Anderer Blick auf die Welt

Anne Krüppel und Tim Lindfeld arbeiten in der bistumsweit einzigen Beratung für Weltanschauungsfragen

Anne Krüppel und Tim Lindfeld sind seit Frühjahr das Beratungsteam  für Weltanschauungsfragen. Neben Privatmenschen beraten sie auch Gemeinden oder Institutionen. (c) Garnet Manecke
Anne Krüppel und Tim Lindfeld sind seit Frühjahr das Beratungsteam für Weltanschauungsfragen. Neben Privatmenschen beraten sie auch Gemeinden oder Institutionen.
Datum:
13. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 42/2020 | Garnet Manecke

Verschwörungstheorien, Sekten, Okkultismus oder unterschiedliche Gruppierungen im katholischen Spektrum: Wer Fragen zu Weltanschauungen und Religionen hat, findet im Beratungszentrum Mönchengladbach in Anne Krüppel und Tim Lindfeld kompetente Ansprechpartner. Die Sozial-pädagogin und der Theologe sitzen oft besorgten Menschen gegenüber, die einen Weg suchen, mit dem veränderten Verhalten ihrer Angehörigen umzugehen.

Die Frau, die Anne Krüppel gegenüber saß, machte sich Sorgen um ihre Tochter. Aber nicht auf die eher unspezifische Art, wie sich Mütter oft um ihre erwachsenen Kinder sorgen: Isst sie genug? Arbeitet sie nicht zu viel oder ist sie wirklich glücklich? Die Frau befürchtete, dass ihre Tochter in die Fänge einer Sekte geraten sein könnte. Besuche waren an die Bedingung geknüpft, dass die Mutter bestimmte Bilder von der Wand nehmen sollte. Auch andere Verhaltensweisen machten die Mutter misstrauisch. Auf der Suche nach Hilfe wandte sie sich an die Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen in Mönchengladbach – die einzige im Bistum Aachen.

Seit dem Frühjahr sind die Sozialpädagogin Anne Krüppel und der Theologe Tim Lindfeld die Ansprechpartner in der Beratungsstelle. Meist suchen Angehörige Hilfe, die sich Sorgen um Partner, Freunde oder die Kinder machen. So wie die Mutter, die zu Anne Krüppel kam. „Direkt Betroffene fühlen sich ja erst mal gerettet“, sagt Anne Krüppel. „Erst später wird es für sie unangenehm.“ Dann bräuchten Menschen, die eine Sekte verlassen wollten, Rückhalt in ihrem direkten Umfeld. „Deshalb sind die sekundär Betroffenen auch ganz wichtig“, sagt Tim Lindfeld. „Weil sie beim Ausstieg Hilfestellung leisten können.“
Der Umgang mit Sekten ist eines von vielen Themen in der Beratungsstelle. Mit Corona werden in den Sprechstunden immer öfter Verschwörungstheorien behandelt. Wie weit das Feld ist, stellen Krüppel und Lindfeld in ihren regelmäßigen Online-Konferenzen mit anderen Beratungsstellen in ihrem Netzwerk fest. Für Angehörige und Freunde ist es schwer, damit umzugehen, weil sich Anhänger von Verschwörungstheorien den Gegenargumenten oft verschließen. Eine Gemeinsamkeit, die sie mit Menschen haben, die sich einer Sekte zuwenden.

Auch eine Verhaltensänderung wie der Aufbau eines Altars kann schon Anlass von Gesprächsbedarf sein. Die Sorge hinsichtlich religiöser Praxen innerhalb des katholischen Spektrums nehme zu, bemerkt Lindfeld. Dabei gehe es nicht immer nur um neue Gruppierungen, die erst seit Beginn der Corona-Krise auf sich aufmerksam machen. Auch schon länger bestehende erwecken Argwohn. „Dann ist es interessant zu fragen, welche Rolle die Gruppierungen spielen und ob sie sich noch innerhalb des kirchenrechtlichen Rahmens bewegen“, sagt der Theologe.

Hier zeigt sich auch ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel. Die klassische religiöse Sozialisation in Familien, wie sie die Generation der heute 40- bis 50-Jährigen noch erlebt hat, gibt es so in vielen Familien nicht mehr. „Glaube und 
religiöse Praxis hat heute sehr viel mit persönlicher Entscheidung zu tun“, beobachtet Lindfeld. „Das öffnet auch die Möglichkeiten für andere Gruppierungen im Markt der religiösen Möglichkeiten. Das Kriterium ist heute: Passt das zu mir? Fühle ich mich dort wohl?“ Nicht immer sei etwas, das wir nicht verstehen oder uns suspekt ist, auch schädlich. Gerade in diesem Bereich werden Lindfeld und Krüppel von Mitgliedern aus Kirchenkreisen als Fachstelle zu Rate gezogen.

Mancher Konflikt taucht an einer Stelle auf, an der er gar nicht erwartet wird. Kinder zum Beispiel mögen Geschichten. Sprechende Tiere, auf Besen fliegende Mädchen, vorwitzige Jungen und besiegbare Monster gehören zum beliebten Standardpersonal der Kinderliteratur – auch in Kindergärten. In diesen Geschichten ist immer wieder Konfliktpotenzial verborgen: stereotype Rollenvorbilder oder klischeehafte Darstellungen von Menschen mit farbiger Haut, aus anderen Kulturen oder verschiedener Religionen. Freundliche Hexen können da zum Stein des Anstoßes werden. Das erlebte Lindfeld, als sich ein Geistlicher an ihn wandte. Der wollte seine Einschätzung, wie ein in einem Kindergarten gern gelesenes Buch, in dem gute Hexen eine Rolle spielten, zu bewerten war. Eine Mutter hatte daran Anstoß genommen. Sie sah darin die Abbildung eines Dämonen. „Es gibt Gruppierungen, die sich davon bewusst abgrenzen“, sagt Lindfeld. 


Neben den klassischen Formaten werden auch neue digitale ausprobiert

Neben der Beratungstätigkeit ist der Aufbau eines Netzwerkes mit anderen Institutionen eine zentrale Aufgabe des Duos. „Wir stammen nicht aus dem Bistum Aachen und leben hier auch nicht“, sagt Lindfeld. Nach und nach lernen sie Kollegen aus der Jugendarbeit, den Familienzentren und anderen Bereichen kennen, sie suchen und finden gemeinsame Punkte, an denen man zusammenarbeiten kann. Hilfreich ist dabei das Team Ehrenamtlicher, das schon viele Jahre dabei ist und in der Praxis die Berater mit Clearinggesprächen entlastet.

Neben den persönlichen Gesprächen und dem klassischen Infoflyer werden neue digitale Formate ausprobiert. Die erste Folge eines Podcasts ist online. Auch die Online-Beratung ist angelaufen. Um den Datenschutz zu gewährleisten, wird dafür die Verschlüsselung eines Servers der Bundeskonferenz der Erziehungsberatung genutzt. Digital oder analog: Vertraulichkeit ist die Basis der Beratung.

 

Info

Anne Krüppel ist seit Februar in der Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen. Die Sozialpädagogin hat Psychologie und Erziehungswissenschaften studiert (M.A.). Neben ihrer Beratertätigkeit in Mönchengladbach praktiziert sie als Heilpraktikerin für Psychotherapie in Bedburg.

Tim Lindfeld gehört seit April zum Beratungsteam. Der Theologe hat in Paderborn und Angers/Frankreich studiert. Er promovierte am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn, leitete das Katholische Bildungswerk Oberbergischer Kreis und später das ASG-Bildungsforum in Düsseldorf.

Auskunft unter www.brw-mg.de