiterschaft“ seit jeher am Herzen. Es wird zum Teil von den Büros der Regionaldekane in Düren sowie in Mönchengladbach und Heinsberg gefördert.
Schüler aller Schulformen können davon profitieren. Zurzeit arbeitet die CAJ mit drei Gesamtschulen, zwei Förderschulen, einer Realschule, drei Hauptschulen und einer Sekundarschule aus den Regionen Aachen, Heinsberg, Kempen und Düren zusammen. Insgesamt erreicht sie jedes Jahr 400 bis 500 Schülerinnen und Schüler. Die Teamer Manuel, Klara und Nadine bringen die 15- und 16-Jährigen erst mal in Schwung: Sie sollen nach der Reihe einen Luftballon nach oben schlagen, ohne dass er Boden oder Decke berührt. Wer nicht dran kommt, muss sich setzen. Es dauert ein bisschen, bis die Jugendlichen Gefallen daran finden, ihren Nachbarn herauszufordern. „Jetzt läuft’s“, stellt Seminarleiterin Tanja Esters von der CAJ zufrieden fest, als sich die verbliebene Hälfte der Schüler langsam doch ein vergnügliches Match liefert. Das Hauptaugenmerk des Seminars liegt allerdings nicht auf Spielen – wie der Tagesplan an der Wand Auskunft gibt: Heute geht es um Fähigkeiten. Außerdem steht Telefonieren auf dem Plan. Und was muss ich eigentlich bei einem Bewerbungsgespräch beachten? Der dritte Tag gehört dann dem Üben von Bewerbungsgesprächen.
Die Jugendlichen auf ihrem Weg ins Berufsleben stärken – das ist das Ziel von Tanja Esters und ihrem Team. Denn obwohl die Chancen für Schulabgänger auf einen Ausbildungsplatz mittlerweile besser stehen – ein bisschen mehr als gute Noten in Mathe und Deutsch erwarten die zukünftigen Chefinnen und Chefs dann doch. Das gilt besonders für Hauptschüler, die es mit ihrem Schulabschluss deutlich schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben als Absolventen von höheren Schulformen. Sich vergegenwärtigen, was man kann, und dort nacharbeiten, wo es noch hapert – das ist das Ziel von JAZ. Am zweiten Seminartag geht es vor allem um den ersten Aspekt. Nach der Luftballonrunde teilt sich die Klasse deshalb in drei Gruppen à sechs Leuten. Esters schiebt ein Flip-Chart in die Mitte ihrer Gruppe. Ein Männchen mit einem großen, kastigen Bauch ist darauf zu sehen. „Schreibt Fähigkeiten, die Euch einfallen, in den Bauch“, lautet der Arbeitsauftrag an die Neuntklässler. K. springt schnell auf und schreibt „Geduld“ und „Selbstbewusstsein“ auf das Plakat. Z. fügt „freundlich“ hinzu, R. „teamfähig“. Dann ebbt der Schreibstrom erst einmal ab. „Denkt an Euer Praktikum! Welche Fähigkeit wurde da besonders gefordert?“, hilft Esters den Neuntklässlern auf die Sprünge. Am Ende stehen 26 Begriffe im Bauch des Männchens.
Was man im Beruf für Fähigkeiten braucht, wissen die Neuntklässler tatsächlich ganz gut. K. hat sein Schulpraktikum bei einem Schulsozialarbeiter in einer Grundschule absolviert. „Man muss den Schülern gegenüber respektvoll sein, aber auch einfühlsam. Außerdem muss man mit den Lehrern sprechen und gut mit ihnen im Team arbeiten“, berichtet er. L. war im Krankenhaus und nennt Ausdauer, Selbstbewusstsein, körperliche Stärke, Kommunikationsfähigkeit und Empathie als nötige Fähigkeiten für den Beruf der Kranken- und Gesundheitspflegerin. Auch wenn es manchmal an den richtigen Begriffen fehlt – die Hauptschüler haben ein sehr realistisches Bild von den Anforderungen in der Berufswelt. Doch wie schätzen sich die Jugendlichen selbst ein? „Unsere eigenen Schwächen und die der anderen können wir schnell benennen. Bei den Stärken fällt es uns schon schwerer“, weiß Esters. Doch genau darauf sollen sich die Jungen und Mädchen in der nächsten Arbeitseinheit konzentrieren: Jeder schreibt für sich fünf Stärken und zwei Schwächen auf ein Blatt Papier und faltet es zusammen. Anschließend einigen sich jeweils fünf auf drei Stärken und eine Schwäche des sechsten Mitschülers und stellen sie ihm vor. K. wird zum Beispiel als selbstbewusst (K. nickt deutlich), kontaktfreudig (K. nickt, wenn auch nicht mehr ganz so deutlich) und einfühlsam (K. zieht fragend die Augenbrauen hoch) beschrieben. „Nur wenn wir wissen, was wir können, treten wir selbstbewusst auf“, erklärt Esters, warum sie besonderen Wert auf die Stärken legt. Dass die Übung auch gleich noch eine Menge Wertschätzung beinhaltet, ist nicht nur ein angenehmer Nebeneffekt. Das merken die Jugendlichen sofort. Auch wenn R. kippelt und sein Mitschüler den Kuli auf- und zuschnappen lässt – sie sind voll bei der Sache und stehen nach der Pause pünktlich wieder im Raum. „Das hier macht mehr Spaß als Schule“, meint L. „Und es ist wichtig fürs Leben“, ergänzt Z. Von manchem Thema in Mathe sind die beiden da weniger überzeugt.
Noch eindrücklicher ist diese Lebensnähe wohl bei der Trainingseinheit Telefonieren. „Obwohl sie alle ein Handy in der Tasche haben, telefonieren die Jugendlichen ja nicht mehr. Auf der Suche nach einem Praktikums- oder Ausbildungsplatz muss es dann aber eben doch sein“, weiß Esters. Also wird es bei JAZ geübt. Ebenso wie Bewerbungsgespräche, die am dritten Tag auf dem Plan stehen. Insgeheim wissen die Neuntklässler aus der Hauptschule Oberbruch ziemlich genau, was man dabei beachten sollte. Als die Teamer zu Demonstrationszwecken ein völlig fehllaufendes Bewerbungsgespräch miteinander führen – auf „halb acht“ hängende Jogginghose, Handy in der Hand, lascher Händedruck, Vermeiden von Blickkontakt – decken sie die No-Gos sofort auf. „Fragt man sie vorher danach, kommt allerdings wenig“, berichtet Esters aus Erfahrung. Gehen die Schüler selbst ins Gespräch, machen sie schon vieles richtig. Und auch hier wird das zunächst hervorgehoben. „Arbeit ist besser als Schule“, sind nicht wenige überzeugt und nehmen deshalb so viele Hinweise wie möglich für ihre Bewerbungsphase nach den Sommerferien mit. Und vor allem ein eindeutig gestärktes Selbstbewusstsein.