„Andersorte“ zum Trauern

Grabeskirchen verändern die Trauerkultur – was das für die Seelsorge bedeutet, war Thema einer Tagung

Neben den Impulsvorträgen und Workshops hatten die Teilnehmer immer wieder Gelegenheit zu Diskussionen. Trauerseelsorgerin Beatrix Hillermann (2. v. r.) gehörte zum Organisationsteam der Tagung. (c) Garnet Manecke
Neben den Impulsvorträgen und Workshops hatten die Teilnehmer immer wieder Gelegenheit zu Diskussionen. Trauerseelsorgerin Beatrix Hillermann (2. v. r.) gehörte zum Organisationsteam der Tagung.
Datum:
29. März 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 13/2023 | Garnet Manecke

Grabeskirchen gehören zum Erscheinungsbild in Städten. Für Gemeinden, die sich von ihren Kirchengebäuden verabschieden müssen, bedeuten sie den Erhalt eines Gotteshauses. Für Trauernde sind sie ein zentraler Ort, an dem sie ihrer Verstorbenen gedenken können. Was das für Seelsorgende und Geschäftsführende bedeutet, wurde auf der Bundestagung der Verantwortlichen aller Grabeskirchen und Kolumbarien in Mönchengladbach diskutiert.

Vieles läuft überraschend gut, wie die Eröffnung der ersten Grabeskirche in Mönchengladbach, St. Elisabeth, schon im November 2009 gezeigt hat: Die Nachfrage nach den Urnenfächern war so groß, dass  während des fünfmonatigen Umbaus 150 der 2000 Grabstätten vergeben waren.

2014 wurden in der Krypta weitere 1000 Grabstellen geschaffen. So wie in St. Elisabeth ist das Bild auch in den anderen katholischen Grabeskirchen in Mönchengladbach: Im Trostraum St. Josef wie in St. Matthias Günhoven füllen sich die Grabfächer zunehmend. Wer die Kirchen besucht, erkennt das an den vielen Blumen, die vor den Wänden und Stelen mit den Fächern aufgestellt sind.

Das stellt Seelsorgende und Geschäftsführende vor neue Herausforderungen. Bei der fünften Bundestagung der Verantwortlichen aller Grabeskirchen und Kolumbarien tauschten sich die 50 Teilnehmender darüber aus. Impulse für ihre Arbeit bekamen sie aus den Vorträgen von Sonja Billmann und Hans Hobelsberger im Vorfeld zu Workshops.

Als Supervisorin, lehrende Transaktionsanalytikerin und Organisationsentwicklerin hat Sonja Billmann schon so manche Transformation vom Gotteshaus für die Andacht zur Grabeskirche begleitet. „Grabeskirchen sind eine ganz junge Entwicklung“, sagt Billmann. Sie seien ein Ort, an dem nicht nur getrauert, sondern auch experimentiert werde, und an dem neue Ideen und Standards entstünden. Der Weg ist nicht einfach, wie auch die Geschichten der drei Grabeskirchen in Mönchengladbach zeigen, die die Tagungsteilnehmer besucht haben.

Im Transformationsprozess müssen neue Identitäten gefunden werden

Dass die Pläne zu Beginn auf Widerstand stoßen, ist nichts Ungewöhnliches. In dem Prozess geht es auch darum, neue Identitäten zu finden. „Im Bistum gibt es verschiedene Grabeskirchen. Alle sind unterschiedlich und lösen unterschiedliche Identitäten aus“, sagt Billmann. Ein gutes Beispiel ist St. Josef in Mönchengladbach, wo in der Nordkapelle eine „Nordkurve“ für Fans des Bundesligavereins Borussia Mönchengladbach eingerichtet wurde.

