Andocken möglich machen

Wie so über Gott und den Glauben sprechen, dass es auch Außenstehende und Nichtgläubige begrüßen?

Wie erzählen Christen anderen von dem, was sie glauben und was sie tun? (c) KiZ/pixabay.com
Wie erzählen Christen anderen von dem, was sie glauben und was sie tun?
Datum:
19. Feb. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 08/2019 | Kathrin Albrecht
Es sind im Moment schwierige Zeiten für die Kirche: Der Missbrauchsskandal erschüttert die Welt und nährt das Misstrauen in die Institution Kirche, für viele Menschen spielt der Glaube als Lebens- und Sinnentwurf eine zunehmend untergeordnete Rolle.
Theologieprofessor Matthias Sellmann befasste sich mit der Zukunftsfähigkeit der Kirche. (c) Kathrin Albrecht
Theologieprofessor Matthias Sellmann befasste sich mit der Zukunftsfähigkeit der Kirche.

Was also müssen Kirche und ihre lebendigen Steine – wir Christen – tun, um in Zukunft bestehen zu können? Mit dieser Frage befasst sich der Theologe Matthias Sellmann. Sie war auch Thema eines Vortrags, den er im Rahmen des vierten Gründer- und Innovationstrainings des Bistums Aachen hielt. Knapp 100 Gäste wollten wissen, wie sie so von Gott sprechen können, dass es auch Nichtgläubige begrüßen.

Bewusst habe er den Titel defensiv formuliert, sagte Sellmann. Seiner Ansicht nach müsse die Kirche in einer pluralistisch-modernen Welt, in der verschiedene Sinnentwürfe gleichberechtigt nebeneinander stehen, eine andere Grundhaltung einnehmen lernen. Sie müsse auch lernen, die weltanschauliche Pluralität als Findungschance für sich zu nutzen. Kulturvermittlung funktioniert über die Sprache. Doch oft kommt die christliche Sprache sperrig daher. Man spüre das mit dem Begriff der Verkündigung, der so recht nicht mehr funktioniere. Man könne nicht mehr so tun, als hätte man etwas zu verkündigen, und wenn man so täte, rufe dies beim Gegenüber oft nur ein Achselzucken hervor. Wie also kann so von Gott die Rede sein, dass alle etwas davon haben?

 

Wem fehlt etwas, wenn wir das nicht machen?

Christen seien nicht mehr in der Lage, von Gott als etwas unbedingt Angehendes zu sprechen, hatte der Dogmatiker Thomas Pröpper festgestellt, und der Sozialtheoretiker Hans Joas spricht von einer Erschöpfung der christlichen Sprache. Denn oft fällt Christen nichts ein auf Fragen wie: „Warum soll ich mich firmen lassen? Warum feiern wir in der Kirche XY noch eine Messe, wenn nur noch 25 Menschen kommen?“ Oder verschärft: „Wem fehlt eigentlich etwas, wenn wir das nicht machen?“ Oft bleiben als Antworten nur Textbausteine. Diese Sprachnot gelte es, zu überwinden.

Das zweite Problem scheint in der Pluralität der Sinnentwürfe zu liegen. Denn spätestens seit der Wiedervereinigung ist deutlich geworden, dass es nicht unbedingt die Religion braucht, um sein Leben sinnvoll zu gestalten. Sprachnot und Pluralität bilden das aktuelle Dilemma in der christlichen Glaubensvermittlung. Sellmann verbildlichte dieses im wörtlichen Sinne mit den Hörnern eines Stieres: Nach der Auffassung des Pastoraltheologen Dieter Emeis bliebe im katholischen Leben nur die Wahl zwischen Auswahl oder Rigorismus. Sprich: Anpassung an den Zeitgeist oder strenge dogmatische Spitze. Damit scheint es auch nur zwei Wege in der Kommunikation zu geben – eine deduktive und eine induktive Kommunikation. Im Falle des Rigorismus deduziert der Sprecher vom Prinzip her. In der induktiven Kommunikation kommt der Sprecher vom Beliebigen her, vom dem, was jeder ganz subjektiv fühlt und denkt. Auch das scheint ein Ausverkauf zu sein, eine Banalisierung dessen, was wir eigentlich von Gott erzählen wollen.

