Alt und Neu vereinen

Gotteshäuser in der Region fielen im Zuge der Braunkohlegewinnung – am Umsiedlungsort gibt es neue Räume für den Glauben

Zuletzt segnete Bischof Dieser  St. Lambertus am Umsiedlungsort Morschenich ein. (c) Dorothée Schenk
Zuletzt segnete Bischof Dieser St. Lambertus am Umsiedlungsort Morschenich ein.
Datum:
21. Juli 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 29-30/2024 | Dorothée Schenk

Die Region Düren lebt zuweilen im Wortsinn am Abgrund: Die riesigen Schaufelradgiganten sind gut sichtbar und allgegenwärtig. Ab den 1970er Jahren wurden durch die Braunkohlegewinnung Dörfer abgebaggert. Die Menschen verloren Heimat in zweifacher Hinsicht: Wohnsitz und auch Glaubensheimat. An den Umsiedlungsorten entstanden neue Kirchenhäuser, in denen oft Kunstwerke, sakrale oder liturgische Ausstattungen die Brücke in die Gegenwart schlagen. Eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit. 

1972 St. Silvester Neu-Lohn

Der Nachfolgebau vom „Dom des Jülicher Landes“ in Lohn. (c) Archiv PuKBSuS
Der Nachfolgebau vom „Dom des Jülicher Landes“ in Lohn.

Modern, in Betonbauweise und als Rundbau angelegt hat der Eschweiler Architekt Heinz Kaldenbach den Neubau von St. Silvester. Die Kirche ist etwa einen Kilometer vom alten Standort entfernt, wo am 11. Dezember 1973 der Ursprungsbau gesprengt wurde. Schon 1971 war am Namenstag des Patrons am 31. Dezember der Grundstein gelegt worden. Die Weihe erfolgte am 23. Dezember 1972. Nur wenige Ausstattungsstücke aus der alten Lohner Kirche wurden in den Neubau übernommen, etwa der Volksaltar, das Kreuz und der Tabernakel aus Edelstahlelementen. Sie sind Werke des Würselener Metallbildhauers Albert Sous. Der alte Lohner Taufstein befindet sich seit 1996 in der Kirche. Zuvor befand er sich seit der Umsiedlung auf dem Neu-Lohner Friedhof und war dort mit Blumen bepflanzt.

1988 St. Andreas und Matthias Lich-Steinstraß

Alt und neu in Nachbarschaft: Die Kapelle wurde „umgesiedelt“, die Kirche im Doppelort Lich-Steinstraß neu gebaut. (c) Dorothée Schenk
Alt und neu in Nachbarschaft: Die Kapelle wurde „umgesiedelt“, die Kirche im Doppelort Lich-Steinstraß neu gebaut.

Wie ein Signal reckt sich der Turm der Kirche St. Andreas und Matthias in die Höhe. Auf der Merscher Höhe ist der Doppelort Lich-Steinstraß entstanden. In diesem lebendigen neuen Ortsteil von Jülich wurde die Kirche von 1986 bis 1988 nach Plänen des Mönchengladbacher Architekten Heinz Döhmen errichtet. Sie ist der Ersatz für die alte Pfarrkirche von Lich, die 1986 dem Tagebau Hambach weichen musste. Aus der Ursprungskirche wurden Ornamentfenster von Paul Franz Bonnekamp und das Fenster mit den Patronen Andreas und Matthias von Johannes Beeck im neuen Gotteshaus eingebaut. Die weiteren Fenster sind für die Kirche entstanden und von Hubert Spierling 1988 geschaffen worden. Zum Ensemble gehört auch die kleine Matthiaskapelle aus dem 17. Jahrhundert. Sie wurde am alten Standort abgetragen und am neuen wiederaufgebaut. 

1990 Matthias-Kapelle Neu-Pattern

In Neu-Pattern setzte die Gemeinde den Neubau gegen Widerstände durch. (c) Archiv PuKBSuS
In Neu-Pattern setzte die Gemeinde den Neubau gegen Widerstände durch.