Die Grabstellen in der Nordkurve sind nicht nur mit Glasplatten in den Vereinsfarben Schwarz-Weiß-Grün gehalten. Wer möchte, kann eine Raute zu den Lebensdaten des Verstorbenen eingravieren lassen. Das Fenster, durch das Tageslicht in die Kirche fällt, ziert die Figur eines Fußballspielers, eine Kerze mit dem Vereinslogo brennt, und auch die Lampe an der Decke ist der Raute nachempfunden. Die Stufen zu dem Olivenbaum sind von den Tribünentreppen im Stadion inspiriert.

„Für die Gemeinden ist die Umwidmung oft auch ein Trauerprozess“, beobachtet Billmann bei ihrer Arbeit. „Ein Abschiedsprozess, bei dem sich Gottesdienstgewohnheiten und -arten verändern. Ein Abschied von gelebten und erlebten Sakramenten und Liturgie.“ Bei diesem Prozess gehe es immer um die Fragen, was bleiben könne, was weichen müsse und was neu dazu käme – nicht nur bei der Ausstattung der Kirchen, sondern auch an Ritualen.

Die Blumen in der Grabeskirche St. Josef sind ein Sinnbild dafür. Wer in die Prospekte und auf die Homepages der Grabeskirchen schaut, liest den Satz, dass es keinen individuellen Blumenschmuck geben soll. Der Grund ist der begrenzte Platz vor den Grabeswänden. Ein Blick in die Kirche zeigt: Die Hinterbliebenen halten sich nicht daran. Überall stehen Sträuße oder liegen Gestecke. „Das kann man einfach nicht abstellen“, sagt ein Teilnehmer.

„Bei uns ist es genauso. Es scheint, als ob das ein tiefes Bedürfnis der Menschen ist.“ Auch in den anderen Grabeskirchen St. Elisabeth und St. Matthias, die die Teilnehmer während der zwei Tage der Bundestagung besuchten, zeigt sich dieses Bild. Wurden die Blumen früher weggeräumt, bleiben sie nun meist stehen. Beim Betreten der Kirchen ist ein wichtiger Effekt direkt spürbar: Die Blumen geben das Gefühl des Trostes und zeigen, dass in den Grabeskirchen Leben herrscht. „Jetzt sogar oft mehr, als es vor der Umwidmung war“, sagt eine Teilnehmerin.

Den Titel der Bundestagung „Andersorte – zwischen Tod und Leben“ greift Hans Hobelsberger in seinem Vortrag über die pastoralen Chancen für die Zukunft der Seelsorge auf. Der Professor ist Pastoraltheologe und Rektor der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen.

Wie Billmann sieht Hobelsberger die Grabeskirchen als Innovation. Die Verantwortlichen müssten nun nachweisen, dass sie etwas Produktives zum Trauerprozess beitrügen. Die Frage sei: Was ist der professionelle Beitrag? Bei der Suche nach der Antwort sieht Hobelsberger Chancen für die Kirche. „Wir müssen Gott nicht ins Spiel bringen, er ist schon da“, sagt er. „Eine zentrale Aufgabe in Pastoral und Kirche ist es, für Menschen, die in existenziellen Krisen sind, da zu sein.“ Er sieht Kirche auf zwei Ebenen: als Ereignis und als Institution.

Wo Menschen für jene, die in Not sind, da sind, entstehe Kirche, sagt Hobelsberger. „Deshalb können auch Menschen, die nicht der Kirche angehören, ehrenamtlich Trauerarbeit machen.“ In Umfragen haben sich vier Motive für die Entscheidung zu einer Grabeskirche ergeben: die räumliche Nähe, die Heimatverbundenheit, die Dienstleistung und die Vergemeinschaftung.

Gerade in den Punkten Heimatverbundenheit und Vergemeinschaftung ergeben sich Handlungsspielräume, mit denen die Grabeskirchen auf die Menschen zugehen können: Grabstellen für besondere Zielgruppen wie Fußballfans oder Schützen, Trauergruppen, persönliche Zuwendung und individuelle Ansprache sind wesentliche Faktoren.

Bundestagung Grabeskirchen in Mönchengladbach

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