Am Rande der Hoffnung

Wer ins Café Plattform kommt, hat den Mut nicht immer ganz verloren

Ein Becher Kaffee, ein belegtes Brötchen, ein freundliches Wort und Unterstützung: Für Menschen in Notsituationen ist das Café ein sicherer Ort. (c) Bistum Aachen, Dagmar Meyer-Roeger
Ein Becher Kaffee, ein belegtes Brötchen, ein freundliches Wort und Unterstützung: Für Menschen in Notsituationen ist das Café ein sicherer Ort.
Datum:
30. Jan. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 05/2025 | Sabine Rother

Ein paar Leute schlafen tief auf schmalen Bänken, ihre Rucksäcke fest im Griff, erschöpft vom Leben auf der Straße, vom schlechten Wetter, vom Alkohol, von der Traurigkeit.  

Café Plattform Essenausgabe (c) Bistum Aachen, Dagmar Meyer-Roeger
Café Plattform Essenausgabe

Andere holen sich an der langen Theke im Café Plattform, als Kontaktstelle für Menschen in Notsituationen eine vielschichtige Hilfseinrichtung der Caritas Aachen (Reumontstraße), einen Becher Kaffee, ein belegtes Brötchen, ein freundliches Wort.
Aus dem Fernseher des Aufenthaltsraums flimmern Bilder aus der Daily Soap „Sturm der Liebe“ in den Raum, Traumwelten vom TV-Schlosshotel. Wer ins Café Plattform kommt, kennt das anders, ist froh, wenn er oder sie Ruhe haben, einen sicheren Ort, der warm und sauber ist.
Für kleines Geld gibt es etwas zu essen, dazu guten Rat von Leiter Mark Krznaric und seinem Team um Lorena Worms. „Wir hören zu, stellen Kontakte her, schauen, was möglich wäre“, sagt Krznaric. „Handeln müssen die Leute dann selbst, das ist wichtig, Hilfe zur Selbsthilfe.“ Wer kommt, vielleicht sogar eine Notschlafstelle im angegliederten Gebäude erhält, hat sich noch einen Rest Hoffnung bewahrt. 

"Ich werde wieder etwas aufbauen, früher ging es mir richtig gut.", sagt Frederick, 47 Jahre

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, ein häufig inflationär benutzter Spruch, erhält hier neues Gewicht. Menschen, die im Café ein- und ausgehen, sind vielfach am Rande der Hoffnung, an der „Absturzkante“ angekommen, entwurzelt.
Fragen der Schuld werden nicht gestellt. Muss die Hoffnung unter solchen Bedingungen nicht schwinden? „Ich werde wieder etwas aufbauen, früher ging es mir richtig gut“, sagt Frederick (47).
Er erzählt von großem Vertrauen, das massiv enttäuscht wurde, von einer Wohnung, einem Handyladen. „Ich habe das mit jemandem zusammen aufgezogen, der mich betrogen, alles ausgeräumt hat und dann verschwunden ist“, erzählt der Mann, der einst beim Messebau gut verdient hat.
Dann geht alles begab, ist das Vermögen verloren. Und es kommt zum Unfall, zum Sturz von der Brücke der Aachener Halifaxstraße, ein Alptraum. Frederick überlebt. „Fast alle Knochen waren gebrochen“, seufzt er. Grund zur Hoffnungslosigkeit? Nein: „Meine Familie hat mir geholfen, das war das Positive im Negativen“, sagt er. 

