Angst vor Übergriffen ist da

Wie leben Jüdinnen und Juden in Mönchengladbach und Aachen? Ein Blick in die Gemeinden.

Die neue Synagoge in Mönchengladbach. 700 Mitglieder zählt die Jüdische Gemeinde. (c) Kathrin Albrecht
Die neue Synagoge in Mönchengladbach. 700 Mitglieder zählt die Jüdische Gemeinde.
Datum:
22. Jan. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 04/2025 | Kathrin Albrecht

Neben Krefeld gibt es auch in Mönchengladbach und Aachen jüdische Gemeinden. Im Gespräch mit Dr. Leah Floh, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach und Friedrich Thull, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Aachen, wie jüdische Menschen aktuell in den Gemeinden leben, wird deutlich: Die Menschen sind in großer Sorge. 

Mit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 ist etwas aus den Fugen geraten – in Deutschland und auch in Europa. Leah Floh beschreibt das Gefühl der Verunsicherung, das sie aktuell erlebt: „Die Menschen sitzen auf gepackten Koffern.“ Doch sie sagt auch, dass die Situation in Mönchengladbach noch ruhig sei: „Wir haben 700 halachische Juden und 3000 Familienmitglieder in der Gemeinde.“ Die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach umfasst neben den Städten Mönchengladbach und Viersen auch den Kreis Viersen. Mit den Städten und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit realisiere die Gemeinde regelmäßig Projekte und Veranstaltungen.

Auch in Aachen sei die Angst vor Übergriffen zu spüren, sagt Friedrich Thull. Der Antisemitismus sei deutlich angewachsen. Viele Mitglieder der Gemeinde hätten deswegen Angst, zur Synagoge zu kommen und blieben zu Hause. „Das beeinträchtigt das jüdische Leben.“ Doch auch in Aachen sei es im Verhältnis zu anderen Städten noch ruhig. Die Jüdische Gemeinde Aachen zählt rund 1200 Mitglieder. Das Gebiet umfasst die Stadt Aachen und den alten Landkreis. Die Jüdische Gemeinde Aachen lädt regelmäßig zu Veranstaltungen ein, dabei kooperiere man auch mit der Stadt und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Hier, sagt Friedrich Thull, sei vor allem die Überalterung der Mitglieder das Problem. Wie in allen Vereinen sei es schwierig, Nachwuchs zu finden. 

Verschärfter Polizeischutz 

Synagoge_Aachen.png_228513941Rund 1200 Mitglieder zählt die Jüdische Gemeinde Aachen. Das Gebiet umfasst die Stadt und den alten Landkreis. (c) Bistum Aachen
Synagoge_Aachen.png_228513941Rund 1200 Mitglieder zählt die Jüdische Gemeinde Aachen. Das Gebiet umfasst die Stadt und den alten Landkreis.

Seit dem 7. Oktober 2023 ist der Polizeischutz vor jüdischen Einrichtungen noch einmal verschärft worden. „Wir kannten das punktuell bei Veranstaltungen“, sagt Friedrich Thull. Jetzt sei rund um die Uhr ein Streifenwagen an der Synagoge abgestellt. Mehrere Poller schützen den Platz vor der Synagoge vor Amokfahrten. Einer sei kurz vor Weihnachten ausgefallen, erzählt Friedrich Thull. Bis zur Reparatur sei kurzfristig ein weiterer Wagen als Sperre abgestellt worden. Doch das Problem, sagt Friedrich Tull, sei nicht nur der Aufenthalt in der Synagoge, sondern eben auch der Weg hin und zurück.

Das Anwachsen des Antisemitismus spürt Leah Floh jedoch nicht erst seit 2023. Bereits Ende 2015 sei zu spüren gewesen, dass sich etwas verändere. Seitdem sei es immer wieder schlimmer geworden. Offen eine Kippa tragen, würden sich viele nicht trauen. Jüdische Studierende könnten nicht normal die Hochschulen besuchen. Auch anonyme Drohungen kommen vor, berichtet Leah Floh.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Nordrhein-Westfalen dokumentiert für das Jahr 2023 einen deutlichen Anstieg anisemitischer Vorfälle. 664 solcher Vorfälle hat es gegeben. Im Vergleich zu 2022 mit 264 Vorfällen ist das ein Anstieg von 152 Prozent. Im Schitt sind das 13 Taten pro Woche. Vor allem ab Oktober häuften sich dabei die israelbezogenen antisemitischen Vorfällen, wie das Markieren von jüdischen Wohnungen in Krefeld oder das Stehlen und Zerstören von Israelfahnen, die an Amtsgebäuden gehisst waren, in Aachen.

In Mönchengladbach wurde im Frühjahr 2023 ein Schild am und die Tür zum Atelier einer Künstlerin, die seit 23 Jahren in Mönchengladbach lebt, mit einem Hakenkreuz beschmiert.  
 Leah Floh kam vor 30 Jahren aus Israel nach Deutschland. Ihre Eltern und eine Tochter leben hier. „Das Deutschland vor 30 Jahren war ein anderes“, sagt sie, und fügt hinzu: „Das, was jetzt passiert, widerspricht der deutschen Geschichte und Moral.“ Leah Floh erzählt, dass zur Jüdischen Gemeinde auch noch etwa 90 Shoa-Überlebende zählen, die als Kinder die NS-Zeit, Deportationen und Konzentrationslager überlebt haben: „Wie soll man ihnen erklären, was jetzt passiert?“

Leah Floh hat nur wenig Hoffnung, dass sich an der aktuellen Situation etwas ändert. „Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“ Sie selbst fühle sich, als würde sie zwischen zwei Stühlen sitzen – Deutschland und Israel. 

Unklar, ob sich etwas ändert

Auch Friedrich Thull ist skeptisch, dass sich an der aktuellen Situation etwas ändert: „Wir warten ab.“ 

In gut vier Wochen finden in Deutschland Bundestagswahlen statt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat dazu auch konkrete Forderungen an die Politik formuliert, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen und zu stärken. Doch das Thema spielt im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. „Als jüdische Gemeinde halten wir uns aus politischen Diskussionen heraus“, sagt Friedrich Thull. Die rund 100 000 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden würden kaum Einfluss nehmen können. Und er gibt zu bedenken: „Auch 1933 waren demokratische Wahlen.“ 

Am 19. Januar ist in Gaza eine von den USA, Ägypten und Katar ausgehandelte Waffenruhe eingetreten. Ob sie einen Schritt zu einem dauerhaften Frieden darstellt, ist ungewiss. Auch, inwiefern es helfen könnte, den Jüdinnen und Juden das Gefühl zu geben, dass sie in Deutschland und Europa sicher leben könnten, bleibt abzuwarten. „Antisemitismus hat sich versteckt. Jetzt kommt er aus allen Ecken“, sagt Leah Floh.