Alle sitzen in einem Boot

Letzter Ankerpunkt im Prozess „Meet&Eat“ mit Bischof Helmut Dieser war auf dem Rursee

Auch wenn bei vielen Menschen der Schuh drückt: Beim „Meet&Eat“ wurde im direkten Austausch auch gelacht. (c) Stephan Johnen
Auch wenn bei vielen Menschen der Schuh drückt: Beim „Meet&Eat“ wurde im direkten Austausch auch gelacht.
Datum:
26. Juni 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 26/2018 | Stephan Johnen
Wenn es in Zeiten umfassender Veränderung um den Zusammenhalt geht, sind markige Worte gefragt. „Wir sitzen alle in einem Boot“ ist eine der Aussagen, um Solidarität und Verantwortungsbewusstsein zu beschwören.
Kirche an ungewohntem Ort: Vom Schiffsanleger in Schwammenauel aus ging es auf „Mini-Kreuzfahrt“. (c) Stephan Johnen
Kirche an ungewohntem Ort: Vom Schiffsanleger in Schwammenauel aus ging es auf „Mini-Kreuzfahrt“.

Diese Worte sind auch beim jüngsten „Meet&Eat" im Rahmen des synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozesses „Heute bei dir" gefallen. Ausgesprochen auf einem Schiff, das über den Rursee tuckert, hat der Satz mehr als nur sinnbildliche Bedeutung.

Was erwarten die Gläubigen von Kirche? Welche Unterstützung brauchen sie? Wovor haben die Menschen Angst? Und wie kann Gemeinschaft trotz oder gerade vor dem Hintergrund von Veränderungen gelebt werden? Bischof Helmut Dieser nahm sich an Bord der „Stella Maris" Zeit, um zuzuhören. Er kam mit Jugendlichen und Erwachsenen, Pfadfindern und Schützen, Kirchennahen und Kirchenfernen ins Gespräch – am Bug des Schiffes, von Angesicht zu Angesicht an einem großen Tisch. 130 Menschen hatten sich für das Format, bei dem alle zehn Minuten der bischöfliche Tisch neu zusammengesetzt wurde, aus der Region Eifel angemeldet. Viel zu besprechen und zu diskutieren gab es nicht nur am Bug des Schiffs, sondern auch an den übrigen Tischen. Weihbischof Karl Borsch und Generalvikar Andreas Frick hatten sich ebenfalls unter die Gäste gemischt. Alle saßen in einem Boot.

Ein Satz, der offensichtlich kein Lippenbekenntnis war. „Wenn wir am Ende keine vergemeinschafteten Ergebnisse haben, die Anwendung finden, ist dieser Prozess gescheitert", skizzierte Dieser einen möglichen Schiffbruch. Um dieses Szenario zu verhindern, dürfe es ein „Weiter so!" nicht geben. Wie der neue Kurs aussehen soll, wird derzeit nicht nur beim Treffen mit Menschen aus der Region Eifel auf den Grund gegangen, sondern im gesamten Bistum. In
ungezwungener Atmosphäre mit Häppchen, die jedoch den eigentlichen Nährwert der Abende nicht überlagern. „Keiner kam heute, um nur zu maulen", sprach Bischof Helmut nach vier Stunden Austausch von „viel positiver Energie" sowie „offenen, ehrlichen und klaren" Äußerungen. Sein Lieblingssatz aus einem Gespräch: „Das hätte ich der Kirche gar nicht zugetraut."

So unterschiedlich die Menschen sind, ihre Sorgen, Nöte und Wünsche haben eine große Schnittmenge. „Ein Priester sollte auf die Menschen zugehen, zuhören und da sein, wenn er gebraucht wird. Das findet heute nicht mehr überall statt", bedauerte Elisabeth Schwaderlapp aus Stolberg-Breinig. Priester sollten Seelsorger sein – und keine Verwaltungsbeamten der Kirche. Die Weichen für einen Wandel könnten schon in den Priesterseminaren gestellt werden, ist sie überzeugt. Die direkte Ansprache von Menschen, die nicht die immer weniger werdenden Gottesdienste besuchen, sei zudem ein Katalysator, um Gemeindeleben wieder neu zu beleben. „Junge Familien haben die gleichen Lebensumstände. Aber hat Kirche immer ein Angebot für sie?", fragte die 56-Jährige.

Mehr Offenheit und Dialog wünscht sich Alois Goffart aus Simmerath. „Die Menschen wenden sich von dieser Kirche ab. So kann es nicht weitergehen", sagte er. Der 73-Jährige begrüßt den angestoßenen Erneuerungsprozess – sofern denn die Fragen wirklich offen beantwortet werden. Bedauerlich sei, dass gerade jüngere Menschen oft keine allzu starke Bindung mehr zu Kirche und kirchlichem Leben hätten. Auch darauf müsse eine Antwort gefunden werden.