Gegen viele Widerstände und mit viel Fingerspitzengefühl und Beharrlichkeit wurde der Bau einer Kapelle am neuen Umsiedlungsstandort durchgesetzt. Das Generalvikariat Aachen beauftragte den Architekten Bernd Küppers. Dieser schuf den achteckigen Bau, wie er dem Aachener Dom zugrunde liegt. Nach der Grundsteinlegung während des Schützenfestes 1992 kam es am 27. Juni 1993 schließlich zur Einweihung durch den kolumbianischen Erzbischof Luis Madrid Merlano. Für die lichte Innenraumwirkung schuf Ludwig Schaffrath große Glasflächen. Als Brücke zum früheren Gotteshaus sind in der neuen Kirche die figürliche Darstellung eines Schutzengels, eine den Heiligen Geist symbolisierende Taube in einem Strahlenkranz an der Decke, zwei Weihwasserbecken, ein Altarkreuz, der bei der Wandlung von Brot und Wein zum Einsatz kommende Gong sowie ein eigens für die Patterner Kirche gesticktes rotes Messgewand, auf dessen Rückseite die beiden Pfarrpatrone abgebildet sind.

1998 St. Clemens und St. Pankratius  Inden/Altdorf

„Die Kirche bleibt im Dorf“: Das war auch das Konzept des Neubaus in Inden/Altdorf. (c) Wikimedia
„Die Kirche bleibt im Dorf“: Das war auch das Konzept des Neubaus in Inden/Altdorf.

Zunächst zieht das strahlende Blau des Kirchenraums die Aufmerksamkeit auf sich. Es ist „die Farbe des Himmels, die Farbe, die schon in hohem Maß den Tempel in Jerusalem auszeichnete, die Farbe, die intensive Nähe und sich entziehende Distanz andeutet, die zugleich Nähe und Ferne Gottes symbolisiert“, sagte Bischof Heinrich Mussinghoff zur Weihe der Kirche am 27. September 1998 über die Farbgestaltung des Malers Hans Lerche. Zahlreiche Teile des alten Kircheninventars haben die Inden/Altdorfer in ihr neues Gotteshaus übernommen, so die Uhren und sieben Kirchenglocken, von denen die Christusglocke, 1998 von Hans August Mark gegossen, besonders symbolträchtig ist. In der Inschrift heißt es: „Ich wurde zur Einheit gegossen aus zwei Glocken der Kirchen von Altdorf und Inden, die dem Braunkohletagebau weichen mussten. Möge diese Einheit auch den Menschen zuteil werden in Jesus Christus.“ Auch einige Fenster des aus Inden stammenden Künstlers Paul Franz Bonnekamp integrierte Architekt Heinz Döhmen in die neue Kirche. Hinzu kommen wertvolle Reliquien, Kirchenbänke und Bodenplatten.

2024 St. Lambertus Morschenich

Einer Arche nachempfunden ist die Kapelle in Morschenich. (c) Dorothée Schenk
Einer Arche nachempfunden ist die Kapelle in Morschenich.

Der Kirchenneubau im Umsiedlungsort Morschenich ist Anfang des Jahres von Bischof Helmut Dieser eingeweiht worden. Architekt Axel Maria Schlimm wollte  den Bau einer „Arche“ nachempfinden. Sinnbildlich solle sie für eine „vertriebene Kirchengemeinde“ stehen (KiZ 7/2024). Aus der alten Kirche wurden eine Madonna aus Holz, zwei Figuren des heiligen Lambertus und das Wandtaufbecken für die neue Kapelle übernommen. Eine Besonderheit: Im alten Ort wird die Kirche, die bei einem Brand 2023 stark beschädigt wurde, saniert und künftig als Begegnungsort und Kulturkirche genutzt. 

Übersicht der abgerissenen Gotteshäuser im Tagebau

(c) KiZ

Wikipedia bietet eine Liste aller wegen des Tagebaus abgerissenen Gotteshäuser an.