Nicht alle Besucher sind Pilger, doch wer einmal dort war, kehrt meist wieder zurück. Aus 900 Jahren Geschichte gibt es viel zu entdecken.
Die Lage! Ein echter Hingucker. Exponiert, auf dem Berg, mitten auf der Hochebene, seit Jahrhunderten von Weitem zu sehen. „Mit der Lage fängt alles an“, schwärmt Pater Wieslaw Kaczor SDS. Keine Angst, der Salvatorianer ist nicht unter die Immobilienmakler gegangen, wo „Lage, Lage, Lage“ bekanntlich schon die halbe Miete ist. Vielmehr versucht er zu beschreiben, was nicht nur er empfinden dürfte, wenn er aus dem Tal kommend die Türme der Basilika erblickt.
„Diese Kirche ist nicht zufällig an diesem Ort gebaut worden. Hier war schon etwas, eine besondere Kraft“, sagt er: „Viele Menschen sind wie verwandelt, wenn sie das Tor durchschritten haben. Als wären sie in einer anderen Welt.“ Die dem Heiligen Potentinus geweihte Basilika Steinfeld ist für viele Besucher, die dort ihr Anliegen vor Gott bringen wollen, ein Hoffnungsort. Ein Kraftort ist sie allemal. Das spüren auch die, die zufällig am Klosterkomplex vorbeikommen und dort anhalten, eine Pause machen. Kraft tanken.
Wo genau die Anfänge Steinfelds im Mittelalter liegen, ist ungewiss. Erstmals urkundlich erwähnt wird das Kloster im Rahmen einer Schenkung 1121. Vermutlich gab es aber schon im 10. Jahrhundert dort eine Kirche. Also griffen die Menschen früh auf eine Gründungssage zurück, laut der ein gewisser Sibido von Are dem Teufel vorgaukelte, sich auf seinen Liegenschaften ein Jagdschlösschen errichten zu wollen. Angetan von dieser Idee, half der Teufel tatkräftig mit. Als er im fertiggestellten Gebäude das Kreuz aufgerichtet fand, erkannte er, dass er einer List aufgesessen war und dem Teufel ein Schnippchen geschlagen wurde.
„Diese Lage, dieser Ort, diese Kirche haben eine Anziehungskraft, die durch Potentinus und Hermann-Josef sehr menschlich wird. Dass es nicht nur mir so geht, zeigt sich daran, dass viele Menschen sich diesen Ort aussuchen, um zu danken, zu bitten und zu staunen. Staunen fokussiert! Ein Staunen ist ein emotionales und kognitives Erlebnis, das den Alltag übersteigt“, sagt Wilfried Müller, der regelmäßig Besucherinnen und Besucher durch die 1960 zur Basilika minor erhobene Klosterkirche führt. Und Besucher strömen reichlich nach Steinfeld, das am Ende der fünften Etappe des Fernwanderweges „Eifelsteig“ liegt. „Steinfeld ist ein explizit sehr kirchlicher Ort. Aber an diesem Ort ist erkennbar, dass die Schönheit der Natur auch etwas mit Gott zu tun haben kann. Dem kann man sich fast nicht entziehen“, sagt Pastoralreferentin Alice Toporowsky, die auch zum Seelsorge-Team im Nationalpark Eifel gehört.