Jeder hat seine eigene Geschichte Bei all den Erzählungen von Autos und Geld hören ihm am Tisch mit den Kaffeetassen Pascal (31), Robert (51) und die quirlige Monika (41) nachdenklich zu.
Ob das stimmt? Hier im Café Plattform darf jeder erzählen was er mag – alle haben sie eine Geschichte, und jede Geschichte ist tragisch, auch die von Pascal, der zwar schon 31 Jahre alt ist, aber viel jünger wirkt.
„Egal, was ihr redet, ich hänge mich sowieso auf“, mit diesem Spruch schreckt er Leute, die ihn noch nicht kennen. Wie er sagt, hat er tatsächlich keine Hoffnung. „Ich war in Siegburg im Gefängnis und habe einem Beamten gesagt, ich brauche einen Psychologen, ich würde mich sonst umbringen“, berichtet er.
„Der hat nur geantwortet, er hätte auch gern mal einen Psychologen! Und nichts getan.“ Dass er, der damals einige Jahre jünger war, tatsächlich verzweifelt ist, hat der Mann nicht geglaubt.  Die anderen kennen das. Und dann sagen sie ihm was Nettes: „Wieso willst du das denn tun? Du hilfst doch so vielen Leuten, erst kürzlich beim Umzug!“
Ja, Pascal nickt, klar: „Wenn mich einer fragt!“ Auch er hat mal „was gefragt“ und ist enttäuscht worden. Als Jugendlicher geht er auf eine Förderschule und erhält dort beste Noten, so gut, dass selbst die Lehrerin staunt.
„Auf die Realschule will ich damals gehen, und die Chancen stehen gut.“ Es kommt nicht dazu. Die Mutter sagt „Nein“, warum, weiß er bis heute nicht, das hat ihm den Lebensmut genommen.
Als dann auch noch der Bruder bei einem epileptischen Anfall stirbt, will er nicht mehr. Dennoch sitzt er in der Runde und lässt es zu, dass die anderem ihm gut zureden. Hat er einen Wunsch? „Nein! Oder doch. Vielleicht eine Playstation 5“.
Alle lachen. Ach ja, und Frederick hat gleichfalls einen Traum: „Einen schnittigen Ferrari F80!“

Hören zu, stellen Kontakt her: Mark Krznaric, Leiter des Café Plattform und Lorena Worms. (c) Bistum Aachen, Dagmar Meyer-Roeger
Hören zu, stellen Kontakt her: Mark Krznaric, Leiter des Café Plattform und Lorena Worms.

Solche Überlegungen sind für Robert nicht neu. Heute ist er 51 Jahre alt. Als  er mit seiner Familie aus Polen nach Deutschland geht, weil hier die Arbeitsbedingungen besser sind, ist er ein Kind. So richtig Deutsch kann er bis heute nicht. Hoffnung?
Nein, alles verloren, alles weg, der Alkohol und überhaupt – irgendwas ist bei ihm schiefgelaufen, obwohl er immer viel Spaß an Autos hatte, noch immer den Karosseriebau beherrscht, wie er sagt. Bei einem Unfall wird sein rechtes Auge verletzt und bleibt blind. Hoffnung?
„Ich weiß nicht“, schüttelt er den Kopf. Keine Wünsche? Als das Gespräch auf leckeren Braten kommt, lebt er plötzlich auf, lacht. „Oh ja, mit Klößen.“ Die anderen machen ihm Mut. Er will aber erstmal weg, zum Caritas-Projekt „Queerbeet“, da muss man nicht viel reden, da gibt es nach den Pflanzaktionen ein Mittagessen und ein kleines Honorar. 

Monika hat nicht viel Geduld beim Zuhören. Sie läuft mal kurz zu einem anderen Tisch, um ihre „Mensch ärgere Dich nicht“-Figürchen auf den Weg zu bringen. Dann kommt sie zurück und beschreibt ihr Leben – vier Kinder im Alter von zwei bis 15 Jahren, die nicht bei ihr leben, wohnungslos.
Der Kiosk, den sie in der Zeppelinstraße hatte, wird ausgeraubt und angezündet. Nun kämpft sie auch noch gegen eine Krebserkrankung. Hoffnung?
„Ja, habe ich“, sagt die bei allem Kummer dynamische, herzliche Frau. „Ich spreche Deutsch, Türkisch und Englisch, damit kann ich bestimmt später noch was werden, am liebsten Verkäuferin.“ Sie sammelt Flaschen, versucht alles. „Einmal hat mir jemand zehn Euro gegeben, am Bahnhof“, erinnert sie sich. „Dann kam er nochmal und wollte das Geld zurück, ich war so erschrocken. Da hat er den Zehner gegen einen Zwanzig-Euro-Schein getauscht, einfach so.“
Für sie Zeichen der Hoffnung.