Beide Wege der Kommunikation scheinen nicht geeignet. Die Schwäche der deduktiven Kommunikationsweise ist ihre Hermetik, die dem Gegenüber keinen Zutritt zu dem bietet, was eigentlich vermittelt werden soll. Das sei, unterstreicht Sellmann, was moderne Menschen als unideologisch empfänden. Die induktive Kommunikationsform geht andersherum vom subjektiven Empfinden des Sprechers aus. Das ist zugleich ihre große Schwäche. Denn was soll das Gegenüber damit anfangen, dass ich persönlich völlig aufgehe in meinem Glauben? Für das Gegenüber sind andere Dinge wichtig.

 

Eine Disziplin der Dogmatik, zusammengefasst in drei Worten

Doch wie packt man den Stier bei den Hörnern, ohne der Herausforderung auszuweichen? Eine Reihe von Beispielen führte vor, wie es gehen könnte: Da ist die Wanderlegende von einer Berufsschullehrerin, die einem Fleischergesellen die gesamte Mariologie in drei Worten auslegte: „Doppelklick auf Gott.“ Dieses Bild aus der Computerwelt sagt alles, wofür manches Standardwerk mehrere hundert Seiten füllt: Maria ist die Ermöglichungsstruktur, das Portal für das Heil. Mit dem Doppelklick eröffnet sich eine andere Ebene.

Ein anderes Beispiel ist die App „xrcs“, entwickelt von der evangelisch-lutheranischen Landeskirche Hannovers. Bis zu drei Mal am Tag können sich Nutzer Impulse auf ihr Smartphone senden lassen als kleine Unterbrechung vom Alltag und als Achtsamkeitsübung. Die Fragen haben nicht immer etwas mit Gott und Glauben zu tun, doch sie regen an, weiterzudenken. Zum Weiterdenken regt auch das Beispiel aus dem Bistum Essen an. Erzählt wurde die Ostergeschichte in Smoothies. Das sei, hob Sellmann hervor, spielerisch, aber mit Sensibilität. Der Betrachter erkennt: Hinter dieser Welt steckt eine andere Welt, die ich selbst entdecken kann.

Aus kommunikationstheoretischer Sicht ist das wichtig, denn, um es mit dem Philosophen Mathias Jung auszudrücken, jeder Mensch bildet eine Weltanschauung. Viele Menschen suchen nach Artikulationen für ihre Weltanschauung. Sie suchen nach einer Deutung, „wo es funkt“, wo sie das Gefühl haben, dass eine Geschichte oder ein Theaterstück an ihre eigene Erlebniswelt andockt. Sie fühlen sich „ge-“deutet, dadurch erlangt etwas eine „Be“-deutung. Da könnten nach Sellmanns Ansicht religiöse Anbieter auf den Plan treten. Denn wie Kunst, Sport, Kultur oder Musik ist auch die Religion eine Deutungssprache. Was gelingen muss, ist, Menschen so anzusprechen, dass sie sich an die religiöse Erfahrungswelt andocken können, neugierig sein, Fragen stellen, ohne gleich das Gefühl zu haben, etwas übergestülpt zu bekommen, was ihnen nicht passt. Eine Option anbieten, nicht mehr, aber auch nicht weniger, akzeptieren, dass das Gegenüber in Sachen Weltanschauung eigenaktiv ist und auch schon eine eigene Weltanschauung hat, die Christen ihm nicht „beibringen“ müssen, emotional sein, Religion in den Alltag übertragen, auch unreligiös sprechen, präsent sein, Leute gut ausbilden und gut ausstatten – das waren nur einige Tipps, die Sellmann in einem Katalog zusammenfasste, was gelungenes religiöses Sprechen ausmachen sollte.