Begrüßt werden Pilger und Besucher gleichermaßen vom Schutzpatron Potentinus und dem Heiligen Hermann-Josef am Eingang der Basilika. Der Mystiker Hermann-Josef, nicht ohne Stolz als „Eifel-Heiliger“ bezeichnet, lebte und wirkte im zwölften Jahrhundert im Kloster Steinfeld und fand dort seine letzte Ruhestätte. Gekleidet ist er ins einfache, weiße Gewand des Prämonstratenserordens, sein Fingerzeig auf den Kelch stellt Gott und die Eucharistie in den Mittelpunkt. „Auch Potentinus ist ein Heiliger, der heute perfekt in die Zeit passt, den man als Anti-Bild gegen viele Politiker aufbauen könnte“, erklärt Kirchenführerin Anna Maria Kirfel. Der Legende nach suchte der Adelige aus Aquitanien mit seinen Söhnen Felicius und Simplicius im neunten Jahrhundert die heiligen Stätten in Trier auf. Der damalige Bischof Maximin empfahl ihm Karden an der Mosel als geeigneten Ort, um ein gottgeweihtes Leben zu führen. Dort lebte er mit seinen Söhnen bis zu seinem Tod. Anna Maria Kirfel: „Er hat auf sämtliche weltliche Macht verzichtet und als Einsiedler gelebt. Er ist für mich ein Hoffnungsträger angesichts von Putin, Trump und Erdogan.“
Bescheidenheit, einfaches Leben und Nachhaltigkeit: Beide Heilige eint der Verzicht auf Verschwendung, Herrschsucht, Glanz und Gloria. „Das war damals eine völlige Provokation der Mächtigen, aber eine notwendige Konfrontation“, fügt Wilfried Müller hinzu. Seit dem 16./17. Jahrhundert gibt es eine Wallfahrtstradition zum Hermann-Josef-Grab. Mit dem Hermann-Josef-Fest entwickelte sich eine Markt-Tradition, der im Rahmen der Feierlichkeiten zum 900-jährigen Bestehen des Klosters wieder neues Leben eingehaucht wurde. Im vergangenen Jahr wurde ein Hermann-Josef-Wander(Pilger-)weg eingerichtet. Auch die Besucherinnen und Besucher des Hotels und der Seminare, die in Steinfeld stattfinden, finden den Weg in die Basilika, sind mitunter überrascht von der Geschichte des Klosters und seiner Kirche.
Der Kraft- und Hoffnungsort Steinfeld wirkt auf alle Besucher, ist Pater Wieslaw Kaczor überzeugt. Gläubig oder nicht, ob gezielt zur Basilika unterwegs oder per Zufall dort gelandet. „Die Leute, die gezielt kommen, sind getragen von Hoffnung, bringen Hoffnung mit. Jede Opferkerze, die hier steht, ist ein Signal für Hoffnung. Dafür, dass etwas Gutes passiert“, fasst Wilfried Müller unzählige Gespräche mit Besucherinnen und Besuchern der Basilika zusammen. Ob bei Krankheit, Schicksalsschlägen oder einfach nur Ratlosigkeit: Ganz oft ist Steinfeld ein Anlaufpunkt. „Ich habe schon mit einem Vater gesprochen, dessen Kinder zum Studium ausgezogen sind und der auf der Rückfahrt gemerkt hat, dass er am Boden zerstört war“, berichtet Wilfried Müller.
Besonders beeindruckend, berichten alle ehrenamtlich und hauptamtlich in Steinfeld Tätigen unisono, war das Wochenende nach der Ahr-Flut. In Massen strömten die Menschen in die Basilika, die Kirche verwandelte sich in ein Lichtermeer. „Das war ein ganz intensives Wochenende“, erinnert sich Anna Maria Kirfel. Ob Dank, dass das eigene Haus und die Familie verschont geblieben waren, oder Unsicherheit und Verzweiflung, weil der Kontakt zu geliebten Menschen abgerissen war: „Viele Menschen sind zuerst einmal nach Steinfeld gekommen“, sagt Wilfried Müller. Auf der Suche nach Gottes Beistand, nach einem Gespräch – vielleicht auch nach Ruhe oder einem äußeren Zeichen für Beständigkeit und Schutz.
Michael Becker: Das Raumgefühl in diesen alten Mauern schafft eine ganz besondere Atmosphäre. Der Bezug zu diesem Ort und zu dieser Kirche war immer ein ganz wichtiger Teil in meinem Leben, die Kirche strahlt etwas Besonderes für mich aus.
Anna Maria Kirfel: Der Altarraum ist für mich ein Ort der Hoffnung. Der Künstler hat es ungeheuer gut verstanden, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden. Hier, im absoluten Zentrum der Kirche, begegnen sich knappe 1000 Jahre.
Alice Toporowsky: St. Potentinus ist durch die Jahrhunderte ein ganz verlässlicher Anziehungspunkt gewesen. Wenn man etwas hat, sei es ein Problem oder eine Sorge, dann ist das Kloster Steinfeld so ein Ort, wo man damit hingehen kann, wo man es aufgehoben weiß.
Wilfried Müller: „Durch geistliches Leben, ehrwürdiges Alter und Schönheit hat die berühmte Klosterkirche von Steinfeld, in der Diözese Aachen gelegen, mit vollem Recht die Seelen des gläubigen Volkes und der Liebhaber der Kunst für sich gewonnen.“ Dieses Zitat stammt aus der Begründung von Papst Johannes XXIII. für die Ernennung zur Basilika Minor.