Ohne die Möglichkeit zur Körperwahrnehmung jedoch wüssten wir nicht einmal, dass wir existieren – mehr noch: Der Tastsinn ist der einzige, der sich nicht ausschalten lässt. Wahrnehmungsforscher Martin Grunwald kommt sogar zu dem Ergebnis, dass wir ohne körperliche Nähe nicht gesund und glücklich leben können und ohne das Fühlen unfähig wären zu höheren Geistesleistungen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wir brauchen die Berührungen, um uns wohl zu fühlen und um geistigem Verfall entgegenzuwirken. Der Grat zwischen aktiven Streicheleinheiten und nicht gewolltem, körperlichem Kontakt ist jedoch ein ganz schmaler. Und das besonders in Bezug auf die Menschen, die sich nicht mitteilen können und bettlägerig sind, erklärt Anja Sauren vom Seniorenzentrum Maria-Hilf-Stift in Monschau. Deshalb sei eine qualifizierte Schulung des Personals von enormer Bedeutung.
Wie viel Nähe kann ein Mensch ertragen, ohne sich bedrängt zu fühlen? Auf diese Frage kann es keine allgemein gültige Antwort geben. Um das im Einzelfall herauszufinden, braucht es die biografische Arbeit. Die steht darum ganz oben auf der To-do-Liste, wenn ein älterer Mensch ins Seniorenhaus der Alexianer in Tönisvorst einzieht, sagt Jutta Hartmann, Leitung des Geschäftsfelds Seniorenhilfe. Der Lebenslauf eines Menschen mit seinen Erfahrungen und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verhilft dazu, seine Persönlichkeit zu begreifen, bestätigt auch Pflegedienstleiterin Christiane Dabels. Neben den alltäglichen Formen der Berührung unterscheidet sie zwei weitere. Zum einen, wenn es um die Grund- und Behandlungspflege geht. Zum anderen gibt es therapeutische Körperkontakte, die gezielt die Gefühlswelt eines Menschen ansprechen. In diesem Zusammenhang weist Monika Rath vom Sozialen Dienst auf Erfolge in der tiergestützten Therapie hin: „Gerade bei Bettlägerigen ist eine deutliche Reaktion spürbar“, sagt sie. Das können winzige Regungen sein wie ein kaum sichtbares Lächeln oder das Zucken eines Fingers.
Überhaupt sei die basale Stimulation, die auf körperbezogene Interaktionen setzt, ganz wichtig, bestätigt Christiane Dabels. Deshalb werden zu diesem Thema regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen angeboten, sowohl im Seniorenhaus St. Tönis als auch im Maria-Hilf-Stift. Die Altenpflege von heute umfasst eben weit mehr als „füttern und wickeln“, wie es früher im Volksmund hieß. Erwiesenermaßen lassen bei älter werdenden Menschen die sensorischen Leistungen nach. Aber auch wenn der Tastsinn nicht mehr so ausgeprägt ist wie in jungen Jahren, bleibt dennoch die grundsätzliche Fähigkeit, Berührungen zu empfinden, bis ans Lebensende erhalten. Ist das nicht ein Hinweis darauf, dass angemessene Körperkontakte für uns Menschen lebensnotwendig sind?
Diese Frage ist noch nicht bis ins Letzte erforscht. In Deutschland verwundert das nicht, wurden hier doch erst in den 90er Jahren die ersten Pflegestudiengänge an Fachhochschulen und Universitäten eingerichtet. Und erst im Dezember 2015 veröffentlichte das Bundesministerium für Forschung und Bildung die „Richtlinie zur Förderung von Studien der Versorgungs- und Pflegeforschung für ältere und hochbetagte Menschen“. Dort heißt es unter anderem: „Die Versorgung älterer und hochbetagter Patientinnen und Patienten stellt damit eine besondere Herausforderung für das Gesundheitssystem dar.
In der Betreuung dieser Patientengruppen bestehen Defizite.“ Die Fördermaßnahme soll die Grundlage dafür schaffen, dass in der Versorgung und Pflege die Bedürfnisse älterer und hochbetagter Menschen besser berücksichtigt werden. Bis dahin ist noch ein langer Weg, auf dem die Pflegekräfte in ihrer praktischen Arbeit allerdings bereits ein gutes Stück vorangeschritten sind. Schon heute gründet die Arbeit von Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen auf dem respektvollen, vom christlichen Grundverständnis geprägten Umgang mit den ihnen anvertrauten Menschen. Es zählen die Einzigartigkeit jedes Menschen und seine unantastbare Würde – darauf darf getrost jede wissenschaftliche Forschung aufbauen.