„Wir sind nicht der Abgesang einer Epoche, sondern der Start einer neuen."

„Wegen meines Studiums bin ich umgezogen. Der erste Versuch, einen Gottesdienst zu besuchen, war enttäuschend", schilderte Pfadfinder Michael Bremm seine Erfahrungen aus dem Jülicher Land. Das Bild von nur wenigen Gläubigen in der Kirche sei für den 27-Jährigen nicht besonders motivierend gewesen. „Kirche macht zu wenig", spitzte Nadine Hoss (26) aus Mechernich die Empfindungen ihrer Generation zu. Trotz aller Bemühungen gebe es zu wenig Angebote für Kinder und Jugendliche. „Es darf keine Frage von Zufall oder Glück sein, einen Jugendseelsorger zu erwischen, der einen guten Draht zur Zielgruppe hat", fügte sie hinzu. „Jeder Tisch hat die gleichen Probleme. Ich gehe nicht davon aus, dass alle gelöst werden können, aber es muss einen brauchbaren Kern von Ergebnissen geben", bemerkte Hans-Peter Dederichs aus Kall. „Ich warte ab, was daraus wird."

„Es reicht nicht mehr zu sagen: Kommt doch zu uns, bei uns ist es schön", bilanzierte Bischof Helmut Dieser auf der „Stella Maris". Er regte spontan an, die Visitation dazu zu nutzen, um mehr über die Erwartungen der Gläubigen in den Gemeinden zu erfahren. Veränderung heiße auch, dass kirchliches Leben nicht ausschließlich hauptamtlich garantiert werden kann. „Wir können unterstützen und lenken", sagte er im Gespräch mit einer Gruppe. Aber aus der Gemeinde heraus brauche es ebenso Eigeninitiative und Impulse, ein Mittun und Mitgestalten.

Bei allen Veränderungen dürfe es weder Verlierer geben, die Kirche frustriert den Rücken kehren, noch Gewinner, die über vermeintliche Verlierer triumphieren. „Wir mischen etwas auf. Das erfordert Mut", brachte es Generalvikar Andreas Frick auf den Punkt. „Wir sind nicht der Abgesang einer Epoche, sondern der Start einer neuen", formulierte es der Bischof. Im Veränderungsprozess gehe es aus Sicht des Generalvikars nicht darum, als Beteiligter die eigene Agenda durchzudrücken oder als Kirche eine Idee so lange zu verwalten, bis sie gestorben ist: „Selbst eine Krise können wir nutzen, um stärker zu werden, besser zuzuhören, besser darüber reden zu können, was uns beschäftigt." Wer sich der Krise nicht stelle und ihr ausweiche, trage nicht zur Lösung bei, sondern zur Verschlechterung. Oder anders formuliert: „Wir alle sind Kirche, tragen alle Verantwortung."

INFO

So geht es weiter

Im November finden drei vertiefende Themenforen zu den umrissenen Handlungsfeldern statt: Am Samstag, 10. November, lautet die Überschrift „Den Glauben leben", am 17. November „Den Menschen dienen" und am 24. November „Jesus überall begegnen". Die Uhrzeiten und Veranstaltungsorte werden zeitnah bekanntgegeben.

Jedem Thema ist darüber hinaus eine sogenannte Prozessgruppe zugeordnet. Diese Gruppen leisten die inhaltliche Arbeit zwischen den ersten Themenforen, auf denen Perspektiven, Bedürfnisse und Ideen gesammelt werden, und einem zweiten Themenforum, auf dem die Zwischenergebnisse vorgestellt und diskutiert werden. Die Kriterien für die Zusammensetzung der Gruppen sind organisatorische Erfahrung, thematische Kenntnis und perspektivische Vielfalt. Für die Mitarbeit in den Prozessgruppen braucht es voraussichtlich ein hohes Maß an Zeit und Bereitschaft zur inhaltlichen Auseinandersetzung.

Noch dieses Wochenende können sich Interessierte für Themenforen anmelden und/oder sich für die Mitarbeit in einer Prozessgruppe bewerben (dazu ist ein Fragebogen auszufüllen) unter www.heute-bei-dir.de . Fragen, Anmerkungen und Ideen können an die E-Mail-Adresse: heutebeidir@bistum-aachen.de  geschickt werden.

 

Bischof Helmut Dieser im Gespräch. (c) Stephan Johnen