Die Integrität und Sicherheit unserer persönlichen, betrieblichen und staatlichen Daten unterliegt vielfältigen Gefahren. Das sagen Experten, enthüllen Whistleblower, brandmarken Aktivisten. Internetkonzerne horten Informationen, Geheimdienste zapfen das Netz an, Hacker manipulieren Datenströme und Meinungsäußerungen, Staaten und Kriminielle haben Zugriff auf kritische Infrastrukturen. Das Szenario ist allumfassend und bedrohlich. Was können wir tun? Was müssen wir tun?
Der 5. Unternehmerdialog von Bistum Aachen und Domkapitel Aachen näherte sich dem Thema vielschichtig. Schließlich gelte es in diesem Austausch von Kirche, Wirtschaft und Wissenschaft, Chancen und Risiken der Digitalisierung gleichermaßen in den Fokus zu rücken, sagte Generalvikar Andreas Frick einleitend. Bei aller Begeisterung für neue Technologien warb er für ein wertebasiertes Ausloten möglicher Technikfolgen und setzte seinerseits einen Akzent für die Diskussion: Man dürfe bei alledem nicht die Schwächeren aus dem Blick verlieren. So unterschiedlich die Zugänge zum Thema im Anschluss auch ausfielen – ein Fazit lautete durchgängig an diesem Abend in der Aachener Citykirche St. Nikolaus: Schwach seien im Feld der Digitalisierung wirklich viele, denn wir seien in Deutschland nicht gut vorbereitet. Das betreffe die Offenheit für Veränderungen, die Flexibilität in unseren Strukturen und Abläufen, den unternehmerischen Geist für Innovationen und Neugründungen.
Auch ein allzu unbedarfter Umgang mit den digitalen Technologien und Medien steigere die Risiken und lasse eine Kluft entstehen zwischen denen, die an Bord sind und sich auskennen, und denen, die draußen bleiben und abgehängt werden. Daher sei, so waren sich die versammelten Experten einig, ganz dringend eine Bildungsoffensive gefordert, welche die Menschen in Deutschland für den richtigen Umgang mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zurüste. Vielfach könnten dabei die Generationen voneinander lernen, zum Beispiel mit der Technikerfahrung einerseits, der Lebenserfahrung andererseits. Es gehe im Ergebnis nicht um ein blindes Aufgreifen jeden digitalen Angebots und Trends, sondern um einen sachgemäßen Umgang, der auch Persönlichkeitsrechte und demokratische Grundwerte zu sichern weiß.
Zur Ausgangsfrage: Wie sieht die Situation für die digitale Souveranität von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen in Deutschland aus? Pamela Krosta-Hartl vom Würselener Netzwerkinfrastrukturhersteller Lancom-Systems skizzierte ein düsteres Bedrohungsszenario, dem Europa durch die erdrückende Dominanz der Technologieriesen aus den USA und China ausgesetzt sei. Angesichts dieser Krisenbeschreibung fühlten sich so manche Zuhörer in die bedrückende Zeit des Kalten Krieges zurückversetzt. War das der Spiegel einer gesellschaftlichen Entwicklung, die mehr auf Abschottung setzt als auf globale Zusammenarbeit? Zieht ein solches Denken nun auch in kirchlich moderierte Diskurse ein? Pamela Krosta-Hartl jedenfalls warb um Investitionen in Forschung, Entwicklung und Einsatz europäischer Technologien, um unabhängig und sicher zu werden. Ihr Slogan für diese Forderung lehnte sich an den der Rechtspopulisten an, die in immer mehr Ländern an Einfluss und Macht gewinnen: „Europe first“.
Klaus Motoki Tonn von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover lenkte die Aufmerksamkeit auf die ethischen Fragestellungen, die sich mit dem digitalen Wandel verbinden. Digital souverän zu werden, setze schon beim Individuum an. Innovative Kraft sieht er in den nachwachsenden Generationen. Von ihren Ideen und Werten könnten alle Akteure lernen. Wichtig sei, sich von den althergebrachten Vorstellungen industrieller Entwicklung zu lösen und eine agile Gründerkultur zu fördern, die eine entsprechende Dynamik entfalte. Die von ihm diagnostizierte Sperrigkeit von Institutionen wie Kirche und Politik beschäftigte auch anschließende Gesprächsrunden im Podium wie an runden Tischen. Wie wird man sprachfähig, um den universellen und christlichen Werten in der Digitalisierung Gehör und Geltung zu verschaffen? Wie löst man sich aus selbstreferenziellen Diskursen, die vom Gesamtgeschehen entkoppelt sind? Ist zum Beispiel die Kirche viel zu sehr mit ihren internen Problemen beschäftigt, anstatt sich den drängenden sozialen und ökonomischen Fragen der Zeit zu stellen und ihren Beitrag zu leisten? Viele Ansätze, diese Fragen anfanghaft zu beantworten, kamen auf den Tisch.
Eines machte dabei die versammelte Expertise deutlich: Ohne Investitionen werde es nicht gehen, werde Europa abgehängt, wachse die Abhängigkeit. Zersplitterte Zuständigkeiten und isolierte Diskurse seien dabei das eine, eine mut- und kraftlose Industriepolitik das andere. USA und China machten es vor, wie der Einsatz von Geld Schlüsseltechnologien fördere, sowohl in Forschung und Entwicklung als auch in die Anwendung von ausgereiften Lösungen. Die Experten rüttelt auf, dass schon eine einzelne Metropolregion in Fernost deutlich mehr in die Digitalisierung investiert als die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Wo soll das enden, wenn der digitale Wandel so tiefgreifend ist, wie man das in vielen Feldern unseres Zusammenlebens und Zusammenarbeitens beobachten kann? Bei all dem geht es nicht nur um ökonomische und technologische Fragen, sondern um die Werte und Regeln, die unsere Gesellschaft prägen. Ist die Menschenwürde gesichert, bleibt die Demokratie stark? Die Kirchen können sich mit ihrem Fundus an Wertvorstellungen aktiv, produktiv und vernetzt in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Der 5.Unternehmerdialog von Bistum und Domkapitel war ein Baustein dafür.